EINS.

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„Schon 8:34 Uhr?", fragte er sich, „na toll jetzt komme ich schon das zweite Mal zu spät". Mühsam rollt er aus dem Bett und starrt noch einige Sekunden verhasst auf den Wecker, dessen Vertrauen zu ihm immer weiter sank. „ Alles nur deine Schuld, wenn du nicht immer von selbst aus gehen würdest". „Für nen Kaffe reicht's wohl nicht mehr". In einer fast schon für seine Verhältnisse beachtlichen Geschwindigkeit zieht er sein blaues Polohemd über und greift in seiner Küche nach einer vertrockneten Brezel im Brotkasten. Gerade als er durch die Tür laufen möchte, bemerkt er einen Brief, der wohl am Tage zuvor schon in den Briefkasten geworfen wurde. „An Armin Blankhardt", „seltsam...das ist ja Handgeschrieben". Genervt Hängt er seine Jacke wieder an die Garderobe und setzt sich an den Küchentisch, um den Brief in Ruhe lesen zu können. Beängstigend verzieht er sein Gesicht, als wäre es in einer Art Starre gefangen, je weiter sein Blick den Brief streift. „Er ist...tod", flüstert er mit einer gebrochenen Stimme. „Die einzige Person, von der ich immer wusste, woher ich abstammte, ist tod!...". Armin war jetzt klar, was das für ihn bedeuten würde. Zur Arbeit ginge er natürlich nicht mehr, das stünde fest. „All die Jahre wollte ich nichts von ihm wissen, habe ihn ignoriert...aber zurecht! Er hat meine Mutter und meine Schwester ermordet, ich weiß es einfach. Hier in London bin ich am sichersten vor ihm gewesen...doch was wenn ich mich geirrt habe? Was wenn er all die Jahre über unschuldig war? In dem Brief steht noch etwas von der Beerdigung, die nächste Woche stattfinden wir-". Verloren in Schuldgefühlen und Trauer wird er von der Haustürklingel unterbrochen. Als würde Armin noch schlimmeres erwarten, läuft er gekränkt zur Haustür und erkennt schon von weitem eine dunkle Silhouette durch das vermummte Glas. „Hey, du bist ja noch gar nicht auf der Arbeit, hier sind ein paar frische Brötchen für di-...was ist denn los, du bist ja ganz bleich im Gesicht!Hab ich was falsches gesagt?". Armin war erleichtert, es ist nur Aurora, seine Nachbarin, die netterweise ab und zu vorbei kommt, um zu plaudern oder Kuchen zu essen. Er und Aurora kennen sich schon eine halbe Ewigkeit, um genau zu sein seit dem Armin von zu Hause in Irland nach London gezogen ist. Sie war nämlich seine beste Schulfreundin und ist als erste nach London gezogen, um Psychologie zu studieren. „Nein,es ist...nicht deine Schuld, ich habe nur gerade einen Brief bekommen. Hast du vielleicht gesehen, wer ihn eingeworfen hat, ich sehe nämlich nirgends eine Briefmarke". „Worum handelt der Brief denn, dass du so erschüttert wirkst? Wurdest du etwa erpresst?", fragte sie ihn. „Nein, nein..übrigens danke für die Brötchen. Es ist so, dass mein Vater vor zwei Tagen verstorben ist...komm nur rein". „Oh Gott, Armin...",rief sie. „Lass uns darüber bitte nicht hier draußen reden. Das ist etwas zu privat", flüstert er ihr zu. Beide laufen den Flur entlang in das recht kleine, aber gemütliche Wohnzimmer und setzen sich auf die ranzige Couch, die wohl schon einiges miterlebt hatte. Er erzählt ihr von dem Inhalt des Briefes und von seinen Bedenken bezüglich der bevorstehenden Beerdigung seines Vaters. In diesem Moment fällt ihm auf, wie geborgen er sich bei Aurora fühlt und dass sie bis zu dem Zeitpunkt ihm immer zur Seite stand, unabhängig von den verzwickten Lagen, in denen er sich befand. Er könne immer auf ihren guten Rat zählen, das stand fest. „Ich finde, du solltest es tun. Bedenke, er war und wird immer dein Vater gewesen sein, das weißt du auch. Denk doch mal logisch", meint sie, „du hast zwar nie wirklich an deinem Vater gehangen, jedoch kannst du durch ihn immer noch mehr über deine Herkunft erfahren, sofern du das noch möchtest". Armin zögert zunächst und gibt den Anschein, als würde er besonders acht geben bei seiner folgenden Antwort. „Mein Vater war kein guter Mensch, doch er war der einzige, der noch übrig blieb, was ihn in meinen Augen in einer gewissen Weise gut machte. Es gab einige Tage in meinem Leben, die ich einfach vergessen möchte, da ich an diesen von meinen Erinnerungen, meinen Erinnerungen an IHN, geplagt wurde. Ich habe mich für meine Herkunft geschämt, obwohl ich sie niemals kannte", gab er bestürzt zu. „Was ist mit dem hier und jetzt? Hat sich deine Denkweise heute verändert? Wenn ja, dann kann es nicht schaden, zur Beerdigung zu reisen und möglicherweise dadurch an Informationen zu gelangen", rät sie ihm. „Mal wieder hast du Recht. Mittlerweile bin ich in der Lage, die Vergangenheit hinter mir zu lassen. So schlimm es auch klingen mag, aber ich denke, dass durch den Tod meines Vaters nicht nur er selbst, sondern auch ein Teil dieser schrecklichen Vergangenheit mit ihm starb. Es scheint, als sei ich endlich einhundert Prozent sicher vor ihm, es stellt sich kein Widerspruch zwischen mich und diesem Gedanken". „ wenn das so ist, wann hast du vor abzureisen?", murmelte sie vor sich hin,als ob sie noch etwas von ihn erwarten würde. „Hey, du weißt ich würde dich liebend gerne einladen, jedoch denke ich, der beste Weg um diese Dinge aus der Vergangenheit verarbeiten zu können ist, wenn ich diese Fahrt alleine antrete. Bitte habe Verständnis dafür". „ Natürlich habe ich dafür Verständnis, du kennst mich doch.", lächelt sie ihn etwas verlegen an.

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⏰ Last updated: Nov 23, 2020 ⏰

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