Die Brösche der Romanows

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3. Juli (16., Dienstag).

Grauer Morgen, später lieblicher Sonnenschein. Baby hatte eine leichte

Erkältung. Alle gingen morgens eine halbe Stunde heraus. Olga und ich richteten unsere Medizinen her. T. las uns aus der Heihgen Schrift vor.

Sie gingen heraus. T. blieb bei mir, und wir lasen aus dem Propheten

Obadja. Stickte. Jeden Tag kommt der Kommandant in unsere Zimmer.

8. Abendessen. Plötzlich wurde Lewka Sedniew geholt, er dürfe seinen

Onkel sehen und flog weg — möchte wissen, ob es wahr ist, und ob wir den

Jungen wiedersehen werden ! !

Spielte Bezigue mit N. 10:14 zu Bett. 15 Grad Wärme.

Die Brösche der Romanows

Sie hörten Stimmen, maskuline, raue Stimmen. Auf einmal drangen Männer mit grϋnen Uniformen durch die Tür und befahlen ihnen sich anzukleiden. Angeblich gab es Unruhen auf der Straße und sie wollten zu ihrem Schutz sie in den unteren Stockwerk bringen. Obwohl, man muss zugeben, dass es draußen ziemlich ruhig war, da es angeblich zu einem Aufstand oder Protest kam. Das ist aber auch nichts Neues, wenn man mitten im Krieg ist und einer Adelsfamilie angehört, insbesondere den Romanows. Niemand herrschte so prunkvoll wie die Romanows. Es gab und es wird nie wieder so ein mächtiges und bedeutendes russisches Adelsgeschlecht geben.

Sie zogen sich schnell an und hörten einen Wagen vor dem Haus parken. Die Mädchen steckten Brösche unter ihre Kleider und kleine Kissen als doppelten Schutz. Ihre Korsette waren im Grunde teuere weibliche Panzer. Sie wollte keine Risiken eingehen.

Angst war in der Luft. Der Geruch steckte alle im Zimmer an.

Anastasia sah ihrer Mutter sorgsam an. Die Zarin wirkte angespannt, doch sie schnürte weiter das Korsett ihrer Tochter Marija. Als sie fertig waren, gingen sie vorsichtig die Treppe hinunter, grinsten die Wächter feist an und gingen in das Zimmer im Erdgeschoss, das sich links vom Treppenhaus befand. Manchmal wϋrden sich die Mädchen fragen ob die jungen Wächter in Wahrheit eigentlich nett waren und nur so taten, als ob sie immer schlechte Laune hätten. Vorgestern, als sie durch das Haus liefen, sahen sie den selben Wächter vor der Ausgangstϋr. Marija lächelte ihn freundlich an und er lächelte zurϋck. Er sah auch sehr gut aus. Die Uniform stand ihm wie angegossen. Es kann sein, dass ihnen niemand etwas zu leide tun will und dass sobald der Krieg vorbei ist, sie freigelassen werden und alles wieder so wird wie frϋher. Die Soldaten schienen eigentlich sehr freundlich und etwas verschlossen zu sein. Sie wϋrden ihnen auf gar kein Fall etwas zu leide tun. Anastasia, wie die meisten Menschen in ihrer Situation, war verwirrt. Einerseits werden sie gefangen gehalten, respektlos vom Kommandant behandelt und andererseits sind die Wächter sowie die Soldaten gutmϋtig und äußerst sympatisch. Doch dann kamen immerwieder Fremde mit Gewähr und sorgten fϋr eine grausame und angsteinflϋssende Atmosphäre.

Mit ihnen waren auch ihre treue Diener. Anastasia sah das kleine Zimmerchen skeptisch an. Seitdem sie gefangen wurden, sprach das Zarenpaar nicht über ihre Zukunft, was sie unternehmen sollen, wie sie entkommen können. Und wenn, dann wϋrden es der Zar und die Zarin unter sich besprächen. Vielleicht wollten sie die„Kinder" nicht weiter mit der Wahrheit belasten oder waren sie doch so naiv zu glaubten, dass es nur vorϋbergehend ist und das niemand den Großfϋrstinen und den Großfϋrsten, sowie dem Zaren und der Zarin etwas schlimmeres antun wϋrden, als sie gefangen zu halten. Anastasia war einfach genervt, weswegen es auch manchmal Streit gab zwichen ihrer Mutter und ihr. Sie lebten einfach ihr Leben weiter, als ob sie immer noch Zuhause im Winterpalast sind. Als ob sie immer noch in ihrem Bett mit Seidenlaken schliefen und nicht im verschimmelten Zimmer mit quietschenden Betten und in einem eingezäuntentem Haus. Ihre Schwestern haben sich damit auch nicht sonderlich viel beschäftigt und ihren Bruder soll man gar nicht erwähnen. Er taugte nicht mal selbständig zu denken. Doch er trägt an dem ganzem keine Schuld, er ist der hilfloseste. Ihr Vater hat nur selten mit ihr darüber gesprochen aber er hat wenigtsens etwas gesagt. Die Zarin schrieb immer in ihr Tagebuch, spielte Bezigue mit ihrem treuem Gemahl und sprach über das Essen. In Wahrheit vermisste Anastasia ihr Zuhause, ihre glittzerne Babuschkas, den Ballsaal...Was haben sie den so schreckliches begangen? Wie schreklich war ihre Sünde, dass sie mit Gefangenschaft bestraft werden mussten? Hat das beten jeden morgen nichts gebracht?

So lange auf der Flucht zu sein und immer Gefangen in diesen grässlichen alten Häusern schien die Familienverhältnisse sogar zu verbessern. Sie waren zwar nicht immer der selben Meinung aber sie standen sich näher als je zuvor.

Alexei konnte nicht laufen und saß auf einem Stuhl. Tatjana und die Zarin saßen beim Fenster und die anderen lehnten sich an die Wand. Alexei konnte zwar nicht laufen aber er konnte nie lange auf einem Platz sitzen. Der Zar legte ihn in die Mitte und setzte sich mutlos und niedergeschlagen neben ihn. Die tickende Uhr schien alle im Raum nervös zu machen. Plötzlich war es war still, todesstill. Die Großfϋrstinen redeten sich ein, sie wϋrden jetzt wieder irgendwo hinreisen, doch ihr Bauchgefϋhl sagte ihnen etwas vollkommen anderes. Man hörte das Herzklopfen des Zars, als die Tür von duzenden bewaffneten Soldaten rasch geöffnet wurde. Drei Männer, Jurowsky, Jermakow und Wagnow. Alle sahen verwirt zu und versuchten ruhig zu bleiben, obwohl es spätestens jetzt klar ist, was sie vorhaben. Es kamen immer mehr Männer und alle bewaffnet. Jurowsky hatte einen Revolver in der Hand und schnell verstanden alle was in den kommenden Momenten passieren würde. Eins stand jetzt fest : es gibt kein Entkommen. Entweder hatte Anstasia die ganze Zeit recht und niemand hat ihr zugehört oder wusste es schon jeder, aber niemand hielt es fϋr angebracht es ihnen zu sagen. Während Jurowsky den Todesurteil las, fingen auch ihre Schwestern an zu weinen. Sie fingen an zu schreien und das Fenster zu öffnen, doch es war verriegelt. Anastasias sah die Soldaten weinend an und schließte sich zitternd ihren Geschwistern an. Manche Soldaten sahen auch selber verwirrt und trauernd aus. Ihr Todesurteil wurde nicht vom Volk verlangt, sondern von jemandem der auf einer viel höheren Position ist. Anastasia war keine richtige Dame, wie ihre Schwestern. Sie fluchte, denn sie wusste es. Der Zar sah Jurowsky nervös an und fragte zögernd ob sowas wirklich nötig wär und dass wenn man sie ermordet, wird das Volk Verdacht schöpfen, doch Jurowsky hörte ihm nicht zu. Jeder Soldat hatte sein Opfer. Anastasia hoffte sie zielen nicht auf ihr Kopf. Der Zar wurde ins Herz und die Zarin wurde in den Kopf mehrere Male geschossen; sie waren sofort tot. Als der Rauch verschwand sahen sie, dass die meisten Kinder noch am Leben waren. Die Brösche der Romanows werden mit Blut begossen. Die Bajonetten konnten ihre Korsette nicht durchbohren. Die Großfürstinen und der Zarewitsch wehrten sich gegen die Soldaten mit all ihrer Lebenskraft. Alle sind tot – dachten sie.

Der Tagebuchausscnitt stammt aus: „ von Joachim Kühn.

Die Brösche der RomanowsWhere stories live. Discover now