Prolog

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,,Ey! Was glaubst du eigentlich, was du da machst?"

Im Nachhinein wird sicherlich klar werden, dass die Wahrheit die wohl schlechtsmöglichste Antwort auf diese Frage war, doch durch eine toxische Mischung aus den stärksten Migränetabletten, die ich auftreiben konnte, auf leeren Magen und Frustration, kann es schonmal dazu kommen, dass mein Gehirn aussetzt und purer Nonsense meine Lippen verlassen will. Zuvor befeuchte ich diese allerdings erstmal, immerhin kann man bei der Spannung, die auf ihnen liegt sehr wohl erwarten, dass sie reißen und dass die spröde Landschaft einem Krustenfeld weichen muss. Naiv wie ich in dem Moment bin, muss ich mich dann noch verplappern, was die Situation ganz sicher nicht besser macht.

,,Ich war das auf jeden Fall nicht!"

Es ist sicherlich schwierig, ihn davon zu überzeugen, dass nicht ich die Urheberin der Kerben in seinem Blech bin, immerhin stehe ich inmitten von Scherben genau neben der mutwillig zerstörten Fahrertür. Etwas resigniert lasse ich meinen Blick die Kratzer entlanggleiten, die sich in ungeraden Reihen über die ganze Länge des Metalls schlängeln. Ich muss nicht erwähnen, dass ich diese Linien viel akkurater gezogen hätte, immerhin studiere ich nicht ohne Grund Kunst, aber eine solche Äußerung macht weder den dunkelroten Lack heile, der das Licht der einsamen Straßenlaterne hinter sich nun noch mehr spiegelt als er es sonst täte, noch würde mir der junge Fahrer das glauben. Jedenfalls nehme ich das an. Er hat das Ausmaß generell noch gar nicht gesehen, sondern steht weiterhin auf der anderen Seite des Wagens. Ob die Seite auch so zugerichtet wurde?

,,Ach Nein? Und wer soll es sonst gewesen sein? Der Osterhase oder der Weihnachtsmann?"

Ich will dem Besitzer des teuren Sportwagens gerade ins Gesicht gucken, seine Markenkleidung wohl bemerkend, da ertönt ein schmervolles Keuchen hinter mir. Alarmiert fahre ich herum und erblicke den eigentlichen Grund, warum ich die Wohnung überhaupt verlassen hatte. Ich war durch den Zustand des Autos bloß zu sehr abgelenkt worden, was mir aber niemand übel nehmen kann, immerhin stehen solch teuren Autos selten in dieser Gegend offen auf der Straße, zusätzlich niemals in einer solchen Verfassung, doch das sollte mich nicht interessieren. Viel wichtiger ist die Person, die halb an die Fassade unseres Nachbarhauses gelehnt kauert. Inmitten seines eigenen Erbrochenem hängt ein gerade mal 21 jähriger Mann. Die Haare kleben ihm an der Stirn und ich bin mir sicher, dass seine Augen gerötet sind. Seine 1,80 Meter Körpergröße erscheinen in der zusammengesunkenen Position erheblich geringer. Seufzend ziehe ich den schmächtigen Körper an mich und hieve ihn auf die Füße. Zu meinem Glück vergisst er, immer wieder Nahrung zu sich zu nehmen, wenn er high ist, was an sich untypisch ist, aber es gibt wohl keine Mustererscheinungen wenn es um Halluzinogene geht. Der junge Mann lässt sich bereitwillig von mir in Richtung der verglasten Haustür des unscheinbaren Wohnhauses ziehen, das seine besten Zeiten auch hinter sich gelassen hat.

,,Hey, bekomme ich auch eine Antwort?"

,,Bevor du fragst, er war es auch nicht. Es war seine durchgedrehte Drogentussi, tut mir leid, falls du lieber den Weihnachtsmann anzeigen wolltest, der ist unschuldig."

Wir haben gemeinsam die Treppen, die das Haus vom Bürgersteig trennen, fast ganz erklimmen können, da ertönen laute Schritte auf dem Asphalt. Eine kräftige Brust schiebt sich zwischen mich und die Eingangstür und versperrt mir den Weg hinein. Der weiße Markenpullover, dessen Logo genau auf meiner Augenhöhe durch die gebeugte Körperhaltung prangt, enttarnt den Fahrer des Sportwagens.

,,Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich dich so leicht mit einer offensichtlichen Lüge davonkommen lasse?"

Ich würde am liebsten bitter auflachen, denn wenn er mir jetzt schon nicht glaubt, dann wird er die ganze Geschichte gar nicht nachvollziehen können und ich habe nicht die Zeit, um ihm alles zu erklären. Das will ich auch gar nicht. Die Kopfschmerzen kämpfen sich schon wieder gegen die Schmerztablette an die Oberfläche. Sein Parfüm ist aufdringlich und das erweckt den Mann neben mir, der sich die Hand auf den Mund hält.

,,Es ist mir egal, was du glaubst, aber wenn du da nicht weggehst, wird er dich garantiert ankotzen."

Sicherlich verdattert macht der Mann wirklich einen Spalt zwischen sich und der Haustür frei, den ich sofort ausnutze und die Tür mit meinem Finger entriegel. Noch nie habe ich diese Funktion genutzt, zu skeptisch bin ich gegenüber solcher Technologien, aber gerade ist sie unsere Rettung. Beinahe wäre ich über die Beine der Person gestolpert, die noch immer halb auf meiner Schulter und halb in meinem Arm hängt, doch ich bekomme uns unfallfrei in den vollkommen dunklen Flur bugsiert. Schnell drücke ich die Tür mit dem Fuß zu, damit der Sportwagenfahrer nicht auf die Idee kommt, uns zu folgen. Der weiß scheinbar gar nicht, wie ihm geschieht, denn er blickt uns verdattert über seine Schulter hinweg nach. Dann ist die Tür verschlossen und wir in Sicherheit vor ihm, auch wenn er nicht gewalttätig aussah, kann man nie vorsichtig genug sein. Ein Gerichtsverfahren wegen soetwas, wäre auch nicht vorteilhaft, denn wer glaubt schon einem drogensüchtigen Junkie und jemandem, der chronische Migräne hat und darum Tabletten schluckt, deren Beipackzettel sicherlich auch Geister heraufbeschwören könnten? Wir erreichen die Treppe gerade, da trommelt der reiche Schnösel gegen die Eingangstür.

,,Ey, ihr könnt doch nicht einfach gehen! Sag mir deinen Namen! Komm zurück! Ich befehle dir, die Tür zu öffnen!"

Ich ignoriere ihn, auch wenn er nicht aufhört, bis Frau Zirmski ihr Fenster öffnet und ihn lautstark daran erinnert, was der Begriff Nachtruhe bedeutet. Sie lässt ihm keine Zeit, um zu antworten, oder sich zu erklären, da droht sie schon weiter mit Polizei und anderem. Scheinbar reicht das aus, denn der Mann wird still und als wir auf dem der Straße zugewandtem Podest eine Pause machen, weil Erec aus dem letzten Loch pfeift, höre ich einen Wagen starten und dann mit denen für Sportwagen typischen Geräuschen davonbrausen. Selten war ich so froh über den Hausdrachen wie gerade, denn seitdem ihr Mann Nachtschichten schieben muss, ist ihr ihr Schlaf und die Einhaltung der Nachtruhe wichtiger denn je geworden. Vielleicht sollte ich in der nächsten Zeit etwas netter zu ihr sein, wenn ich sie im Treppenhaus treffe.

vorurteilhaftWaar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu