Kapitel 47 - Trennung von Freunden

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„Was möchtest du denn?", fragte ich zurück, nachdem ich für mich keine befriedigende Antwort gefunden hatte.

Er stützte sich mit den Unterarmen auf die Brüstung und sah erst in die Landschaft, bevor er sein Gesicht wieder zu mir wandte, einen verletzlichen Ausdruck darin. „Ich fühle mich noch nicht wirklich bereit für eine Fernbeziehung. Schon allein die Sommerferien fand ich schrecklich ohne dich. Oder die Weihnachtsferien. Oder allgemein alles, bei dem du nicht dabei warst." 

Eigentlich hätte ich nach dieser Liebeserklärung wohl glücklich sein sollen, das Gegenteil war aber der Fall. Es war, als hätte sich ein großes Loch in meiner Brust aufgetan.

„Wir können uns sehr gerne weiter schreiben und Zeit miteinander verbringen. Aber ich vermisse dich zu sehr und möchte dich nicht deshalb nur an mich ketten. Dir keine Schuldgefühle machen." Er schluckte und blinzelte heftig. „Ich verstehe absolut, warum du nach Ilvermorny gehst und kann dir auch gar keinen Vorwurf machen. Wahrscheinlich würde ich das Gleiche tun, wenn ich die Chance hätte, mehr über meinen Vater zu erfahren."

Ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte. Es hätte wohl auch nichts gepasst. Dennoch konnte ich für ihn da sein. Zaghaft streckte ich beide Arme in seine Richtung aus und schloss ihn in eine feste Umarmung, als er mir mit Tränen in den Augen zulächelte. Wir hielten uns einfach nur aneinander fest in einer Welt, in der sich vieles ändern würde.

Mit belegter Stimme fuhr er fort. Sein warmer Atem kitzelte beim Sprechen an meinem Hals. „Ich liebe dich und werde dich auch immer lieben. Ich freue mich sehr für dich, dass du nach Nordamerika gehen kannst und neue Erfahrungen sammelst. Gerade deshalb kann ich noch weniger von dir verlangen, dass du dort in deinem Zimmer hockst und dich genötigt siehst, mir Briefe zu schreiben. Genieße lieber alle Möglichkeiten, die du hast und nutze die Chancen, die sich dir dort bieten! Du sollst nicht nur an deinen Freund in England denken müssen."

Sanft löste ich mich aus seiner Umarmung. Auch meine Wangen waren feucht von den herablaufenden Tränen. Mit dem Ärmel des Umhangs wischte ich sie fort. „War es das jetzt? Machen wir Schluss?"

„Scheint wohl ganz so", antwortete er und konnte es selbst noch nicht ganz fassen. Seine schönen braunen Augen schienen noch dunkler als sonst.

Ich wusste nicht, wie ich mich fühlen sollte. Ich wusste auch nicht, wie ich mich fühlen würde. Wahrscheinlich würde mir erst heute Abend, wenn ich im Bett lag, die ganze Tragweite dieses Entschlusses bewusst werden. Bis dahin dauerte es allerdings noch etwas.

Mit verschwommenem Blick starrte ich auf die schöne Landschaft. Auch die vielen Hügel würde ich vermissen und das grüne Gras. Ich blickte zur Seite. Denn dort war das, was ich am allermeisten vermissen würde.

Er erwiderte meinen Blick. In seinen Augen lag die gleiche Trauer und der gleiche Schmerz, wie auch in meinen. Schniefend nahm ich seine Hand in meine und stellte mich dicht neben ihn. Er legte seinen Kopf auf meinen Scheitel. Schon oft hatten wir so dagestanden, aber nie hatte es sich so intim, so voller Emotionen angefühlt wie jetzt. Obwohl wir in letzter Zeit so unsere Probleme gehabt hatten, wurde mir noch einmal bewusst, wie viel ich für ihn empfand. Es war keine Trennung wegen fehlender Liebe. Eher wegen eines riesigen Überschusses. Wir waren so sehr an den anderen gewöhnt, dass wir bald gar nicht mehr ohne einander könnten.

„Du bist zu gut für mich", wisperte ich und wusste nicht, ob meine Worte bei ihm angekommen waren. Hier hinten auf der Plattform riss der Wind jedes Wort sofort mit sich. Aber er wusste es wohl auch so.

Ich schlang die Arme um seinen Oberkörper und ließ meinen Tränen freien Lauf. Auch er wurde von stummen Schluchzern geschüttelt. Warum blieben wir nicht einfach zusammen? Wieso kam er nicht mit nach Nordamerika? Musste ich überhaupt fort?

Doch die Antwort darauf war so einfach wie frustrierend. Er gehörte hierhin. Und ich bezweifelte, dass er eine Trennung von Seamus besser verkraften könnte als von mir. Im Gegenzug konnte ich die Reise nicht absagen, so gerne ich das auch in diesem Moment tun würde. Sonst würde ich es auf ewig bereuen und ich freute mich ja auch wirklich darauf, ein neues Land und eine neue Schule kennenzulernen. Vielleicht neue Arten der Magie beigebracht zu bekommen.

In meiner Brust schlugen zwei Herzen. Das eine für Dean, meine Freunde und Hogwarts – meine Heimat. Und das andere lechzte nach Abenteuer, wollte mehr über meine Wurzeln erfahren und sich mit Sirius kopfüber in Gefahr stürzen. Jubelte das eine beim Gedanken an meinen Weggang, zerbrach das andere. Es war schwierig, doch ich hatte meine Entscheidung gefällt. Außerdem, wie ich nicht müde wurde zu betonen: es war nur für ein Jahr. Eigentlich sogar weniger, da die Ferien wegfielen. Vielleicht würde ich zu Weihnachten sogar nach Großbritannien reisen. Mal sehen.

Dean hatte absolut recht: unsere Beziehung wäre dabei eher wie eine Verpflichtung, ich musste weiteren Bedürfnissen nachkommen außer meinen. Er würde sich sorgen, wenn Briefe verspätet ankamen. Und mit der Muggelmethode von Kommunikation kannte ich mich nicht gut genug aus. Vielleicht könnte ich es lernen, aber war es nicht noch schrecklicher, die Stimme des Partners hören zu können, aber keine Zärtlichkeiten auszutauschen? Dem anderen nicht über das Gesicht streicheln können, kein Händchenhalten ... Das machte meine Sehnsucht noch größer.

Mein Blick fiel auf eine Herde Schafe neben den Gleisen und blieb an ihnen kleben. Sah ihnen beim kleiner werden zu, bis sie ganz verschwunden waren. Es würde nicht nur ein Abschied von Dean werden, sondern auch ein Abschied von einem Lebensabschnitt. Ohne meinen Paten in greifbarer Nähe wäre ich mehr denn je auf mich alleine gestellt. An der Schule kannte mich niemand (außer vielleicht der Schulleiterin, die zusätzlich zu meinem Brief noch einmal von Dumbledore auf meinen Besuch vorbereitet worden war) und ich kannte niemanden (außer vielleicht der Schulleiterin aus besagtem Brief).

„Ich werde dich vermissen."

Deans Kinn wippte auf meinem Kopf heftig auf und ab. „Und ich dich erst."

„Und glaube ja nicht, du würdest keine Briefe bekommen. Aus der Nummer kommst du nicht mehr so schnell heraus."

Sein Bauch bebte unter meinem Griff. Er lachte laut und das Geräusch wurde von den Hängen um uns herum zurückgeworfen. „Natürlich. Wenn jemand mit dem Nachnamen Black erst Gefallen an dir gefunden hat und dich in sein Herz gelassen hat, dann hast du ihn für immer an der Backe."

„Damit wirst du wohl leben müssen."

Ich versuchte, den bittersüßen Moment so gut wie möglich in meinen Erinnerungen festzuhalten. Die Steilheit der Berge, die mit zunehmender Reisedauer abflachten, der frische, wilde Fahrtwind, die stetige Geschwindigkeit des Hogwarts Express, auf den immer Verlass war und besonders das wärmespendende Gefühl von Deans Körper an meinem. Von alldem würde ich mich bald verabschieden müssen.

Aber noch nicht jetzt. Jetzt hatte ich erstmal noch die Zeit, alles in mich aufzunehmen. Und die verbleibende Zeit zu genießen. Mein Gesicht in den Wind zu halten, meine Locken verwuscheln lassen und Gedanken nachhängen. Wer wusste schon, wann ich wieder einen so friedlichen Moment erlebte. Obwohl das Gespräch so traurig angefangen hatte, fand ich diesen innigen Moment einfach nur wunderschön. 

Ich blinzelte wegen des Fahrtwinds und drückte Dean noch fester an mich. Er erwiderte die Geste. Und die Sonne schien auf mein Gesicht und wärmte mich bis in die letzte Pore.

Eleonora Black und Askabans Gefangener ∥ Ⅲ ∥ AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt