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15:18 Uhr

Fünf Minuten werde ich noch warten, dann ist es mir endgültig genug. Ich habe es satt immer zu warten. Genervt greife ich nach meinem Handy.

15:19 Uhr

Noch einmal prüfe ich, ob ich nicht doch einen Anruf oder eine Nachricht übersehen habe, doch da ist natürlich nichts. So ist das immer mit meinen Freundinnen. Eigentlich sollte ich bei jedem unserer Treffen 30 Minuten später als vereinbart auftauchen, aber Unpünktlichkeit ist nun mal einfach nicht meine Sache.

15:21 Uhr

Ich beobachte die Menschen, die vor dem großen Fenster meines Lieblingscafés vorbeihetzen, bepackt mit vollen Taschen, das Handy zwischen Schulter und Ohr geklemmt, mit Hunden an der Leine oder Kindern an der Hand.

Kaum einer wird auf dieses kleine Café aufmerksam, obwohl es sowohl von außen als auch von innen ziemlich viel hermacht: Einige Tische und Stühle stehen vor dem Gebäude, dessen Außenwände cremeweiß gestrichen sind. Durch die großen Fenster kann man einen Blick auf das gemütliche Innere werfen und an der Glastür hängt ein großes, handgeschriebenes "Open". Innen gibt es eine Theke mit einer großen Glasvitrine, in der jeden Tag verschiedenes Gebäck angeboten wird. Der Raum selbst ist in einem angenehmen pastellgelb gestrichen, überall stehen Pflanzen und der Duft von Kaffee und Zimt hängt in der Luft.

Mein Lieblingsplatz ist der Tisch in der hintersten Ecke direkt an dem großen Fenster, weil man von hier aus jeden - drinnen und draußen - gut beobachten kann. Gerade rennt eine junge Frau mit Hosenanzug und Handy am Ohr am Fenster vorbei. Es sieht aus als käme sie zu spät zu einem wichtigen Termin. Dahinter schlendert ein Mann - etwa Mitte 40 - mit zwei Kindern vorbei. Die beiden essen strahlend ein Eis, während ihr Vater sich mit den vier Taschen voller - wie es aussieht Kleidung - abmüht.

Nach ihnen schlurft ein Typ vorbei, der vermutlich nur etwas älter ist als ich und so gar nicht ins Bild der hektischen Großstadt passen will. Seine Augen sind trüb ins Leere gerichtet, die honigblonden Haare hängen lang und strähnig in sein Gesicht und das weiße T-Shirt sowie die graue Jogginghose hängen traurig an ihm herunter. Er sieht aus als hätte er einen echt miesen Tag hinter sich und gerade als ich mich frage was ihn wohl so runterzieht lässt sich jemand mir gegenüber auf die Bank fallen. Ich reiße meinen Blick los und schaue in Ellies Gesicht.

"Es tut mir echt leid, dass ich so spät dran bin. Ich war noch mit Trixie draußen und hab dabei die Zeit vergessen. Wartest du schon lange?"

Ellie sieht mich schuldbewusst an. Ich versuche, ihr böse zu sein, doch ihren großen, braunen Rehaugen, die mich entschuldigend ansehen, kann man einfach nicht lange Widerstand leisten. Ich seufze.

"Schon gut. Wenigstens bist du - im Gegensatz zu Alice - überhaupt aufgetaucht."

"Alice? Sie ist zwar so gut wie nie pünktlich, aber sie würde uns doch niemals sitzen lassen."

"Vielleicht ist ihr etwas Wichtiges dazwischengekommen", meine ich schulterzuckend. "Aber sag mal, ich dachte Trixie wäre noch bis morgen beim Tierarzt? Ist ihr Bein etwa plötzlich wieder genesen?"

Ellie schlägt sich mit der Hand an die Stirn wobei ihre braunen Locken wackeln.

"Erwischt!", murmelt sie. "Also gut. Ich habe mich mit Jacob getroffen. Er hat mich eingeladen und... naja, wie hätte ich da 'nein' sagen können?"

Ich schüttle ungläubig den Kopf. Jacob war letztes Jahr an unsere Schule gekommen. Es ist allgemein bekannt, dass er vergeben ist, jedoch kennt niemand seine Freundin oder hat sie bisher gesehen.

"Du hast dich jetzt wirklich mit ihm getroffen? Wir haben dir doch schon hundert Mal gesagt, dass er eine Freundin hat!", entgegne ich empört.

"Das glaube ich erst wenn ich sie sehe. Hast du sie denn jemals zu Gesicht bekommen? Außerdem war unser Treffen doch rein freundschaftlich. Also noch."

Sie grinst mich an und ich kann mir ein Augenrollen nicht verkneifen. Es scheint als hätte Ellie eine Schwäche für vergebene Typen, denn auch der letzte Junge in den sie sich verliebt hatte, war glücklich vergeben gewesen.

Den restlichen Nachmittag diskutieren wir darüber, ob sie sich auf ein zweites Date (bzw. ein harmloses Treffen, wie sie es nannte) mit Jacob einlassen sollte. Außerdem beschweren wir uns über Alice, die unsere Verabredung einfach sausen lassen hatte ohne Bescheid zu sagen und reden über unsere neue Lehrerin, die uns gleich an ihrem ersten Tag haufenweise Hausaufgaben aufgehalst hatte.

An den Jungen mit dem trüben Blick denke ich nicht mehr.

never endingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt