„Lass gut sein.", sagte ich bloß und bückte mich, um in den schmalen Hohlraum zu kriechen. Ein Glück, dass ich relativ wendig war. Somit hatte ich keine Probleme, mich in den Spalt zu quetschen. Dabei stieß ich mich nicht einmal irgendwo. Tatsächlich war der Spalt länglich, sodass genau eine Person hineinpasste. Bloß durfte diese nicht allzu groß sein. Ich konnte mich noch gerade so bewegen. Allerdings war wenige Zentimeter über meinem Kopf auch schon die Decke.

„Ich schließe den Hohlraum wieder, in Ordnung?", fragte Bill vorsichtig.

„In Ordnung.", erwiderte ich. Sobald Bill die Stelle des Kofferraumbodens wieder schloss, war es stockdunkel. Dies kombiniert mit der Enge, rief unerwünschte Erinnerungen in mir wieder auf. Erinnerungen, auf die ich eigentlich gut verzichten konnte. Erneut war ich eingesperrt. Dieses Mal zwar nicht in einer Glasröhre oder einer Glaszelle, dennoch eingesperrt. Und dieses Gefühl gefiel mir überhaupt nicht. Tatsächlich erinnerte es mich eher an die Glasröhren, die es damals im Ambrosia-Gebäude gab. Aber dieses Mal war es anders. Ich würde wieder hier raus kommen. Sobald wir London verlassen hatten. Also atmete ich einmal tief ein und aus. Jetzt durfte ich nur nicht die Nerven verlieren.

Das Wackeln des Autos verriet mir, dass Bill und Lucius nun einstiegen. Tatsächlich konnte ich sie sogar reden hören.

„Hier. Setzt diese Perücke auf. Und hier hast du noch die Brille." Es gab eine kurze Pause. „Und zieh am besten dieses Hemd an. So wirkst du vielleicht etwas mehr wie ein Praktikant." Das war ganz klar Bills Stimme.

„Und das reicht aus, um mich nicht zu erkennen?", wollte Lucius nach wie vor skeptisch wissen.

„Aber sicher.", meinte Bill. „Du wärst überrascht." Ein lautes Knattern ging durch das Fahrzeug und es begann leicht zu ruckeln. Bill hatte den Motor angeschaltet. Tatsächlich hatte er recht gehabt, was die Lautstärke anging. Es war nicht sonderlich angenehm. Außerdem fühlte es sich an, als würde sich mein Kopf genau über dem Motor befinden. Für mein verbessertes Gehör war das nicht gerade wohltuend.

Das Auto setzte sich in Bewegung und Bill drückte auf das Gas. Dabei fing der Motor laut an zu heulen. Daraufhin verzog ich mein Gesicht.

„Hey, kannst du das nicht vorsichtiger machen?", kritisierte Lucius unseren Fahrer.

„Entschuldigung.", murmelte Bill und tatsächlich bemühte er sich von nun an, auf die Lautstärke des Motors zu achten.

„Sag mal, wenn du Mutanten schmuggelst, haben die sich nie wegen der Lautstärke beschwert?" Lucius klang relativ gereizt. Da Bill nichts sagte, ging ich davon aus, dass Bill nur mit den Schultern zuckte oder den Kopf schüttelte. Ungläubig schnaubte Lucius.

„Diese Mutanten müssen taub gewesen sein.", brummte er.

„Du solltest wissen, dass nicht alle Mutanten ein besseres Gehör haben als wir.", sagte Bill. „Du kannst nicht einfach pauschalisiert sagen, dass alle ein gutes Gehör haben und alle ihre Sinne geschärft sind. Das variiert immer mal wieder von Mutant zu Mutant." Die weitere Fahrt verlief schweigend. Tatsächlich wusste ich nicht, wie viel Zeit vergangen war. Mittlerweile war es beinahe unerträglich im Spalt. Der Motor heizte sich ganz schön auf und ich befand mich nun einmal direkt da drüber. Natürlich war es nicht so extrem wie der Hausbrand, an den ich eigentlich gar nicht denken wollte. Dennoch bemerkte ich, dass die Hitze an meiner Kraft zerrte.

Als der Wagen sanft abbremste und zum Stehen kam, wusste ich, dass wir es fast geschafft haben. Jetzt mussten wir nur noch das größte Hindernis überwinden.

„Gleich haben wir es geschafft.", informierte uns da auch schon Bill. „Nur noch ein bisschen."

„Wie geht es dir Fr -" Lucius räusperte sich. „- Fenya?" Er hörte sich besorgt an.

„Mit mir ist alles okay. Aber jetzt solltest du besser nicht mehr mit mir reden.", sagte ich. Dass es auffällig war, wenn er mit jemandem sprach, der eigentlich nicht da sein sollte, musste ich ihm nicht sagen. Hoffentlich hatte er sich dafür nicht zu mir umgedreht. Das wäre ein wenig auffällig, wenn die Polizisten schon in Sichtweite sein wollten. Dies konnte ich von meiner Position leider nicht ausmachen.

„Wir sind gleich dran. Es wollen weniger Leute um diese Zeit die Stadt verlassen, als ich dachte.", sagte Bill. „Verhaltet euch unauffällig." Er ließ den Wagen wieder leicht anrollen und bremste kurz darauf wieder. Das Auto kam zum stehen. Ein paar Sekunden vergingen. Nervös klopfte mein Herz. Tatsächlich konnte mich dieses Mal nicht mein Eis retten. Und das beunruhigte mich. Ich hatte mich schon viel zu sehr daran gewöhnt, dass ich mich auf meine Fähigkeiten verlassen konnte. Und jetzt war ich auf einmal auf jemand anderen angewiesen. Das gefiel mir überhaupt nicht. Zumal ich nicht einmal mit Sicherheit sagen konnte, ob Bill wirklich zu trauen war. Mir gefiel es nicht, dass mein Leben in den Händen dieses fremden Mannes lag.

Freya Winter - MutantWhere stories live. Discover now