1 Haruki

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Nachdenklich zog Haruki an der Zigarette und lehnte sich über das Geländer des Balkons. Der Wind spielte mit seinem Haar und er strich sich eine der blonden Strähnen hinters Ohr. Das nächtliche Tokio pulsierte vor Leben. Dennoch fühlte er sich so einsam wie schon lange nicht mehr. Der Grund dafür lag auf dem Sofa und schlief. Akihiko Kaji, seine heimliche Liebe und Schlagzeuger in ihrer Band ‚Given'.

Er wusste nicht, warum er sich das antat. Und das schon so lange. Er sollte das hinter sich lassen, denn schlimmer als jetzt konnte es kaum noch werden. Nur wie? Wie konnte man sich entlieben?

Akihiko war nicht wirklich an ihm interessiert, aber dennoch hielt er in wie ein Welpe an der Leine. Eine Leine, die Hoffnung hieß und die sich fest um sein Herz geschlungen hatte. Zum Zerreißen gespannt, wie eine Gitarrensaite. Aki brauchte sie nur sachte zu touchieren und sie schickte Schwingungen zum Herzen, die es jedes Mal explodieren ließen. Ein kleines Lächeln, eine Berührung seiner Haare....

Haruki war nicht naiv, brachte er es aber nicht fertig, die Fessel zu durchtrennen, die er sich selbst angelegt hatte. Und ihm war auch längst klar, dass Aki sie nicht nur fest in der Hand hielt, sondern dies ausnutzte, indem er sie als seine persönliche Rettungsleine benutzte. Die ihm half, nicht selbst in seiner eigenen unglücklichen Liebe zu ertrinken.

Womöglich wäre er immer zufrieden gewesen, seinen Freund von ferne anzuhimmeln, doch etwas hatte sich verändert. Ritsuka Uenoyama, der E-Gitarrist, hatte den Oberschüler Mafuyu Sato in ihre Band gebracht. Und sein Lied hatte Haruki tief berührt und daran erinnert, wie kurz doch so ein Leben war. Aber vor allem, wie einsam er sich fühlte.

Die Glastür wurde aufgeschoben und Akihiko trat auf den Balkon. Er fuhr sich müde durch sein kurzes blondes Haar. Selbst so schlaftrunken sah er einfach zum Anbeißen aus.

„Alles klar bei dir?" Wie selbstverständlich strich er ihm eine verirrte Strähne hinters Ohr und hielt die Haarspitzen fest. Wickelte sie kurz um den Finger. Er lächelte Haruki an.

Da war es wieder, dieses kleine Lächeln, dem Haru einfach nichts entgegenzusetzen hatte. Das ihm das Herz erschütterte und ihm weiche Knie verschaffte. Für ein paar Sekunden sah er ihn versteinert an. Er sollte nach seiner Hand greifen, ihn zu sich ziehen und geradewegs küssen. Doch das würde er sich nie trauen.

„Ähh ... – Ich habe gerade eine Nachricht von Ritsuka erhalten. Er ist mit Mafuyu auf diesem Fest. Das ist doch sozusagen ihr erstes Date. Die zwei sind echt süß zusammen. Wenn auch nicht sehr diskret. Sie mal! Ritsuka hat ihm Zuckerwatte gekauft." Er zeigte ihm das Foto auf dem Smartphone.

Aki legte die Stirn in Falten. „Ich befürchte, das wird nicht lange halten."

„Was? Wieso denn das? Die zwei sind so verliebt, wie es nur Teenager sein können."

Sein Freund zündete sich eine Zigarette an seiner an. Nachdenklich sah er hinab über die Stadt. „Mafuyu trägt so viel Müll aus der Vergangenheit mit sich herum. Ich bezweifle, dass er den hinter sich lassen kann. Auch wenn er es wahrhaft versucht. Und noch mehr bezweifle ich, dass Ritsuka reif genug ist, damit umzugehen. Denn Mafuyu wird es immer nur zusammen mit diesem Ballast geben."

„Das kann doch nicht dein Ernst sein. Seit wann bist du so pessimistisch?"

„Versteh mich nicht falsch, ich glaube schon, dass Mafuyu Ritsuka aufrichtig liebt. Aber die Ketten, die ihn an seine verstorbene Liebe fesseln, wird er nie abstreifen. Er wird immer zwischen den Beiden stehen und zwischen jedem anderen, mit dem Mafuyu je eine Beziehung führen wird. Dieser Yuki wird immer wie ein Damoklesschwert über ihnen schweben und dann herabstoßen, wenn es am meisten weh tut. So ist die Liebe nun mal. Ein scharfes Schwert, das eine Seele bluten lässt. Und Ritsuka, der immer so tut, als wäre er ein harter Junge, hat keine Ahnung von der Liebe und wie sehr sie einen verzehren kann, wenn man nach etwas hungert, dass einem nie ganz gehören wird."

So sah er also die Liebe. Eine zerstörerische Kraft. Und erst jetzt begriff er, wie sehr Akihikos Seele blutete und dass er nie bereit sein würde mehr zu geben als nur Freundschaft. „Rede nicht so einen Unsinn! Die zwei haben eine Chance verdient. Und mit ein bisschen Hilfe..."

„Den Beiden ist nicht zu helfen! Sie hatten nie eine wirkliche Chance. Letztendlich wird Ritsukas Herz brechen. Er wird es sich selbst herausreißen, da ihm Mafuyu nie ganz gehören wird und es genau das ist, was er sich wünscht und was er braucht."

„Was redest du da? Liebe reißt dir nicht das Herz heraus und trampelt darauf herum. Ist sie nicht das, was zwei Herzen miteinander verbindet, wenn man mutig genug ist, sie zu lassen? Nur Liebe vermag das zu schaffen, egal wie viel Ballast man herumträgt. Sie verleiht dir Flügel und lässt dich alle Hindernisse überwinden. Alles was du brauchst, ist Mut." Er hörte die Worte aus seinem eigenen Mund. Worte, an die er einfach glauben musste. Auch wenn er befürchtete, dass er nie mutig genug sein würde. Nie stark genug.

„Träum weiter Haruki! So ist die Liebe nicht. Sie ist eine Leidenschaft. Viel zu gewaltig und verzehrend. Liebe ist wie die Hoffnung heimtückisch. Mag sein, dass Liebe dir Flügel verleiht und dich das Fliegen lehrt. Nur, um sie dir zu brechen. Aber nicht bevor sie jede Feder einzeln herausgerissen hat und du blutend im Dreck liegst. Sie fesselt dich. Macht dich verletzlich. Nackt. Schlägt dir tiefe Wunden. Und dennoch kannst du sie niemals ganz loslassen."

„Redest du von Ritsuka und Mafuyu, oder von dir und diesem Geigen-Virtuosen Ugetsu." Harukis Stimme war mit einem mal eiskalt. Er erkannte sie selbst nicht wieder. „Du wohnst doch noch immer bei ihm in diesem schicken Souterrain. Obwohl er längst einen anderen hat. Wenn dich jemand darauf anspricht, nennst du dich scherzhaft einen Schmarotzer. Aber du weißt so gut wie ich, dass der wahre Parasit dieser Ugetsu ist. Dass er ein guter Musiker ist, macht ihn noch lange nicht zu einem guten Menschen. Er hat dich fallen lassen wie eine heiße Kartoffel und dir gleichzeitig Ketten angelegt, die dich an ihn binden. Und während er dir ins Herz sticht, leckt er jeden Tropfen Blut genüsslich auf." Er kämpfte mit den Tränen.

Akihikos Augen verengten sich. „Du kennst ihn doch überhaupt nicht, wie kannst du dir ein Urteil erlauben?"

„Aber ich kenne dich. Und du könntest einem fast leidtun, wärst du nicht genau so schlimm wie er. Um sich entwickeln zu können, muss man die Fesseln lösen, die einem in der Vergangenheit festhalten. Verdammt! Warum richtest du deinen Blick nicht mal nach vorne?"

Akihikos Brauen wanderten nach oben. „Was...?"

„Ach vergiss es! Ich glaube, es ist besser, du gehst jetzt. Wir sehen uns im Studio."

Akihiko sah Haruki einige Sekunden an. Dann schloss er kurz die Augen, atmete tief durch und verließ wortlos die Wohnung.

Haruki schlug sich die Hand vor den Mund. Er war zu weit gegangen. Ohne etwas über Ugetsu oder über Akihikos Beweggründe zu wissen, hatte er ihm all seinen Zorn, seine Verzweiflung wie ein tollwütiger Hund ins Gesicht gebellt. Und jetzt war er weg und er war wie immer allein. Allein mit all seinen Gefühlen, die ihn nun drohten zu verschlingen. Auf einmal rannen ihm Tränen über die Wangen und ließen sich nicht mehr stoppen.

Given - Love is ...Where stories live. Discover now