16 - Kochkurs

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„Ah, da kommt das letzte Pärchen!", ruft uns ein recht extravagant wirkender Herr mit knallgelber Hose entgegen. Ich vermute, dass das unser Kochlehrer sein muss.

Bei dem Wort „Pärchen" erröte ich leicht. Wir müssen so gut zusammen passen, dass man uns als Liebespaar verwechselt. Bei dem Gedanken werden meine Knie ganz weich. Wie schön wäre das denn! Ich steige die letzten Treppenstufen mit höchster Konzentration hinunter, denn ich will mich nicht vor Chris und den zehn anderen Teilnehmern flach auf den Bauch schmeissen.

Vor uns eröffnet sich ein grosser Saal, in dessen Mitte ein langer Tisch steht, der mich ein bisschen an eine königliche Tafel erinnert. Links und rechts davon stehen je drei Kücheninseln. Alle mit ihren eigenen Herden, Öfen und Waschbecken ausgestattet. Feinster Edelstahl glänzt uns im Schein des grellen Lichtes entgegen.

Offenbar sind wir die letzten Teilnehmer, die zum Rest dazustossen. Fünf andere Pärchen haben sich bereits um den Tisch versammelt und man blickt uns erwartungsvoll an.

„Die Garderobe ist da hinten, bei den Toiletten", flötet der Kochlehrer.

Er hat seine Haare kahl geschnitten und trägt einen goldenen Ohrring, der ihm vom linken Ohrläppchen baumelt. Zu seiner Augenkrebs-Hose hat er einen blau-weiss gestreiften Rollkragenpullover kombiniert. Zum Glück verdeckt eine schwarze Schürze sein interessantes Outfit. Im Vergleich zu den grauen Gestalten, die sich um den Tisch scharen, ist er in den Farbtopf gefallen.

Chris lenkt mich zur Garderobe, indem er mich mit seinen Fingerspitzen sanft am Ellbogen berührt. Bei den Kleiderhaken angekommen stellt er sich hinter mich und hilft mir, mich aus dem Blazer zu schälen. Das Jackett ist fürs Kochen äusserst ungeeignet, denn die Ärmel könnte ich locker in irgendeine Sauce tunken und dann sähe ich genauso bunt aus wie der Paradiesvogel, der uns heute durch den Abend leiten wird.

Ich schlüpfe gerade aus dem Kleidungsstück, da trifft Chris' heisser Atem auf meinen Nacken. Er steht mir so nahe, weil es im Gang der Garderobe unglaublich eng ist. Das ist mein Todesurteil, denn sowas jagt mir sämtliche Härchen auf meinem Körper in die Steillage. Chris merkt nichts von meinem körperlichen Wohlerguss und hängt den Blazer an einen freien Haken. Dann blickt er mich erwartungsvoll an.

„Bereit, was zu lernen?", fragt er mich und ich kann nicht anderes, als blöd aufzugrunzen.

„Du meinst wohl eher, ob ich bereit bin, tausend Tode zu sterben. In dieser Küche gibt es unendlich viele Möglichkeiten, wie ich mich selbst verletzen könnte."

„Ach was", winkt er ab. „Was will da schon passieren?"

„Oh, du wirst staunen. Ich überrasche mich immer wieder selbst."

Wir begeben uns zurück in den grossen Raum und gesellen uns zu den anderen Teilnehmern. Wie sich herausstellt, sind das alles verheiratete Pärchen. Nur Chris und ich sind hier die Ausnahme. Auf die peinliche Frage, woher wir uns denn kennen, haben wir beide eigentlich keine richtige Antwort. "Aus dem Supermarkt" klingt nicht kitschig genug für einige Teilnehmer. Irgendwie sind alle immer so scharf auf ultraromantisches Zeug, sodass sie dann ganz enttäuscht blinzeln, wenn man ihnen eine stinknormale Geschichte erzählt.

Der Weisswein, welchen Chris mit den Austern mitgebracht hat, wird kaltgestellt. Den Aperitif gibt es anscheinend erst später, zuerst müssen wir in die Welt des Kochens eingeführt werden.

Der Paradiesvogel – so nenne ich unseren Kochlehrer – beginnt mit einem halbstündigen Vortrag über die Herkunft des Wolfsbarsches. Offenbar werden wir heute alle zusammen Bärsche kochen und ich habe keine Ahnung, wie sich der von einer gemeinen Forelle unterscheidet. Fisch ist für mich Fisch, aber nicht für unseren Kakadu.

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