6. Ein Messer und ein Versprechen

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Yancy gab keinen Ton von sich, als Finn vorsichtig um sein Bett schlich und schliesslich seinen Dolch aus der Schneide zog. Das Metall kratzte leise gegen das Leder seines Gurtes; er trat ans Bett und streckte das Messer aus.

Der Magier wachte erst auf, als die Klinge schon an seiner Kehle ruhte. «Hmm!», machte er erschrocken und zuckte heftig zusammen, aber er kam nie dazu zu schreien. Finn hatte ihm einen Lappen vor den Mund gepresst, noch ehe er vollends zu Besinnung kam.

«Mach dir nicht die Mühe, zu schreien oder zu versuchen, mich zu beissen», raunte er ihm ins Ohr und zog ihn zu sich hin. «Ich kann dir sehr viel schneller die Kehle durchschneiden, als dass deine Diener es je hierher schaffen könnten. Und glaub ja nicht, dass ich es nicht tun werde. Du sagst, du hast die Gerüchte über Alex gehört, dann weisst du bestimmt auch, was sie über mich erzählen.»

Yancys Augen fanden in der Dunkelheit sein Gesicht und wurden noch eine Spur grösser ehe er sie wütend zusammenkniff. Er hatte ihn erkannt. Gut. Das würde ihn immerhin lehren, seine Familie in Zukunft in Ruhe zu lassen.

«Sehr gut», sagte Finn und zerrte den Mann in eine aufrechte Position.

Die Klinge seines Dolches stiess dabei sanft gegen den Hals des Magiers und er zuckte zusammen. Er spuckte ihm einige dumpfe, unverständliche Fluchwörter entgegen, aber Finn lächelte bloss düster.

«Solange du kooperierst, schneid ich dir deine Kehle nicht durch, keine Sorge.»

Der Magier funkelte ihn böse an und knirschte hörbar mit den Zähnen, dann wandte er stolz das Gesicht ab und nickte. Finn lockerte seinen Griff am Kopf des Mannes und liess das Tuch soweit sinken, dass er wieder richtig Luft bekam. Er schnappte tatsächlich gierig nach Luft, ehe Finn wieder fester zudrückte.

«So, Schätzchen. Schön, dass wir uns verstehen. Erster Schritt: du darfst jetzt Mal schön aus deinem Himmelbettchen aufstehen und mit mir kommen.»

Yancy murmelte mit geschlossenen Lippen etwas Unverständliches – Finn nahm stark an, dass es Protest oder mehr Fluchwörter waren. Er zog seinen Dolch weit genug zurück, dass der Spitz der Klinge nur noch von der Seite seinen Hals berührte.

«Keine Widerrede. Los, aufstehen.»

Es kostete ihn offensichtlich einiges an Kraft, aber Yancy kam tatsächlich auf die Füsse. Finn senkte zum Dank seinen Dolch bis auf die Höhe seiner Brust und stiess ihm die Spitze zwischen die Schulterblätter. Die andere Hand hatte er noch immer über seinen Mund gepresst.

«Zweitens: wir zwei machen jetzt einen kleinen Ausflug in dein Arbeitszimmer. Wenn du nach deinen Wachen rufst, schneid ich dir die Kehle durch. Wenn du irgendeinen deiner lustigen Sprüchlein brauchst, stoss ich dir diesen Dolch bis in die Lunge, bei allen anderen Tricks schneid ich dir erst die Nase und dann eine Hand ab. Verstanden?»

Yancy wandte wieder barsch den Kopf ab. Finn folgte der Bewegung mühelos und drückte die Spitze etwas fester gegen seinen Rücken.

«Verstanden?», wiederholte er.

Zähneknirschen, aber dann nickte der Magier widerwillig und Finn lächelte.

«Sehr gut. Ich nehme jetzt die Hand von deinem Mund, aber denk an unsere Abmachung. Du hast keine Chance.»

Der Magier nickte wieder und Finn liess langsam die Hand sinken. Yancy holte abermals tief Luft und er stiess seinen Dolch noch etwas fester zwischen dessen Schulterblätter, aber er schrie wirklich nicht.

«Los. Du kennst den Weg.»

***

Yancys Arbeitszimmer wirkte im schwachen Mondenschein noch viel grösser, als im Sonnenlicht des Nachmittags, aber Finn liess sich dadurch nicht beirren. Er hatte sich jeden Winkel des Raumes eingeprägt und selbst ein Magier wie Yancy war nicht allmächtig oder unsterblich. Langsam, aber sicher schien der Gedanke auch bei ihm anzukommen.

Die verlorene ProphezeiungWhere stories live. Discover now