17 - Matthias Green

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„Wir müssen ihn feuern", fordert Siren geradeheraus. Sie hat ihr Klemmbrett an die Brust gepresst und scheint wild entschlossen, mich heute noch loszuwerden.
Ihre fünfzehn Minuten lange Schilderung der Geschehnisse, die meinen Regelverstoß in all seinen Farben strahlen lässt, spricht da eine ziemlich klare Sprache. Gerichtet war die Rede an Ava, die blau und halb durchsichtig als Hologramm vor uns in der Luft schwebt.

„Wäre durchaus eine logische Konsequenz", steuere ich - in meinen Augen sehr hilfreich - bei und ernte einen leicht verwirrten Seitenblick der Generalin.
Avas ist inzwischen unverhohlen genervt. Sie nimmt einen Zug von ihrem Kaffee, der ein bekanntes grünes Markenlogo trägt, und sagt:
„Nein."

Ich runzle die Stirn, tausche einen Blick mit der Generalin.

„Wie nein?", frage ich zurück.

Ava kaut an ihrem Strohhalm und senkt dann ihren Becher.

„Van Haven will, dass du aufgeräumt bist, bis ihr im Core ankommt. Und diese Kinder scheinen dich erstklassig zu beschäftigen."

„Bei allem Respekt, hier geht es doch nicht um ihn", fährt Siren auf, „Ich trage die Verantwortung für über tausend Rekruten. Das ist schon schwer genug, wenn nicht eines der Jet Teams alle fünf Minuten in Lebensgefahr schwebt."

„Durch mich", betone ich noch einmal, um ja auch alle Schuld auf mich zu nehmen und hoffentlich doch noch StarTrek schauen oder ein Buch schreiben zu können, anstatt meinen Grundschülern Anki Karten zu basteln.

Ava kaut an ihrem Strohhalm und überlegt einen Moment. Als sie zu grinsen beginnt, weiß ich, dass mein letztes Stündlein geschlagen hat.

„General, haben Sie je von der Möglichkeit der DMFLT gehört?"

Siren kneift die Augen zusammen und schüttelt den Kopf.
Sie hat keine Lust mehr auf Ava. Ich weigere mich zu glauben, dass ich es bin, der ihr solche Kopfschmerzen bereitet.

„Degradation Mechanism for limited time", spricht Ava meinen schlimmsten Albtraum aus und erntet ein „Vergiss es!" aus meiner Richtung.

„Ich bin durchaus interessiert", sagt die Generalin trocken.

„Nein, nein, ganz schlechte Idee", versuche ich das drohende Übel abzuwenden, indem ich hilflos mit den Armen fuchtle. Auch sonst bin ich sehr gut darin, Probleme zu lösen.

„Entweder du kümmerst dich anständig um deine Rekruten, oder wir degradieren dich, bis du im Core bist", grinst Ava ihr patentiertes ‚Böse-Stiefmutter-Lächeln', das erneut erstklassig in einen Disney Film gepasst hätte.

„Wenn du das auch nur versuchst, melde ich dich bei van Haven!", drohe ich, obwohl ich genau weiß, dass ich am kürzeren Hebel sitze.

„Green, der General hat momentan andere Probleme als Sie. Es herrscht Krieg, falls ich Sie daran erinnern darf", sagt sie und schiebt sich die Brille die Nase hinauf, „Außerdem bin ich Ihre persönliche Koordinatorin. Ich entscheide, solange Sie sich nicht in die ganz großen Sachen einmischen."
Sie schlürft bedeutungsschwer ihren Kaffee.

„Dann werde ich mich wohl in naher Zukunft in die ganz großen Sachen einmischen", folgere ich todernst.

„Unterstehen Sie sich", schnappen Ava und Siren gleichzeitig.
Ich hebe beschwichtigend die Arme.

„Ernsthaft, braucht mich die Föderation nicht irgendwie so sehr für den Krieg, dass sie mich hier rausholen?", frage ich entnervt. Wieder schlürft Ava ihren teuren Kaffee, bevor sie antwortet.

„Wir haben die Vermutung, dass Sie gechippt wurden, Green."

Mein Mund klappt auf und dann wieder zu, als wäre ich ein eben aus dem Wasser gezogener Fisch.

„Gechippt? Ich?", bringe ich hervor und schiebe ein nervöses Lachen hinterher, „Niemals."

„Wir haben einen VHN Zerstörer auf den Monitoren, der auffällig Kurs gewechselt hat", sagte Ava, „darüber wollte ich eigentlich mit Ihnen sprechen. Es könnte natürlich etwas Internes, oder einfach Zufall sein, aber besagter Zerstörer schneidet nun Ihren Weg."

Stille kehrt ein.
Mit einem Chip ist nicht zu spaßen, das habe ich auf die harte Tour lernen müssen. Die stecknadelkopfgroßen Computer werden benutzt, um hochrangige Personenziele zu markieren. Meist ist das Ziel, geheime Routen des Feindes auszukundschaften oder einen Überblick darüber zu haben, wo dieser seine Kräfte stationiert. Außerdem ist es auch ein Leichtes, Kopfgeldjäger auf jemanden anzusetzen, von dem man weiß, wo er sich befindet.
Ich schlucke. Wenn sie mich wirklich gechippt haben, bin ich eine Gefahr für jede Operation. Dann mache ich in dieser Sekunde das gesamte Schiff zum Ziel.

Ich fahre zu Siren herum.
„Hat man mich nicht untersucht?"

Diese ist überrumpelt.
„Sie sind direkt in den OP gebracht worden."

„Aber hat man mich untersucht?!"

Sie blinzelt, greift nach ihrer DataWatch, wendet sich ab.

„Dr. Brown? General Tailor hier. Ich muss wissen, welcher Arzt den Sunhunter untersucht hat, als er ankam. Jetzt."

Sie steht mit dem Rücken zu mir, doch ich kann die Panik fühlen, die in ihr hochkriecht. Hauptsächlich, weil ich selbst kurz davor bin, durchzudrehen. Ich bin natürlich davon ausgegangen, dass man mich auf Chips untersuchen würde. Das gehört zum Protokoll. Wenn sich jetzt herausstellen sollte, dass die Föderation gerade dabei schlampig geworden ist, dann haben wir ein riesiges Problem.

Das hier ist ein Ausbildungsschiff voller Rekruten, an sich schon ein dicker Fisch für die VHN.
Wenn sie herausfinden, dass auch noch der Sunhunter an Bord ist, der Wazekyas Politiker gerettet hat, sind wir nicht nur ein dicker Fisch, sondern ein Blauwal mit einer Zielscheibe auf dem Rücken.

„Der Sunhunter?", fragt ein Mann aus Sirens DataWatch, „Eine Sekunde."

Ich beginne auf und ab zu gehen und tausche angespannte Blicke mit Ava, die sogar aufgehört hat, ihren Kaffee zu trinken.
Kein Gerede mehr von der unsinnigen Degradierung auf Zeit. Das hier ist ernst. Es stehen Menschenleben auf dem Spiel, tausende davon.
Wenn die VHN dieses Schiff ins Visier nimmt, haben wir nicht mehr viele Möglichkeiten.
Beten zählt dazu und ist mit die Erfolgversprechendste.

„Dr. Benedict Brice hat die Untersuchung vorgenommen", informiert uns Dr. Brown,
„Gibt es ein Problem?"

Siren antwortet nicht, sondern unterbricht die Verbindung.
Keine zwei Sekunden später tönt ein verunsichertes „Brice?" aus der Watch.

„Haben Sie, als Sie den Sunhunter untersucht haben, einen DataDot Scan durchgeführt?", fragt sie, ohne auch nur ein Hallo an den Arzt zu verschwenden.

Stille.
Mein Herz hämmert in meiner Brust. Sekunden werden zu Stunden, während Siren auf die Antwort wartet. Sie hat die linke Hand zur Faust geballt, als würde sie gerne jemanden schlagen.

„Einen DataDot Scan? Das ist normales Protokoll."

„Haben Sie einen durchgeführt?"

Stille.

„Ja, natürlich. Ich bin mir sicher, dass ich einen durchgeführt habe. Ich kann Ihnen sofort den Bericht zugänglich machen, General."

Meine Schultern sacken nach unten und ich atme tief durch.
Immerhin etwas.

„Ich bitte darum."

Siren schließt ihr Gespräch und wendet sich wieder Ava und mir zu.

„Hm", macht Ava und fummelt den Strohhalm aus ihrem Getränk, um ihn abzulecken, „wohl ein Fehlalarm."
Ich schnaube, während mein Puls sich langsam wieder beruhigt.

„Wie auch immer", setzt meine Koordinatorin an, „Sie bleiben im Ausbildungseinsatz, Green. Und wenn sie sich nicht benehmen, lasse ich sie auf Zeit degradieren. Haben wir uns verstanden?"

Zähneknirschend nicke ich, während Siren ein leises Lächeln auf die Züge schleicht.

„Und vergessen Sie ihr Dinner mit dem Captain nicht, Sunhunter", erinnert sie mich spitz, sobald Ava sich mit einem lautlosen „See you later, Loser" in meine Richtung verabschiedet hat. Nicht einmal der beste Wein der Galaxie kann mir diesen Tag noch versüßen.

~ ☀️ ~

SunhuntersWhere stories live. Discover now