25 - Vergebung

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„Ich komme nachher wieder. Bringe nur schnell die Jacke zu Elise." Ich warte, bevor ich in meinen Wagen einsteige. Mein Vater hält sich bei dem Audi auf – ich habe gesehen, dass dort zwei Tüten im Kofferraum liegen. Was dort drinnen ist? Keine Ahnung. Will ich das wissen? Nein, eher nicht.

„Tu' das", gibt er schlicht zurück. „Du weißt ja, wo sie wohnt." Allein die Zeit müsste verdammt verdächtig sein. Mal hoffen, dass er darauf anspringt. „Fahr' vorsichtig." Er behält mich im Auge, als ich mich schließlich auf dem Sportsitz niederlasse und das Fahrzeug starte. Ich erwidere seinen undefinierbaren Blick eher flüchtig, wenngleich in meinem Kopf viele Ansätze und Gedanken umhergeistern. Ich hebe sehr leicht die Augenbrauen und rolle danach vom Hof. Rückwärts. Das ist einmal sehr blöd ausgegangen; die hintere Stoßstange kann davon ein Lied singen. Aber was ist schon ein Auto ohne Gebrauchsspuren? Wenigstens hat es mein Vater  relativ gelassen hingenommen, zumal der entstandene Schaden nicht allzu gravierend ausgefallen ist. Ich werfe einen prüfenden Blick nach hinten. Alles frei. Vorerst. Das schwere Tor gleitet automatisch zu. Ein tiefer Seufzer meinerseits. Elise weiß natürlich nicht, dass ihre Jacke bei mir liegt. Die wird sie höchstwahrscheinlich erst Montag wiederbekommen. Er wird mir folgen, da bin ich mir sehr sicher. Ein ungutes Gefühl breitet sich in der Brust aus, als ich losfahre. Keine Musik. Stille um mich herum, Krach in meinem Kopf. Ich muss es schaffen, also mich auf diese Fahrt konzentrieren. Beide Hände liegen auf dem Lenkrad, der Blick schweigsam nach vorn gerichtet. Die Sonne verkriecht sich allmählich hinter die Wolken. Graue Wölkchen hängen träge am Himmel. Der Verkehr ist überschaubar. Erste junge Menschen streunern als Grüppchen durch die Straßen. Ein Hinweis dafür, dass die ersehnte Nacht angebrochen worden ist.

Warum habe ich nichts hinter mir gesehen? Ich habe alle zwanzig Sekunden in den Innenspiegel geschaut. Einfach, um mich zu vergewissern, dass mein Vater mir auf den Versen ist. Gar nichts, und wenn, dann von jemand, der mich sowieso überholt hat. Das ist bestimmt einer seiner Tricks. Er ist hier irgendwo. Die Haltung spannt sich etwas an. Ansonsten ist während der vierzigminütigen Fahrt nichts Spannendes passiert. Kein Tier, kein verrückter Irrer. Stellenweise bin ich schneller als erlaubt gefahren. Nicht viel, höchstens fünfzehn Stundenkilometer. Ich kann es kaum erwarten. Ob ich mich verfahren habe? Ja, einmal. Bei der letzten Kreuzung bin ich zu früh abgebogen. Glücklicherweise habe ich es rechtzeitig festgestellt und zügig gewendet. Zum Nachteil der anderen Fahrer; ich habe beide Fahrspuren blockiert. Na ja, ich komme nicht von hier. Ich darf mir das ausnahmsweise erlauben.

Er ist längst angekommen. Hat Jakub lange auf mich gewartet? Eine eigenartige Kälte tastet sich durch mich, als ich auf den spärlich besetzten Parkplatz fahre. Jakub steht genau da, wo wir letztes Mal auf ihn gewartet haben. Von Weitem sieht er wie ein Teenager aus, der auf seine Verabredung wartet, nur um Berlin unsicher zu machen. Ein schwarzer Kapuzenpullover, eine Sportsshorts; man würde niemals darauf kommen, dass er mittlerweile dreiundvierzig Jahre alt ist.

Jakub hat mich entdeckt. Er sieht von seinem Handy auf und beobachtet, wie ich einen großzügigen Bogen beschreibe und anschließend vor ihm anhalte. Die Kapuze nicht aufgesetzt, ist das Erste, was mir direkt ins Auge fällt, diese gruselige Narbe und das weiß-graue Auge. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie er wohl gewesen sein muss, als er unter dem Einfluss seiner Drogen gestanden hat. Jetzt oder nie, denke ich und atme tief durch. Jakub bewegt sich nicht vom Fleck. Wartet, bis ich von allein aussteige. Das Handy ist derweil in der Hosentasche abgetaucht. Meine Sachen bleiben im Handschuhfach verstaut. Ich nehme den letzten Mut zusammen und steige aus. Erwidere seinen ruhigen Blick. Warum muss er unbedingt wie ein Mittzwanziger aussehen? Verdammter Mist. Ich trete einige Schritte vor. Lehne mich an die Motorhaube meines Wagens.

„Mein Vater weiß hiervon nichts", eröffne ich das Gespräch. „Es wäre daher echt schön, wenn's nicht allzu lange dauern wird." Ein sanfter Windzug fährt durch meine Haare. Ich streiche mir einige Strähnen aus dem Gesicht. „Wie steht es um Mikołaj?" Ich kann kaum von seinem ansehnlichen Sportwagen wegschauen. Ein tiefroter Farbton, gezielt gesetzte schwarze Akzente. Der breite, aber schnittige Heckflügel. Dann der Fakt, dass dieser Porsche mittlerweile eine Leistung von tausendeinhundert PS aufweist. Wie viel Geld wohl in diesem Auto steckt?

Symmetrie der HerzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt