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Am nächsten Morgen erwache ich, weil es mir vorkommt, als hätte mir jemand mit dem Hammer gegen den Kopf geschlagen. Stöhnend reibe ich mir mit Daumen und Zeigefinger die Augen, ehe ich sie öffnen kann.
Mir tut so vieles weh, ich weiß gar nicht, was am meisten schmerzt. Der Muskelkater in meinem Oberschenkel? Der in meinem Kiefer? Der in meiner rechten Hand? Oder der in meinem Kopf?
»Scheiße«, fluche ich leise, als mir die vergangene Nacht in den Sinn kommt. Vorsichtig drehe ich meinen Blick zum Platz neben mir und seufze erleichtert, diesen leer vorzufinden.
»Scheiße«, fluche ich erneut und setze mich auf.
Verzweifelt reibe ich mir mit beiden Händen durchs Gesicht und wünschte, ich hätte den Blackout meines Lebens.
Nur leider ist mir dies nicht gegönnt. Ich erinnere mich an jede Einzelheit, und auch daran, wie sehr ich es gewollt habe. Obwohl ich es unsagbar bereue mit Morgan ins Bett gegangen zu sein, muss ich gestehen, dass es der beste Sex war, den ich seit Jahren hatte. Ausdauernd, kreativ und dominierend.
»Scheiße« stoße ich erneut aus und erhebe mich, weil nur schon die Erinnerung daran ausreicht, erneut das Bedürfnis nach ihr zu verspüren.
Ich durchwühle meine Handtasche nach meinem Handy und als ich es habe durchstöbere ich meine Kontaktliste.

Amber (10:24 am): »Wir haben einen Fehler gemacht.«

Achtlos lege ich mein Handy auf den Tisch und lege meine Hand nachdenklich auf die Stirn. Wie soll ich das nur rechtfertigen? Vor allem mir selbst gegenüber? Wieso habe ich mich darauf eingelassen? Wieso konnte ich ihr nicht widerstehen? Ich hatte doch gar keinen Grund dazu, mit ihr ins Bett zu gehen. Noch dazu ist sie eine Frau. Ja, sehr attraktiv, aber ...
Erneut nehme ich das Handy, um ihr weitere Worte zu schreiben.

Amber (10:26 am): »Das hätte nicht passieren dürfen!«

Abwartend und ungeduldig starre ich den Chat mit ihr an und warte darauf, eine Antwort von ihr zu bekommen. Als das nicht passiert, greife ich mir frustriert in die Haare und laufe im Raum auf und ab. Dabei vermeide ich den Blick zum Bett und zum Bad, weil beides dafür sorgt, sofort wieder die Erinnerung an letzte Nacht vor meinem inneren Auge zu sehen und erneut Gefallen daran zu empfinden.
Es war unglaublich schön, gar keine Frage, trotzdem hätte ich das nie zulassen dürfen. Was zum Geier war bloß los mit mir?
Hastig entsperre mein Handy, als es vibriert.

Morgan (10:30 am): »Du wolltest mich, ich wollte dich. Wir haben beide bekommen, was wir wollten.«
Amber (10:31 am): »Und trotzdem hätte es nicht passieren dürfen!«
Morgan (10:31 am): »Mach' jetzt kein Problem daraus.«
Amber (10:31 am): »Doch, das tue ich, denn es ist ein Problem.«
Morgan (10:31 am): »Aber nicht meines.«

Diese Situation überfordert mich, weil ich eine solche noch nie erlebt habe. Egal, wie betrunken ich bisher gewesen bin, noch nie hatte ich das Bedürfnis, mit einem Menschen ins Bett zu gehen, für den ich keine Gefühle hege; der mir im Grunde völlig fremd ist.
Das Schlimme an der ganzen Sache ist: Ich war mir vollkommen bewusst, was ich dort tat. Ich war alles andere als unzurechnungsfähig. Ich wusste, es wird ein großer Fehler sein; ich wusste, ich würde es im Nachhinein bereuen, aber all das war mir in diesem Moment einfach egal.
Ich wollte Morgan. Ich weiß noch nicht mal, wieso das so war; wieso ich das so empfunden habe, aber ich war mir dem absolut bewusst.
Selbsthass durchströmt mich, weil ich etwas getan habe, das ich nie tun wollte. Nie.
Ich bin verheiratet und das eigentlich sehr glücklich. Verheiratet mit einem Mann, und das seit über zehn Jahren. Gemeinsam haben wir zwei Kinder.
Nichts rechtfertigt meine Handlung von letzter Nacht; ich hatte überhaupt keine Gründe, meinen Mann zu betrügen

Amber (10:42 am): »Das darf nie wieder vorkommen!«

Sie soll es wissen. Und sie soll wissen, mir auch nie wieder zu nahe zu kommen, oder mir ihre betörenden Blicke zu schenken. Denn ganz sicher sind diese daran Schuld, wieso ich all meine Prinzipien über Bord geworfen habe.
Es wird nicht vermeidbar sein, dass wir uns immer mal wieder begegnen. Immerhin ist sie meine Bank. Noch dazu ist diese ebenfalls Teil von Biscayne Network Security, ebenso wie meine Kanzlei auch.

Morgan (10:55 am): »Ich hatte ohnehin nicht vor, das mit dir zu wiederholen.«

Eigentlich sollte mich diese Antwort freuen, weil sie damit klarstellt, mir nie wieder zum Verhängnis zu werden - und doch verletzen mich diese Worte.

Amber (10:55 am): »Wieso? War ich dir etwa nicht gut genug?«

Wütend werfe ich das Handy wieder auf den Tisch und trinke einen kräftigen Schluck aus der Wasserflasche. Mich über ihre Nachrichten, oder vergangene Nacht aufzuregen, kurbeln meine Kopfschmerzen an. Vor mich hin fluchend durchwühle ich deshalb meine Handtasche, in der Hoffnung irgendwo darin Schmerztabletten zu finden.

Morgan (11:00 am): »Ich hatte dich. Mehr wollte ich nicht.«

Diese Antwort schockt mich. Morgan machte nicht den Anschein, als wäre sie diese Sorte Mensch. Eher als hätte sie auch einfach nur ein wenig Spaß gesucht und sich auf ein kleines Abenteuer einlassen wollen.
Sie hat so viel Mühe und Geduld in mich investiert, und das alles nur, um mich einmal zu haben?
Plötzlich fühle ich mich so schmutzig und entehrt. So dumm und naiv.
Nur eine weitere Trophäe in ihrer Sammlung.

Amber (10:28 am): »Du Miststück! Und dafür habe ich meine Ehe aufs Spiel gesetzt!«

Auch wenn ich froh darüber sein sollte, dass es auch für sie nur eine einmalige Sache war und ich deshalb nicht Gefahr laufe, mit ihr in eine Affäre zu rutschen, die einfach alles zerstören würde, so tun mir ihre deutlichen Worte doch weh. Aber wieso? Weil sie mein Ego ankratzen? Oder weil die Nacht mit ihr für mich nicht ganz so bedeutungslos war?
Auf meine Nachricht erhalte ich jedenfalls keine Antwort mehr von ihr.
Stunden. Tage. Wochen. Monate.

MorganDonde viven las historias. Descúbrelo ahora