Ein Herz aus Lehm und Glas...

By sarah_autorin

13K 2.3K 5.2K

[Leseprobe] Sie wurde erschaffen, um die Schwester des Königs zu retten. Aus Lehm und Glas und Blut. Doch die... More

Über dieses Projekt
Es werde Buch!
TW, Rechtliches und Jugendschutz
Widmung
Interludium
Kapitel 1
Kapitel 2a
Kapitel 2b
Kapitel 3a
Kapitel 3b
Kapitel 4
Erklärung
Kapitel 5
Kapitel 6a
Kapitel 6b
Kapitel 7a
Kapitel 7b
Kapitel 8
Kapitel 9a
Kapitel 9b
Kapitel 10a
Kapitel 10b
Kapitel 11a
Kapitel 11b
Kapitel 12
Kapitel 13a
Kapitel 13b
Kapitel 14a
Kapitel 14b
Kapitel 15a
Kapitel 15b
Kapitel 16a
Kapitel 16b
Kapitel 17
Kapitel 18a
Kapitel 18b
Kapitel 19a
Kapitel 19b
Kapitel 20a
Kapitel 20b
Kapitel 21a
Kapitel 21b
Kapitel 22a
Kapitel 22b
Kapitel 23a
Kapitel 23b
Kapitel 24a
Kapitel 24b
Kapitel 25
Kapitel 26a
Kapitel 26b
Kapitel 27
Kapitel 28a
Kapitel 28b
Kapitel 29a
Kapitel 29b
Kapitel 30a
Kapitel 30b
Kapitel 31a
Kapitel 31b
Kapitel 32a
Kapitel 32b
Kapitel 33a
Kapitel 33b
Kapitel 34a
Kapitel 34b
Kapitel 35a
Kapitel 35b
Kapitel 36a
Kapitel 36b
Kapitel 37a
Kapitel 37b
Kapitel 38a
Kapitel 38b
Kapitel 39a
Kapitel 39b
Kapitel 40a
Kapitel 40b
Kapitel 41a
Kapitel 41b
Kapitel 42a
Kapitel 42b
Kapitel 43a
Kapitel 43b
Kapitel 44a
Kapitel 44b
Kapitel 45a
Kapitel 45b
Kapitel 46a
Kapitel 46b
Kapitel 47a
Kapitel 47b
Kapitel 48a
Kapitel 48b
Kapitel 49
Kapitel 50a
Kapitel 50b
Kapitel 51a
Kapitel 51b
Kapitel 52a
Kapitel 52b
Epilog
Ende. Und jetzt?
Buchcover
Das Kronland (1k-Votes-Special)
Featured Artwork
Coming soon!
Der Countdown läuft!
Die Phasen
Live! EHALUG in Mechernich //verschoben
Wichtig: Lesung verschoben!
Nur noch bis 18. APRIL auf Wattpad
EHALUG in Mechernich: LESUNG bei der Burgbäckerei zu Satzvey
E-Book vorbestellbar!
EHALUG Signieraktion und Buchbox mit Farbschnitt
OUT NOW!
Raubkopien zerstören unsere Arbeit
BuchBerlin 2022
OUT NOW! Ein Herz aus Lehm und Glas: Rabenfluch
LIVE! Online-Lesung bei MaliaFox
OMG! Ich habe unterschrieben!
LIVE! Ein Herz aus Lehm und Glas auf der Leipziger Buchmesse
Countdown zum großen Reveal!
COMING SOON!🥳 Ein Herz aus Lehm und Glas - das Kinoerlebnis für deine Ohren!
MEET & GREET auf der Leipziger Buchmesse📚
WICHTIGE INFOS ZUR SIGNIERSTUNDE am 28.04.2023
STANDBESUCH Edition Roter Drache auf der LBM 2023📚
SIGNIERSTUNDE im Anschluss an die Lesung auf der LBM23📚
Alle Termine auf der LBM - eine Übersicht
MESSERÜCKBLICK📚

Prolog

624 80 214
By sarah_autorin

[Dieses und die folgenden Kapitel werden in den nächsten Tagen durch die lektorierte Fassung ersetzt. Noch entspricht die Leseprobe der Rohfassung. Falls du auf die korrigierte Version wartest, bitte ich dich um ein bisschen Geduld. Es dauert nicht lange :) ]

Wenn es nach der Zeitrechnung der Lehma einen Freitag den Dreizehnten gegeben hätte, so müsste diese Geschichte wohl mit ebenjenem Datum beginnen.

Dann wäre Idis an einem Freitag durch den Zauber eines Magyrs ins Leben gerufen worden und hätte mit ihrem ersten Atemzug die unheilvollen Gefühle der Abergläubigen nur mehr bestätigt.

Dann wäre Idis an einem solch dunklen Freitag aus den geheimnisvollen Bergsystemen unter der Rabenfeste geflohen.

Dann wäre der Tag ihrer Erschaffung in dieser Welt aus Steinen und Sterblichen und Ewigen möglicherweise in einem Kalender zu erahnen gewesen.

Aber die Bibliothekare der Lehma kannten und kennen seit jeher einen ganz eigenen Aberglauben.

Und so würden sie diesen Sturm, der sich in jener Nacht entgegen aller Berechnungen über den Dächern der Kronstadt zusammenzubrauen begann, wohl nur mit einem einzigen Namen in die Geschichte eingehen lassen können.

Die unheilige Nacht.

Diese Geschichte beginnt in der unheiligen Nacht.

In der unheiligen Nacht, die mehr als einen gewöhnlichen Sturm über König Laurins Land fegen lassen sollte.

***

In jener Nacht schlugen die Schöpfer unter den Bergen ihre Fäuste ungewöhnlich laut gegen die Wände der Höhlensysteme und versetzten die Grenze zwischen den Ländern in derart wildes Getöse, dass sich selbst die Gewitterwolken über der Rabenfeste nur vor Ehrfurcht bebend aneinander drängen konnten. Die Düsternis schien sich wie ein Schleier aus der Andersweltkluft über die Dächer am Fuße des Festenbergs zu legen, als hätte sich eines der Fabelgeschöpfe unter Stein und Staub und vergangenen Jahren noch einmal zu vergessener Größe erhoben ... Oder womöglich, als hätte einer der Schöpfer höchstselbst eine Mahnung an die Frevler in der Festung des Königs geschickt.

Ein Gewitter wie dieses hätte wohl ein Zeichen gewesen sein sollen.

Jedoch ließ sich keine Gestalt aus den Mythen finden, die da mit ihrer Jagd über die Unwetterfront hätte donnern können; kein Herr der Schöpfer auf seinem Ross, der heulend und kreischend den Wolken voraus reiten würde.

Da waren bloß Wolken. Wolken, Nebel und das Gefühl einer unheiligen Macht in der Luft.

Schwarze Wolken. Finsternis.

Und dann ... ein kurzer Moment der Stille vor dem Sturm.

In einem solchen Moment der Stille schälten sich die Gestalten zweier Männer aus den Schatten vor den Toren der Festung, hielten im Schein der flackernden Feuerlampen auf die Klippe des Felsenplateaus vor den Rosengärten zu und senkten so manches Mal den Blick auf die Steine zu ihren Füßen, obwohl sie den Weg bereits seit Jahren – oder gar seit Jahrhunderten – kannten. Denn der Sturmwind drängte die Schritte der Wanderer mit seiner schieren Wucht aus den gewohnten Bahnen und verwandelte den Pfad zu den Aussichtspunkten in ein Spiel auf Messers Schneide, bis bloß noch eine kleine Mauer zwischen einem der Männer und einem Sturz in die vernebelten Tiefen lag. Wie ein hungernder Wolf aus den Wäldern zerrte der Westwind an Haaren und Kleidung der beiden Gestalten, hätte den kleineren Schatten um ein Haar von den Füßen gerissen ...

Wäre da nicht die schnelle Reaktion seines Begleiters gewesen. Eine helfende Hand, die den König wieder aufrichtete.

König Laurin konnte sich gerade noch rechtzeitig an der Schulter des Chorleiters stützen, ehe ihn der stechende Schmerz in seinem Bein erneut auf die Knie zu zwingen drohte.

Im Kampf gegen die schwarzen Schatten in seiner Brust ließ die Hand des Herrschers von der Uniform des Chorleiters ab und schloss sich stattdessen um eine Falte seines eigenen Mantels, während er sich mit seinem gesamten Körpergewicht gegen den erstarkenden Sturmwind lehnte. Hätten die Schöpfer unter den Bergen nur ein wenig mehr Kraft in den Windstoß gegeben, nur einen größeren Atemzug aus den Öffnungen der Berggrenze ausgestoßen, so hätte sich der Rabenkönig mit den Flügeln seines Familiennamens von den Wirbeln davontragen lassen können. Aber er blieb am Boden. An die Felsen seiner Festung gefesselt. Mit einer Schuld, die er sich selbst nicht verzeihen würde.

In einem Anflug von Trotz gegen die Mächte des Schicksals verzogen sich Laurins Lippen zu einer schmalen Linie und hinderten ihn nur auf diese Weise daran, gegen die fremden Götter der Lehma zu fluchen. Er glaubte, das Säuseln der Schöpfer in den Blättern der Bäume zu hören, glaubte, die fremden Götter würden ihm seinen Fehler wieder und wieder ans Ohr singen wollen. Er meinte, in den Böen aus dem Westen bereits den Geruch des verfluchten Landes wahrnehmen zu können.

Der König schmeckte das Unheil unmittelbar auf der Zunge. Ein Kitzeln und Prickeln und Zwirbeln der verbotenen Magerey.

Würzig. Abenteuerlich. So voller Geschichten.

Aber falsch wie ein atonaler Gesang.

Er schwor sich: Mochte ihn der Sturm in jener Nacht auch über die Klippen in die Schlucht zerren wollen, statt ihm Flügel zu schenken ... er würde sich mit Händen und Füßen gegen die Erinnerungen in den Mauern seiner Festung wehren.

»Der Donner mag wohl für einen Augenblick verstummt sein, aber der Regen wird nicht mehr lange auf sich warten lassen«, murmelte der größere Schatten mit einem besorgten Blick auf Laurin Rabenschwinge, um ihn aus seinen Gedanken zu reißen. »Die Luft schmeckt förmlich nach einer knisternden Macht aus den Bergen und wird sich sicher nicht unserem guten Willen beugen wollen. Ich kenne die Stille. Den Wind, der flüstert, bevor er zu brüllen beginnt. Den Wind aus dem Westen, der zunächst nur an den Menschen knabbert, bevor er sie mit der Gewalt aller Schöpfer in Stücke zerreißen will. Das eine Blinzeln im Herzschlag des Kosmos, wenn die Schöpfer noch einen tiefen Atemzug vor der Zerstörung nehmen. Das ist nicht die natürliche Ordnung. Wir sollten ...«

Warin Sorrell unterbrach sich in seinen Ausführungen über vernünftiges Handeln, als sich der König an seiner Seite zu einer statuenhaften Version seines Selbst zu versteifen begann. Auch für einen Ewigen war die Veränderung im Gesichtsausdruck des Menschenmannes mehr als deutlich zu lesen und erweckte bei all den tanzenden Feuerlichtern den Eindruck, Laurin würde allein bei dem Gedanken an eine Rückkehr in die königlichen Räume binnen Sekunden um Jahrhunderte altern. Dreißig Jahre gelebten Lebens verwandelten sich im Bruchteil eines Herzschlages in die Jahrtausende der alten Lehma.

»Ich kann das nicht im Kartenzimmer besprechen«, beharrte Laurin – das Gesicht mit einem Male so blass wie das Antlitz des verschwundenen Mondes.

Und obgleich Warin die Ursache der Verwandlung erahnte, so versuchte er sich doch ein letztes Mal als Stimme der Vernunft.

»Laurin ... Meine Sänger sind vertrauenswürdig«, beteuerte er.

»Ich weiß.«

Die Antwort kam tonlos und kalt.

»Der Wind ist bereits zu stark«, bemerkte Warin erneut.

»Ich weiß.«

Aber auch die zweite Antwort zeigte sich jeder Beratung erhaben.

Warin Sorrell richtete seine Lehmaaugen in einer bedeutungsschwangeren Geste auf das Bein seines Freundes und versuchte, die Ausmaße seiner Schmerzen aus der angespannten Körperhaltung des Mannes zu lesen. Wären die Ereignisse der unheiligen Nacht nicht von derart überwältigender Natur gewesen, so hätte der Chorleiter vermutlich mit härteren Worten auf seiner Sorge um die Gesundheit des Königs beharrt.

»Ich weiß seit dreiundzwanzig Jahren, welcherlei Umstände das Humpeln verstärken«, erklärte Laurins Berater mit einem Knoten in seinen Eingeweiden und wusste im selben Atemzug nicht mehr, ob die Pflicht als Berater der Rabenkrone oder besser die Pflicht eines Freundes seine Worte hätte lenken sollen.

»Ich darf meinen König in diesem Zustand nicht den Launen der Schöpfer aussetzen«, setzte er dennoch hinzu.

Es war Sorge. Zwiespältige Emotion. Das Gefühl, in einer solchen Nacht mit jedem Wort zwischen den Stühlen zu sitzen, ja, überhaupt keine richtigen Worte mehr finden zu können.

Laurin schleppte sich mit humpelnden Schritten wieder an die Begrenzungsmauer des Plateaus heran, strebte auf einen höheren Abschnitt der gepflasterten Steinwerke zu und ließ seine Augen dann in Richtung der Sturmwolken über dem Festenberg wandern, als könnte er den speergleichen Blicken des Chorleiters für eine Weile entgehen. Er stellte sich vor, statt schwarzer Wolken dort Sterne um Sterne zu sehen, dachte an eine Frühlingsnacht unter einem klaren Firmament und die sanfte Brise der Berge – den Zauber seines Heimatlands, silbernes Licht auf den Steinen und Gräsern und den Kuss des Mondes auf den Dächern seiner Kronstadt. Er stellte sich all diese Dinge vor, um bloß wieder atmen zu können. Doch stockte ihm trotz seiner kläglichen Versuche die Atemluft auf halbem Weg in seiner Kehle, während er den Blick seines Begleiters als Brandmal der gesprochenen Worte auf seinem Rücken zu spüren glaubte.

»Warin ... Ich kann nicht zurück«, erklärte er mit erstaunlich unbeweglicher Zunge. »Noch nicht. Nicht, nachdem wir ...«

Seine Hände ballten sich zu Fäusten.

Er wollte schreien und brüllen und toben, wollte wie der Sturm über den Bergen gegen das Schicksal wüten, wollte selbst ein Sturm gegen die Schwere auf seiner Brust sein und all jene Dinge mit einem Donnerschlag von seinen Schultern schleudern. Er wollte eine Träne für eine geliebte Erinnerung vergießen, wollte die Erinnerung dann wieder von sich stoßen und schließlich doch um die Vergangenheit trauern. In einer solchen Nacht konnte er nicht – als wären all seine Tränen bereits vor Jahren vergossen worden.

»Ich kann nicht zurück«, wiederholte der König gepresst.

Trotz der bewussten Distanz in den Worten erlaubte sich Warin Sorrell selbst ein paar Schritte zur Mauer und positionierte sich in weise gewähltem Abstand neben der Schattengestalt seines Freundes. Sein Blick wanderte in gründlichen Bewegungen über Laurins Gesichtszüge hinweg und studierte die Formen und Kanten des Ausdruckes nach allen Regeln seiner Berufung, als könnte er die Stürme hinter der aufgewühlten Miene des Mannes nur allzu genau bei sich verstehen.

Eine alte Wunde auf seiner Seele. Und eine neue. Eine, die nicht hätte sein dürfen.

»Ich denke, Isgers Schilderungen waren in dieser Hinsicht ausreichend«, konstatierte Warin in möglichst neutralem Tonfall. »Ich habe euch vor derlei Mächten gewarnt und euch geraten, die unheiligen Dinge jenseits eurer Kontrolle über die Magerey nicht zum Tanz aufzufordern. Du ersuchtest meinen Rat. Es gefiel mir nicht. Dennoch habt ihr die Gesetze der Natur mit euren Spielereien bis zum Bersten gedehnt und müsst nun die Konsequenzen dieser Experimente mit den Konstanten der Schöpfung erkennen. Sie lebt. Sie atmet. Und sie ist fort.«

Laurin zwang sich, den Blick seines Begleiters zu erwidern.

»Sie hat ein Bewusstsein, Warin.«

»Das ist Kern der Sache, nicht wahr?«

Entgegen der schreienden Stimmen in seinen Gedanken suchte der Chorleiter vergeblich nach einer Wortwahl, die den Ereignissen der Nacht auch nur im Ansatz hätte gerecht werden können, ohne weitere Schuldgefühle auf die Schultern des Rabenkönigs zu laden. Doch gleich wie viele Formulierungen er in seinem Verstand ausklügeln wollte ... an den Gegebenheiten hätte er selbst mit seiner Ausbildung in der Redekunst nicht mehr rütteln, hätte nichts mehr tun oder sagen oder in die Vergangenheit setzen können.

Der König kannte die Wahrheit.

»Es war falsch«, gab er zu.

»Das war es«, bestätigte Warin. »Das war es, Laurin. Es war falsch ... und es gibt nichts, das ich dir in dieser Hinsicht abnehmen könnte. Aber ich sehe mich abseits meiner Tätigkeiten als Berater auch als Freund dieser Krone und werde dir helfen, eine Antwort auf all die aufgeworfenen Fragen zu finden. Ich weiß, worin deine Absichten lagen.«

Die Finger des Königs schienen sich bei jedem der Worte verkrampfter in die eigenen Handflächen zu bohren, ballten sich unter der Last der gesprochenen Sätze immer weiter zusammen, bis sich die Fingerknöchel unter der viel zu weißen Haut des Menschenmannes abzuzeichnen begannen. Als hätten die Schöpfer unter den Bergen den stummen Schrei hinter dieser Geste vernommen, ließ der beißende Wind für den Mikroschnitt einer Momentaufnahme seine Klauen aus Kleidung und Haaren sinken.

Warin gewährte dem Augenblick die Sekunden der Stille. Nur eine unauffällige Verzögerung im Gespräch, um ausreichend Raum für die Zwischenzeilen zu lassen.

»Meine Sänger werden eine Beschreibung der Zielperson benötigen«, gab er dann mit sachlicher Behutsamkeit in die Bruchstücke der Erinnerungen hinein, ehe er selbst die Überschneidung aus Vergangenheit und Gegenwart in seinen Gedanken zu schließen vermochte. »Sie benötigen keine Hintergründe und keine großen Erklärungen zu ihrer Person, jedoch sollten sie wissen, über wen Informationen gesammelt werden müssen.«

»Eine Beschreibung ...«

Laurin atmete hörbar.

»Eine Beschreibung«, wiederholte er leise.

Dann schien ihn bloß noch eine Hand an der Mauer vor einem plötzlichen Nachgeben seiner Beine zu schützen.

»Sie sah aus wie sie. Als hätte Isger nicht einen leblosen Körper sondern meine Blida aus den Steinen geschlagen. Als wäre Blida aus einer verbotenen Nische der Andersweltreiche zu uns zurückgekehrt und könnte nach so langer Zeit wieder unter den Lebenden wandeln, hätte bei dieser Reise aber all ihre wunderbaren Farben an das Reich der Toten verloren. Ihr Haar war nicht braun, ihre Haut war ... nicht menschlich ... Nein ... Sie ähnelte mehr einer Glaserin ... Sie war eine Glaserin mit den Augen der Lehma, die Augen von solch dunkelbrauner Tiefe, dass sie aus einem Zirkon hätten geschlagen sein können. Ihre Iris erinnerte mich an die Schwingen der Falken und die Felle der Rehe in den sommerlichen Wäldern, an das frischgefallene Laub der Bäume im Herbst und das eingefangene Licht eines sterbenden Tages ... Ja, ihre Iris war von goldenen und lehmfarbenen Mustern durchzogen, als trüge sie den Zauber der Lehma in sich. Sie war Blida. Aber da lag ... nichts Sanftes mehr in diesen Tiefen. Sie war gleich und anders. Gegen jegliche Regel. Sie war Lehm und Glas und ... Sie blutete menschlich. Als hätte die Schöpfungsmagerey drei zerbrochene Teile aus den Trümmern genommen, um sie zu einem neuen Ganzen zusammenzufügen. Diese Frau ... Sie war schön wie eine gefallene Sonne auf Erden, die Haut vom blassen Licht des Mondes geküsst. Ihr Körper war in Formen gegossene Milch und ihr langes Haar schien aus feinweißem Porzellan ausgeformt worden zu sein. Bei all deinen Schöpfern, ich schwöre ... Diese Frau war das eingeschmolzene Feuer der Sterne und die personifizierte Melodie einer Nacht. Sie war Anfang und Ende und alles zugleich. Sie war Nacht und Tag und jede Farbe dazwischen. Es gibt nichts Vergleichbares. Es wäre ein Frevel, ihre Erscheinung anders zu definieren.«

Noch während die Worte des Menschenkönigs mit den säuselnden Winden in die Nacht getragen wurden, da dämmerte dem Chorleiter der Rabenfeste allmählich, mit welch einer Macht er konfrontiert werden würde. Nicht zwangsweise mit den Kräften eines übernatürlichen Wesens aus dem Labor eines Magyrs, sondern vielmehr mit den menschlichen Gefühlen hinter all diesen Dingen, deren Ursprung sich nun mitsamt seiner fatalen Ausmaße vor Warin Sorrell ausbreitete.

Dort lag eine Grenze.

Die Grenze, die er sich selbst nicht zu überschreiten gestattete. Und so musste sich Warin einen tiefen Atemzug stehlen, um sich trotz seines stolpernden Herzens zu sammeln.

»Wir kümmern uns darum«, entgegnete er viel zu leise.

Diese Art der Gefühle ...

Mit einem Male fand Warin Sorrell nicht einmal mehr Platz für seine eigenen Hände. Der Chorleiter nestelte mit seinen Spinnenfingern an den Schlaufen seines Gürtels herum und hakte sie schließlich zwischen das Leder und seine Gewandung, als ihn die unangenehme Hitze seines eigenen Körpers bei lebendigem Leibe zu verbrennen versuchte.

»Es tut mir leid«, brummelte er mehr schlecht als verständlich. »Ich sollte ...«

»... gehen«, beendete Laurin seinen Satz mit einer treffenden Vermutung im Blick.

Warin schluckte.

»Ich sollte dich nicht allein ...«

»Du vergisst, dass ich auch gern allein bin.«

»Ist Isger noch bei seinen Utensilien?«

»Wahrscheinlich. Ich denke, wir sollten uns alle für die Dauer einer Nacht Raum geben. Es ist in Ordnung. Er benötigt Ruhe.«

Und du nicht?, schienen Warins Blicke noch kläglich zu fragen.

Doch beide Schatten blieben nun stumm, als hätten sie die unausgesprochenen Worte gar nicht wahrgenommen. Stattdessen donnerte ein Paukenschlag der Naturgewalten über das Land ... und sämtliche Silhouetten von Dächern und Häusern und Straßen am Fuße der Feste versanken in den Regenschleiern eines Wolkenbruchs, der nach den Berechnungen der Lehma nicht hätte gewesen sein dürfen.

Continue Reading

You'll Also Like

1.8M 111K 91
"Was ist hier los?" rief ich und ignorierte die ängstlichen Stimmen der Anderen. Lens Kehle verließ nur ein warnendes Knurren. Vom weiten sah ich sc...
1M 44.2K 61
Blake Moon, ein hübsches, junges Mädchen, lebt in einer Familie aus schwarzen Werwölfen. Ihr müsst wissen: Schwarze Wölfe sind, nach den Weißen, die...
123K 13.6K 87
>>Ich weiß, dass ich sterbe, wenn ich den Deal nicht erfülle!>Du weißt gar nichts.<< *2. Teil* Der Handel, den Nemesis mit Göttervater Xenos eingegan...
27.8K 1.5K 29
Obwohl Hailee kein sonderlich gutes Verhältnis zu ihrer Schwester hat, legt Juliet großen Wert darauf, dass sie zu ihrer Hochzeit erscheint. Inklusiv...