Herzbruchversicherung

By FleurDeCel

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Als Emma eines Tages in der Schleuse ihres Arbeitgebers stecken bleibt und beinahe schon ein Testament ihrer... More

Vorwort & Widmung
1 - Schleusenprobleme
2 - Das WhatsApp-Testament
3 - Flug auf dem Einhorn
4 - Krankenhausfrass
5 - Tina und Nina
6 - Die Sensoren einer Mutter
7 - Versicherungs-ception
8 - Shots auf leeren Magen
9 - Das Schlafzimmer
10 - Katerfrühstück und Philosophiestunde
11 - Erster Tag im Vertrieb
12 - Blutwurst vs. Austern
13 - Die Einladung
14 - Karottenmassaker
16 - Kochkurs
17 - Der Deal mit dem Schwein
18 - Mutter-Töchter-Abend
19 - The King's Chamber
20 - La Bilirrubina
21 - Ausgewechselt
22 - Muffins im Bademantel
23 - Wolke sieben
24 - Erste Verkaufserfolge
25 - Das rote Sommerkleid
26 - Teig kneten
27 - Zwei Wochen Verspätung
28 - Vorbereitungen
29 - Candlelight Dinner mit Hindernissen
30 - Flutsch
31 - Gasleck und Phobien
32 - Der Tiger im Badezimmer
33 - Kissenburgen bauen
34 - Erwachsenengespräch
35 - Besuch der roten Tante
36 - Blickduell
37 - Die 100er Kondompackung
38 - Beim Frauenarzt
39 - Die Hochzeitslocation
40 - Durch die Pforte der Verdammnis
41 - Bittere Wahrheit
42 - Die fünftägige Selbsttherapie
43 - Lorbeeren
44 - Unter Platanen
45 - Beschützerinstinkt
46 - Feiern wie ein Verkäufer
47 - Strassenschlacht
48 - Ausnüchterung
49 - Zwischen Daunen und Entscheidungen
50 - Langusten in Centuri
Nachwort & Leserkommentare

15 - Fahrdienst

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By FleurDeCel

Endlich ist Mittwoch und seit der Mittagspause befinde ich mich weit über dem Ereignishorizont eines schwarzen Loches. Der Tag will einfach nicht verstreichen. Die Zeit scheint rückwärts zu ticken. Möglicherweise liegt es daran, dass ich jede dritte Sekunde auf die Uhr starre, voller Hoffnung, mein Feierabend könne schon in Griffnähe sein.

Ich bin so unglaublich aufgeregt, denn heute Abend findet endlich der Kochkurs mit Chris statt! Den ganzen Arbeitstag lang konnte ich mich nicht fokussieren. Sehr zum Unmut von Patrick, der mir heute eigentlich die Basics des Verkaufes hätte beibringen sollen, nachdem ich gestern ja wirklich traurig daran gescheitert bin.

Die Uhr auf meinem Laptop scheint beschlossen zu haben, mich in den Wahnsinn zu treiben. Das Schwein und ich sitzen in einem Meetingraum und Patrick ist damit beschäftigt, mir eine Powerpoint-Slide zu zeigen, auf welcher er mir unseren Verkaufsprozess näher bringen will. Wir sind auf Folie sechsundachtzig und ich höre nicht mehr zu.

Vielleicht liegt es an den kargen Wänden dieses Zimmers, dass mein Gehirn den Fokus so schnell verliert und die Langeweile sich einnistet, oder vielleicht ist es schlicht Patricks monotone Stimme, die mich in ein geistiges Koma labert.

„Emma?", höre ich von weiter Ferne. „Hörst du mir überhaupt zu?"

In Gedanken bin ich nicht auf Folie sechsundachtzig, sondern bei Chris und seinen Lachfältchen. Patrick knallt den Ordner zu, der vor ihm liegt und lässt mich aufschrecken.

„Äh, ja", stottere ich und schüttle meinen Kopf, um die amourösen Gedanken zu vertreiben. Diese bleiben aber hartnäckig und betäuben meine Sinne.

Patrick legt den Kopf schief und stemmt seine Hände in die Hüfte. Er steht für seinen Vortrag schon die ganze Zeit und ich frage mich, ob ihm dabei die Füsse nicht schmerzen müssen. Wie können Menschen länger als eine Stunde am Stück stehen?

„Ach wirklich? Du scheinst hier nicht ganz bei der Sache zu sein." Der leicht angepisste Unterton ist deutlich hörbar.

Er klingt gerade wie ein Lehrer, der beleidigt ist, weil sein Unterricht so öde ist und die Schüler lieber einander Liebesbriefe schreiben, als sich seinen Lehren zu widmen.

„Doch, doch. Bin ich." Ich nicke energisch. Patrick seufzt und schüttelt dabei den Kopf. Meine Lüge hat er wohl erkannt.

„Ich gebe mir Mühe für dich. Da wäre bisschen Aufmerksamkeit das Wenigste, was du mir im Gegenzug geben könntest."

„Red nur weiter. Ich bin ganz Ohr", sage ich und klicke mit dem Kugelschreiber, um ihm anzudeuten, dass ich bereit bin, seinen Worten zu horchen und mir ganz wichtige Notizen davon zu machen.

Dass ich bisher noch keinen einzigen Satz mitgeschrieben habe und mehr gegähnt als zugehört habe, muss er ja nicht wissen. Patrick scheint mit meinem geheuchelten Interesse nicht zufrieden zu sein. Er setzt sich auf den Stuhl mir gegenüber.

„Emma, ist es noch immer wegen ... wegen Freitag? Weil, wenn es das ist, dann hör mir bitte mal zu."

Auf Patricks Gesicht ziehen die Wolken auf, als hätte das Wetter plötzlich umgeschlagen. Er wirkt unheimlicher, wie er mich anblickt und über das sprechen möchte. Mir wird plötzlich unangenehm bewusst, dass ich mit ihm in einem Meetingzimmer sitze. Alleine. Mit Patrick – dem Kerl, der mich wie ein hungriger Löwe angefallen und Tage später die Funktionstüchtigkeit meiner Türklinke getestet hat.

Mein Magen zieht sich zusammen und ein bitterer Speichel bildet sich in meinem Mund, denn mir wird übel bei dem Gedanken, was am Freitag gewesen war. Ich will nicht darüber sprechen. Nicht mit ihm.

„Nein, das ist nicht wegen Fr–", will ich sagen, aber auch Patrick fällt mir ins Wort, wie jeder andere Mann auf diesem Stock.

„Ich war betrunken. Nicht ganz bei klarem Verstand. Habe mich nicht mehr richtig gespürt ... okay? Ich wollte nicht so über dich herfallen. Es ist einfach passiert ... Und tut mir leid, aber du hast mich so scharf gemacht mit ... wie du angezogen warst und wie du mich angeblickt hast ..."

Der Schlag ins Gesicht sitzt. Das kann doch nicht sein Ernst sein? Die Angst verfliegt und wird durch eine Wut ersetzt. Sowas lasse ich mir also nicht gefallen!

„Willst du mir sagen, mein Aussehen war eine Einladung für deinen Schwanz?"

Als hätten meine Kleider für sich sprechen können und Zustimmung gegeben? Mir wird noch übler und wenn ich Essen im Magen hätte, dann hätte ich ihm jetzt auf den Tisch gekotzt – als Antwort auf sein sexistisches Argument. Patrick sieht mein Entsetzen und krebst zurück.

„Nein, natürlich nicht! Aber ich hatte das Gefühl, dass du es auch willst. Das ist al–"

Jetzt bin ich diejenige, die ihm ins Wort fällt. Das lasse ich nicht auf mir sitzen.

„Wollte ich aber nicht! Das habe ich dir klipp und klar tausend Mal ins Ohr geschrien. Aber offensichtlich hat dich der Blutstau zwischen deinen Beinen taub gemacht. Was ist an "Nein" nicht deutlich genug? Hm? Kannst du mir das sagen, seit wann ein Nein "ja, fick mich" bedeutet?"

Patrick mahlt mit dem Kiefer, denn er weiss nicht mehr, was er dazu sagen soll. So interpretiere ich das zumindest. Für einen Moment herrscht ein Schweigen zwischen uns und ich will mich schon erheben, um den Raum zu verlassen. Ich habe wirklich genug von ihm. Ich will zu meinem Chris.

Patrick streckt die Hand über den Tisch aus, wie wenn er mich aufhalten möchte.

„Emma ... Es ist ja nichts passiert."

Ich kann es nicht fassen. Meint er wirklich, nur weil er glimpflich davongekommen ist, lässt sich das, was er getan hat, so einfach unter den Teppich kehren? Die Wut, die in mir kocht, lasse ich raus. Volle Kanne.

„Ja, aber wer weiss, was du noch alles hättest tun können! Du hast nicht auf mich gehört und es war dir scheiss egal, dass ich mich unter dir gewehrt habe!"

Patrick reibt sich die Schläfen. Dieses Thema ist nicht nur für mich nervenaufreibend, sondern auch für ihn, aber Mitleid habe ich mit dem Arsch auf keinen Fall.

„Jetzt tu nicht so. Ich bin kein Vergewaltiger", sagt er nur.

Das lässt mich endgültig an die Decke gehen. Ich erhebe mich und schreie ihn an, lauter als ein Brüllaffe.

„DAS SAGEN SIE IMMER! Aber schwups ist es passiert. Einmal die 90'234 Neins nicht gehört und zack landet der Schwanz in der Muschi und dann gibt es ja eh kein zurück mehr, oder? Dann wird das Ding zu Ende gevögelt, ob es ihr gefällt oder nicht!"

Mein Atem geht schwer und mein Herz klopft mir hart in der Brust. Wie kann ein Mensch mich nur so wütend machen? Was mich aber fast noch mehr aus der Fassung bringt, ist Patricks Ruhe. Er ist nicht aufgestanden und brüllt nicht zurück, sondern sitzt nur da und blickt mich arrogant an. Er hat mein Geschrei wortlos eingesteckt, ohne ein Mal mit der Wimper zu zucken.

„Emma. Du übertreibst", meint er.

„Ich übertreibe nicht, Patrick. Es hätte nicht mehr viel gebraucht und wir zwei wären so geendet!"

„So bin ich nicht."

Langsam packe ich meine Sachen zusammen. Es ist sowieso Zeit zu gehen, denn bald ist Feierabend und für heute habe ich genug gesehen. Patrick steht ebenfalls auf und stellt den Beamer aus.

„Tut mir leid, aber deine Worte bedeuten mir nichts", fauche ich und belade meine Arme mit meinem Laptop, dem Notizblock und dem Ordner, den ich bekommen habe. Alles zusammen ist etwas schwer für mich und ich schwanke auf den Beinen. Ich weiss nicht, ob es an dem Gewicht liegt, oder ob mir immer noch mulmig zumute ist, trotz aller Wut, die ich verspüre.

Patrick fummelt an seiner Krawatte herum und lockert sie ein bisschen. Dieses Gespräch ist für ihn genauso unangenehm, wie für mich. Er streicht sich durch die klebrigen Haare.

„Wenn du mir nicht glaubst, dann lass es mich dir beweisen", sagt er dann.

Ich schnaube verächtlich durch die Nase. Typisch. Der denkt, sowas liesse sich irgendwie verzeihen.

„Vergiss es!"

Er kommt auf mich zu, was mich zwei Schritte rückwärts gehen lässt. Sofort hält er in der Bewegung inne, als er meine Unsicherheit sieht.

„Lass uns heute Abend was trinken gehen und die Sache vergessen. Wirklich, Emma. Ich mag dich sehr und ich schätze dich als Kollegin. Du sagst, was du trinken willst, ich bezahle und wir lachen über das, was passiert ist. Okay? Was hältst du davon?"

Sein Blick hat was Bittendes. Das Schweinchen weiss ganz gut, wie er seinen Welpenblick einsetzen muss. Gottseidank hasse ich Hunde.

„Mit dir gehe ich nirgendwo hin! Da muss ich mir vorher zum Selbstschutz einen Keuschheitsgürtel mit Zacken und einen Pfefferspray kaufen."

Patrick seufzt ergeben und lässt die Schultern hängen.

„Emma ..."

Mit erhobener Nase marschiere ich an ihm vorbei zum Ausgang. In dem Moment bin ich froh, dass er nicht nach meiner Hand greift oder versucht, mich gewaltsam zurückzuhalten.

„Ich habe heute keine Zeit. Habe andere Pläne", werfe ich hinterher.

„Was hast du denn vor?" Seine Stimme klingt überrascht, als sei es nicht normal, dass ich Pläne habe. Ich spüre die Neugierde in seinen Worten.

„Ich treffe mich mit jemandem", gebe ich zurück und freue mich innerlich, dass es ihn wahrscheinlich stören wird.

„Mit wem?"

Jemand, der mich sicherlich mit mehr Respekt behandeln wird, als du.

„Das geht dich einen feuchten Dreck an", zische ich und drücke die Klinke runter. „Wir reduzieren unsere Beziehung und Kontakte aufs Büro, Patrick. Ich gehe mit dir in der Kantine Mittag essen, das ist alles, was du von mir bekommen wirst: Meine schmatzende Fresse."

Mit diesen Worten stampfe ich aus dem Meetingzimmer. Es ist kurz vor 18:00 Uhr und ich muss mich auf der Toilette noch einmal frisch machen. Patrick kann mir gestohlen bleiben, jetzt will ich mich voll und ganz Chris widmen und dieses unangenehme Gefühl, das mich beschlichen hat, wieder loswerden.

Ich stehe draussen vor der Assekura und warte ungeduldig auf dem Bordstein. Die Autos fahren an mir vorbei. Jedes Mal, wenn ich ein schwarzes sehe, beginnt mein Herz automatisch schneller zu schlagen. Innerlich bete ich, dass Chris mich nicht versetzen wird.

Da fährt der schwarze Mazda vor und mein Herz explodiert in meiner Brust. Oh Gott, Chris holt mich wirklich ab! Das Auto hält vor mir und ich werfe einen kurzen Blick auf die Spiegelung meiner Selbst in der Lackierung. Hoffentlich sehe ich gut aus!

Gerade als ich zur Türklinke greifen möchte, um einzusteigen, stirbt der Motor ab. Chris steigt aus. Ich zögere und lasse die Autotür wieder los. Ich dachte, wir wollten gleich losfahren. Er läuft aber um die Vorderseite seines Fahrzeugs herum, um mich zu begrüssen.

„Hey!", sagt er und kommt lächelnd auf mich zu.

Chris streckt mir seine Hand hin und ich schüttle sie. Fuck, der Mann sieht gut aus. Das schwarze T-Shirt liegt eng an seiner starken Brust und spannt sich an seinen Oberarmen. Eine Sonnenbrille steckt in seinen Haaren. Ich schlucke trocken bei dem Anblick.

„Hallo", murmle ich etwas schüchtern. Mann, ich muss mich echt zusammenreissen! Normalerweise schmilzt mein Selbstbewusstsein nicht sofort dahin.

Er beugt sich zu mir vor und kommt mir unglaublich nahe, sodass meine Wangen augenblicklich ins Alarmrot wechseln. Sein herber, ledriger Duft steigt mir in die Nase und vernebelt mir den Kopf. Mein Herz trommelt schneller als der Weltrekordhalter im Bongospielen. Will mich Chris etwa umarmen? ODER GAR KÜSSEN? Panik. PANIK! ASIOWKFHKSALJD23alödfüp12KWL! Mein Gehirn gibt für einen Augenblick den Geist auf und ich brüste mich für den Zusammenstoss unserer Lippen.

Nur nicht das Bewusstsein verlieren, bete ich. Das wäre nämlich äusserst unpraktisch. Ich senke meine Lider, da sehe ich, wie sein Arm an meiner Taille vorbeigreift und er den Griff der Autoklinke in die Hand bekommt. Er öffnet mir die Tür.

Kein Küssen. Schade ...

Die Enttäuschung will in mir hochkriechen, aber da schenkt er mir schon wieder dieses unwiderstehliche Lächeln. Wäre vielleicht bisschen früh für einen Kuss, auch wenn ich es mir sehnlichst gewünscht habe.

„Bist du bereit für dein Kochabenteuer?", fragt er.

„Nicht wirklich, aber welche Wahl bleibt mir?", antworte ich und grinse schief.

„Stimmt. Keine", sagt er und schiebt mich ins Innere seines Mazdas. „Steig ein."

Der Ledersessel quietscht, als ich mich darin niederlasse und Chris die Tür für mich schliesst. Es ist schon merkwürdig, wie eine Dame behandelt zu werden, wenn man das nicht gewohnt ist. In meinem Leben wurde ich von Männern eigentlich immer nur rumgeschubst, zertreten oder gekickt. Natürlich nicht wortwörtlich, sondern sinnbildlich.

Chris scheint meine Existenz aber anders wahrzunehmen. Er hat mich so freundlich in sein Auto gebeten, als sei ich eine besondere Persönlichkeit und irgendwie genauso wichtig für die Menschheit wie Mutter Teresa. Dieser Gedanke verleiht mir ein angenehm warmes Gefühl in meinem Inneren, was sich verstärkt, als Chris auf der Fahrerseite einsteigt und die Tür schliesst.

Sein Geruch weht mir abermals entgegen und dieses Mal gibt es kein laues Lüftchen, dass meine Nase davon abhalten könnte, den Duft einmal tief in die Lungen einzuziehen. Wenn Chris eine Droge wäre, wäre ich schon längst die Süchtige.

Er wirft den Wagen an und fährt los. Um diese Uhrzeit herrscht dichter Verkehr und bereits nach kurzer Zeit stehen wir im Stau des Zürcher Pendlerverkehrs. Wir schweigen und nur das leise Gedudel aus dem Radio hallt durch den Innenraum seines Wagens.

Krampfhaft überlege ich mir, was ich denn mit Chris besprechen soll? Im Supermarkt hatten wir uns auf Anhieb gut verstanden. Warum klappt es jetzt nicht?

„Warst du schon mal in der Traube?", bricht er die Stille.

Ich bin froh, dass er das Gespräch startet, denn irgendwie weiss ich nie, wie man Smalltalk beginnt. Über das Wetter zu sprechen wäre auch irgendwie doof gewesen.

„Nein, das Essen dort ist leider zu gut für meinen mageren Geldbeutel", gebe ich zu.

„Aber kennst du das Restaurant?", hakt er nach.

„Ja, bin schon oft an den Fenstern vorbeigegangen und habe den Leuten sabbernd dabei zugesehen, wie sie ihr Chateaubriand assen. Wollte ich eigentlich gerne mal probieren, aber 60 Franken für ein Stück Fleisch ist mir dann doch etwas viel."

Chris lacht auf. Schön, dass er meinen Humor teilt.

„Das stimmt. Die Preise sind recht hoch. Aber dann hat mich mein Eindruck nicht getäuscht: Du bist definitiv keine Vegetarierin", sagt er.

Ich schüttele den Kopf, auch wenn er das nicht sehen kann, da er sich auf die Strasse konzentrieren muss.

„Um Gottes Willen! Die Welt ist zu lecker, als dass man sich einschränken sollte! Ich verstehe die Menschen nicht, die freiwillig darauf verzichten können. Denen entgeht so viel Genuss, dass ich für sie ehrlich trauere. Mein Mitbewohner ist Veganer und die traurigste Gestalt, die ich kenne. Jeder Mensch hat Freude im Leben und leckeres Essen verdient."

Er nickt zustimmend, während ich innerlich hoffe, dass ich auf seiner kleinen Liste, die er abzuhacken scheint, einen Bonuspunkt kassiert habe. Einen Punkt näher zu seiner Traumfrau vielleicht?

„Das ist schon mal gut, sonst hätten wir Probleme beim Kochkurs bekommen", bringt er mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Er hat keine Checkliste, es geht ihm nur um den Kurs.

„Wieso? Gibt es denn Fleisch? Ich kann bei der Marinade helfen, aber braten müsstest du es, weil bei mir verkohlt das nur."

„Nein, es gibt kein Fleisch. Aber Fisch. Das magst du doch auch, oder? Du hast die Auster letztens mit so viel Liebe heruntergeschluckt, da wusste ich, dass ein Wolfsbarsch dir nichts anhaben kann", sagt er und zwinkert mir zu.

Erst wird mir bisschen mulmig zumute, denn Chris flirtet doch sehr offensichtlich mit mir, aber als ich dann die Information verarbeite, die er mir gerade vermittelt hat, wird mir übel. Wir halten bei einer Ampel, was Chris die Zeit gibt, mich zu mustern. Ich muss bleich geworden sein, denn er wirft mir einen besorgten Blick zu.

„Alles in Ordnung?", fragt er.

Ich schlucke trocken.

„E-Es gibt Fisch?", flüstere ich meine Frage.

„Ja. Es ist ein Fischkochkurs, der mir geschenkt wurde. Ist das ein Problem?"

Ein Problem? Ich hasse Fische! Ihre silbernen Schuppen, ihre stacheligen Flossen und diese dummen Glubschaugen! Ich kann sie zwar essen – meist in der Form von Dosen-Thunfisch – aber ich fasse die nicht gerne an. Die glitschige Haut ekelt mich an. Die Vorstellung, einen Fisch zubereiten zu müssen, jagt mir kalte Schauer über den Rücken.

„Äh nein. Alles gut ... Ich liebe Fisch ...", lüge ich und höre selbst, wie hoch meine Stimme klingt.

„Oh, das tut mir leid", sagt Chris, denn er hat gemerkt, dass meine Aussage alles andere als der Wahrheit entspricht. „Ich hätte dir vielleicht vorher das Rezept zeigen sollen, das heute gekocht wird."

Ich lächle gezwungen.

„Ja, hättest du."

„Aber ich wollte ja nicht, dass du mir absagst", meint er dann schulterzuckend und wirft mir einen bedeutungsschwangeren Blick zu.

„Äh", kann ich nur sagen.

Schon wieder hat mein Gehirn einen Aussetzer, weshalb ich mir langsam Sorgen machen muss, ob ich irgendwo ein Aneurysma habe, das einen Blutstau verursacht oder so. Das kann ja nicht normal sein. Ich sage nichts und spüre, dass Chris sich dadurch sichtlich unwohl fühlt.

„Wenn es gar nicht geht, kann ich dich auch gleich jetzt nach Hause bringen. Kein Problem", meint er dann und will schon den Blinker setzen, um umzukehren.

„Nein. Nein!", kann ich endlich antworten. „Ich werde das schon hinkriegen. Du musst mir einfach beistehen und notfalls müsstest du mich auffangen, falls ich das Bewusstsein verliere. Meinst du, du schaffst das?"

Er lacht erleichtert und ich bin froh, dass ich ihm die Sorge nehmen konnte. Seine Lachfalten will ich nämlich nicht missen. Die sind einfach so schnuckelig. Ich mustere sein Profil und versinke in den süssen Wellen. Dann dreht er den Kopf zu mir und blickt mich eindringlich an.

„Hab dich ja schon einmal getragen. Mache ich gerne wieder."

Kammerflimmern!

Meine Lider flattern aufgeregt, als hätten sie Epilepsie. Der nächste Gehirnaussetzer will sich anbahnen, da bekomme ich meinen Körper wieder in den Griff und schenke Chris mein schönstes Lächeln.

„Dann lege ich mein Leben ein zweites Mal in deine Hände", kontere ich sein Flirten.

„Gut so", antwortet er nur und richtet seinen Blick wieder auf die Strasse vor uns.

Ich fantasiere bereits darüber, wie ich einen Ohnmachtsanfall simulieren könnte, damit ich mich in seine Arme fallen lassen kann. Das klappt in Regency-Romanen immer besonders gut, vielleicht auch in der heutigen Zeit?

Chris setzt den Blinker und fährt auf den Parkplatz des Restaurants Die Traube. Wir sind angekommen.

Jetzt gibt es für mich kein Zurück mehr. Ich muss diesen Kochkurs mit Chris machen und dabei einen Schlabberfisch in die Hände nehmen.

Was man nicht alles der Liebe wegen tut? Ich bin mir wirklich für nichts zu schade.

Das Auto kommt zum Stillstand, Chris steigt aus und läuft um den Wagen herum, um mir die Tür zu öffnen. Er streckt mir seine Hand hin, damit ich mit seiner Hilfe aussteigen kann. Als sich unsere Hände berühren, jagen tausend kleine Blitze durch meinen ganzen Körper und die Sorge um die ekeligen Meerestiere, die nur darauf warten, von mir verstümmelt zu werden, sind verflogen.

Ich sehe nur Chris und wie er mir die Hand hält. Mehr brauche ich nicht.


✵✵✵


Hallo meine Lieben

Emma hat Patrick den Tarif jetzt mal richtig durchgegeben. Hat der kleine Wüstling verdient, nicht?

Und woah, Chris ist heute ziemlich flirty unterwegs. Ob Emma sich da zurückhalten kann... ;-) Im nächsten Kapitel gehts ans Eingemachte. Da muss Emma nämlich Chris beim Zubereiten helfen. Was denkt ihr, was passieren wird? Schafft sie das?

Habt ein schönes Wochenende!

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