Keine Monster (Teil 2)

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Angyly sah hoch, als Eve sich ihnen näherte. Sie strahlte die Assassinin an und fragte: „Ich soll dich ein wenig verändern, richtig?"

„Ja."

Sofort stand die Halb-Elfin auf und nickte einem jungen Mann, der neben ihr am Feuer saß, entschuldigend zu. Dieser reichte ihr nur wortlos eine dampfende Tasse, die Angyly annahm und anschließend an Eve weiterreichte.

„Suppe", erklärte sie. „Damit du dich ein wenig aufwärmen kannst."

Zögernd nahm Eve die kleine Mahlzeit an sich, dann folgte sie der jungen Halb-Elfin zu einem kleinen Zelt, vor dessen Eingang sich einige Kisten als Sitzgelegenheiten befanden. Aus den Augenwinkeln sah Eve, wie Jackal sich geschmeidig an das Feuer setzte und sofort von dem anderen Mann in ein Gespräch verwickelt wurde, das allerdings ziemlich einseitig verlief.

„Ist er immer so... misstrauisch?", fragte Eve und hielt die warme Tasse zwischen ihren Händen. Es half ein wenig gegen die Kälte und Angyly kramte in dem Zelt herum, ehe sie mit einer Tasche herauskam und sich anschließend hinter die Assassinin stellte. Sie warf einen raschen Blick zum Feuer, dann antwortete sie: „Ja. Er vertraut keinem Fremden, der fähig ist, sich selbst zu verteidigen. Und dein Ruf eilt dir voraus!"

Langsam löste Angyly ihren Haarknoten und sog erschrocken die Luft ein.

„Was ist denn da passiert?"

„Ein Unfall", antwortete Eve mit knapper Stimme. „Kriegst du das hin?"

Angyly beugte sich vor, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Eve blickte in die mandelförmigen, dunklen Augen, die zum Irisrand hin immer heller wurden, doch sie erwiderte das Lächeln der Halb-Elfin nicht. Stattdessen bewunderte sie deren kräftiges, lilastichiges Haar, gekrönt von ein paar meeresblauen Strähnchen. Ein paar Locken hatten sich hereingeschlichen und kringelten sich auf ihren Schultern, umspielten das zarte, blasse Gesicht wie ein mystischer Wasserfall.

„Natürlich." Angyly fuhr mit einer Hand durch ihre dichten, schwarzen Haare. „So schön... Ich beneide dich richtig. Solch ein intensives Schwarz habe ich noch nie gesehen."

„Mein Vater war Schattentänzer. Wahrscheinlich kommt es davon." Der Gedanke an Severin schmerzte sie und Eve schob ihn schnell wieder beiseite. Angyly schien ihre veränderte Stimmlage zu bemerken und hakte nicht weiter nach. Stattdessen untersuchte sie Eves beinahe kahle Stelle am Kopf und meinte: „Ich mache was Hübsches daraus. Ich bin gut darin, eine Person zu verändern. Das musste ich früher ständig machen."

Halb-Elfen waren bereits seit ihrer Geburt zum Tode verurteilt. Um zu überleben, musste man sich dann schon etwas ausdenken. Angyly griff zu einer Schere und begann langsam, Eves wunderschönes Haar abzuschneiden. Strähne für Strähne glitt an ihr vorbei zu Boden, in den kalten Schnee, bildete dort einen Kontrast wie Schatten zu Licht.

„Wie lange bist du schon bei dieser Gruppe?" Die Frage verließ Eves Mund automatisch. Irgendwie konnte sie die Stille gerade nicht ertragen, obwohl ansonsten immer das Gegenteil der Fall war.

„Ich weiß nicht so genau. Fünfzehn oder zwanzig Jahre", antwortete die Halb-Elfin ihr. „Davor war ich ungefähr die gleiche Zeit noch mal alleine unterwegs. Es war schwierig, zudem war mir Grinder auf den Fersen. Wäre Dainius nicht gewesen, wäre ich heute wohl nicht mehr am Leben."

Sie schwieg und schnitt noch weiter an ihren Haaren herum. Aus dem großen Zelt kamen Dainius und Nimer wieder heraus, dicht gefolgt von den beiden Wölfen. Sie unterhielten sich leise und intensiv, gestikulierten immer wieder in Richtung Aatos' Zelt. Eve beobachtete sie eine Weile, dann fragte sie: „Wer ist eigentlich der Anführer hier?"

LichtritterWhere stories live. Discover now