Knockout

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Es war so ziemlich das höchste aller Gefühle, hoch oben über allen hinweg auf ihren Besen durch den Himmel zu rasen und zusammen mit ihrem Team um den lang ersehnten Sieg zu kämpfen. Die Menge jubelte und toste, feuerte sie an und Fred spürte, wie das Adrenalin durch seine Adern schoss. Sich ein wenig vorlehnend, nahm er eine noch höhere Geschwindigkeit auf, spürte die kühle Zugluft in seinen Ohren und raste mit dem Wind um die Wette. Gerade noch rechtzeitig holte er mit einer schwingenden Armbewegung aus, traf den Klatscher mit voller Wucht und trieb ihn in die Richtung der gegnerischen Mannschaft. Den roten Haarschopf, den er noch im Augenwinkel registrierte verriet ihm, dass soeben sein Zwillingsbruder an ihm vorbeigesaust war. Das Schlagholz in der einen, den Besenstiel in der anderen, stieg Fred erneut ein wenig in die Höhe, um sich einen besseren Überlick zu verschaffen. Sie führten mit zehn Punkten Vorsprung, die Slytherins waren weitaus stärker, als sie dachten und es hatte viel Arbeit gebraucht, diesen winzigen Vorsprung herauszuholen.

Mit Freude stellte er fest, dass Angelina soeben auf das Tor der Slytherins zuflog. Der darauf folgende Triumphtanz auf den Tribünen ihres Hauses, sowie Lee Jordans fröhlicher Kommentar, erklärte alles, was er wissen musste. Die Jägerin hatte den Wurf verwandelt und ihnen weitere zehn Punkte Vorsprung herausgeholt. Wie erwartet buhten die Slytherins erheblich, doch das kümmerte ihn wenig. Für einen Herzschlag lang wandte er den Kopf herum, um schräg hinter sich Harry zu entdecken, der konzentriert Ausschau nach dem kleinen goldenen Schnatz hielt, der das Match beenden, ihnen satte einhundertfünfzig Punkte und somit den Sieg bringen würde.

Ein zischendes Geräusch ließ ihn hastig einem herannahenden Klatscher ausweichen. Fred flog eine Schleife, sah mitan, wie sich Alicia den Quaffel zu Eigen machte, brachte seinen Besen neben ihren und gab ihr Geleitschutz bis zum gegnerischen Tor. Fast gelang es ihr, den Ball durch den mittleren der drei Ringe zu werfen, doch da brauste wie aus dem Nichts Goyles massige Gestalt heran, blockte mit einer Seitwärtsdrehung den Angriff und stieß mit Alicia zusammen, die es nach der Kollision fast vom Besen haute. Goyles ausgestreckter Ellenbogen blieb zu ihrem Nachteil unbemerkt, das Spiel lief weiter, der Quaffel wanderte auf die andere Seite des Spielfeldes.

Ohne zu zögern drehte Fred um, etwa in der Mitte des Feldes traf er auf einen anderen Spieler und er musste keinen Blick zur Seite werfen, um zu wissen, wer es war. Zusammen zingelten sie den Jäger der Slytherins ein, so synchron, als hätten sie es einstudiert. George war just in dem Moment aufgetaucht, als er ihn brauchte, sie verstanden sich auch ohne Worte. Gemeinsam nahmen sie den gegnerischen Jäger in die Mangel, wodurch dieser den Quaffel verlor, auch ein vorbeisausender Draco Malfoy konnte daran nichts mehr ändern. Katie trug den Quaffel zurück in die Hälfte der Slytherins, ein sanfter Ellbogenstoß seines Bruders machte Fred allerdings auf etwas aufmerksam, dass er kaum richtig wahrgenommen hatte. Georges Deut folgend, schaute er Malfoy hinterher, der etwas verfolgte - kaum sichtbar, doch die Geschwindigkeit, mit der er dem Ding hinterherjagte, ließ keinen Zweifel. Er musste den Schnatz ausgemacht haben. Auch Harry musste dies bemerkt haben, denn er schoss wie der Blitz hinterher. Sein Besen war der schnellste auf dem Feld, doch ob es ausreichen würde, um Malfoy einzuholen, war fraglich.

Geistesgegenwärtig lehnten sich die Zwillinge so weit auf ihre Besenstiele hinunter wie irgend möglich in dem Versuch, das Maximum an Geschwindigkeit herauszuholen, denn ihre Modelle gehörten nicht gerade zur neusten Sorte. In stummer Absprache teilten sie sich auf und pesten aus verschiedenen Richtungen auf Malfoy zu, der bereits den Arm ausstreckte, um den Schnatz zu greifen. Verbissen krallte Fred die Finger in das Holz seines Besens, als plötzlich ein Klatscher auf Malfoys Arm zuschoss. Im letzten Wimpernschlag zog dieser ihn zurück und verhinderte somit, dass das Geschoss ihm eben jenen zertrümmerte. Die Gryffindors jubelten, die Slytherins schrien voller Wut. Der Klatscher hatte genau die richtige Wirkung erzielt und sie vor der sicheren Niederlage bewahrt. Der Schnatz war wieder verschwunden. Erleichtert sah sich Fred nach dem Übeltäter um und sah seinen Bruder auf sich zufliegen, der mit einem triumphierenden Grinsen das Schlagholz seine Hand umkreisen ließ.

„Guter Schlag!", rief ihm Fred anerkennend und nicht minder grinsend zu, für mehr blieb keine Zeit. Das Spiel lief weiter, er erhaschte einen Blick auf Malfoy und sah in seliger Zufriedenheit, wie ein hasserfüllter Ausdruck auf dessen Gesicht getreten war. Zornig sah dieser George nach, auch Montague schien nicht begeistert. Fast schon hätte Fred laut aufgelacht, denn der Kapitän der Slytherins schäumte schier vor Wut und hatte nun deutliche Ähnlichkeit mit einem tollwütigen Troll. Noch war das Spiel allerdings nicht vorbei, weshalb Fred sich wieder auf die umherschwirrenden Klatscher besann. Sein rotes Haar peitschte durch die Luft, als Angelina an ihm vorbeipreschte, den Quaffel an Alicia weitergab und dann von Crabbe ausgebremst wurde. Hastig machte er sich auf den Weg zum gegnerischen Tor, um den Jägerinnen freies Schussfeld zu verschaffen, da erklangen vereinzelte spitze Schreie von der Gryffindor-Tribüne und was er sah, ließ ihn sein Vorhaben abbrechen. Goyle und Montague waren geradewegs auf seinen Bruder zugeflogen, der nichtsahnend übers Spielfeld jagte.

Abrupt stoppte Fred im Flug, doch da geschah es. Mit wutverzerrtem Gesicht fing Montague den Schläger auf, dem Goyle ihn zuwarf, holte aus und feuerte einen heransausenden Klatscher geradewegs in Georges Richtung. Die schwere Eisenkugel verfehlte ihr Ziel nicht, genauso wenig wie Goyle, der im Mordstempo auf ihn zuhielt. Beide erwischten ihn mit der Wucht einer Kanonenkugel und schleuderten ihn regelrecht vom Besen. Die Menge schrie auf, entsetzt sah Fred mitan, wie sein Bruder in die Tiefe sauste, quer über den Rasen gerissen wurde, sich mehrmals überschlug und gegen die spielfeldbegrenzenden Seitenaufbauten schoss. Ein Krachen ertönte, Holz barst und splitterte, als das Material unter der Kraft des Aufpralls nachgab und unter einem dumpfen Donnern schlug sein Bruder gegen die Stülzbalken unter der Erde.

Das Geräusch drehte ihm den Magen um, nur langsam löste sich die lähmende Starre, die von ihm Besitz ergriffen hatte und wurde zu nackter Angst.

„George!", schrie er entsetzt und hielt auf der Stelle auf seinen Bruder zu. Das Spiel, der Sieg, die gegnerischen Spieler, alles verlor an Bedeutung, als er mit seinem Besen gen Boden stürmte. Das Geräusch von Madame Hooch's Trillerpfeife nahm er nur am Rande wahr, sie schrillte, wie sie noch nie geschrillt hatte. Die Lautstärke auf den Tribünen schwoll erheblich an, er hörte ein schockiertes Raunen der Menge, ein Gewirr aus Stimmen, das ihn jedoch nicht erreichte. Noch halb im Flug sprang er vom Besen, der achtlos zu Boden schellte, als er in blinder Furcht auf die zertrümmerte Stelle in der Spielfeldwand zurannte. Mit vor Schreck geweiteten Augen sah er hinunter in die Holzaufbauten.

Da lag er. Zwischen all den Balken und seltsam verdreht. Er rührte sich nicht.

„George!", rief er erneut nach seinem Bruder, als könne er ihn auf diese Weise zu einer Antwort zwingen, doch sie blieb aus. Neben ihm prallte jemand gegen das Holz und schaute genau wie er in die Tiefe hinab, doch Fred wagte nicht, den Blick von seinem reglosen Zwilling abzuwenden um zu sehen, wer es war.

„Ist er...?", hörte er Harry außer Atem keuchen, der Rest der Frage blieb unausgesprochen. Fred wagte nicht zu antworten oder auch nur den Gedanken zuzulassen, eine eisige Faust schien soeben sein Herz umklammert zu haben.

Plötzlich packte eine Hand ihn bei der Schulter, zog ihn zurück und stieß ihn aus dem Weg. Er erkannte Madame Hooch, die sich nun genau wie er durch das Loch in der Bretterwand hinabbeugte, hörte die sich nähernden Stimmen von Alicia, Angelina und Katie, als auch Ron, Ginny und Hermine über den Rasen hinweg auf sie zugehastet kamen, gefolgt von anderen Bekannten Gesichtern aus dem Gryffindor-Turm, die ihm in diesem Moment jedoch gleichgültig waren.

„Was ist mit ihm?", wollte Ron wissen, der sich an ihm vorbeizuquetschen versuchte, um einen Blick auf ihren Bruder zu bekommen. „Fred? Was ist mit ihm?", wiederholte Ron engergischer, als er nicht reagierte, doch er sah sich außer Stande zu antworten.

„Oh Gott!", hörte er Hermine gequält aufstöhnen, die es geschafft hatte, an Madame Hooch vorbei einen Blick in die Tiefe zu werfen. Erschrocken schlug sie sich die Hände vor den Mund.

„Beiseite!", erschall da McGonagalls Stimme, die sich einen Weg durch die Umstehenden bahnte. „Machen sie Platz, Mr Weasley!", herrschte sie ihn an und es dauerte einen Herzschlag lang, bis Fred verstand, dass er gemeint war. Er konnte sich nicht von dem Anblick lösen. Irgendjemand zerrte an ihm, doch er wehrte sich, er wollte hier bleiben. Sie würden ihn wegbringen und ihn nicht mehr zu ihm lassen, das wusste er. Fort von George, fort von diesem Ort. Er musste hier bleiben.

„Fred", sprach da eine weitere Stimme auf ihn ein, viel sanfter und bittender jetzt. „Sie will ihm nur helfen. Komm..."

Sachte fassten Ginny und Hermine ihn am Ärmel, er wehrte sich nicht. Sah nur zu, wie McGonagall ihren Zauberstab zückte, etwas murmelte und ein hörbares Knacken der Holzstreben verriet, dass soeben das darauf liegende Gewicht verschwand. Kaum einen Wimpernschlag später sah er, wie Georges leblose Gestalt auftauchte, durch die zerstörte Holzwand ins Freie schwebte und sich sanft auf den Rasen legte. Nicht furchtbar verdreht wie zuvor, sondern in Rückenlage, als würde er schlafen.

Besorgte Blicke kamen von den Tribünen her. Selbst in den Rängen der Slytherins waren bestürzte Gesichter zu entdecken, was ehrliches Mitgefühl verriet und mehr als deutlich machte, dass Montague und Goyle zu weit gegangen waren. Spaß war es bei weitem nicht gewesen.

„George...", krächzte Fred miserabel, riss sich von Ginny und Hermine los und stürzte zu seinem Bruder. Vorsichtig fasste er ihn am Kragen und schüttelte ihn leicht in dem Versuch, ihn aufzuwecken.

„In den Krankenflügel!", rief McGonagall bestimmend. „Sofort!"

„Ich bring sie um...", brachte Fred zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Tränen des Zorns traten ihm in die Augen und er war sicher, noch nie eine solche Wut verspürt zu haben, wie er es jetzt gerade tat. Er wollte sich auf Montague und Goyle stürzen, ihnen das diebische Grinsen aus den Gesichtern prügeln und solang seine Fäuste auf sie einregnen lassen, bis sie nicht mehr aufstanden. „Ich bring die Mistkerle echt um..."

Er spürte, wie Ginny, die sich zu ihm gehockt hatte, beruhigend eine Hand auf seine Schulter legte und sie leicht drückte. Ein gehässiges Lachen ertönte irgendwo hinter ihnen, Montague, Malfoy, Crabbe und Goyle standen ein wenig Abseits und genossen die Sorge und Verzweiflung, die sie überkommen hatte. Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Zeitgleich stürzten sich Ron, Ginny und Harry auf die Slytherins und Fred war hin und hergerissen zwischen dem Wunsch, ihnen zu folgen und an der Seite seines Bruders zu bleiben.

Einige Umstehende schrien erschrocken auf, als Flüche durch die Menge surrten, Freds Schultern bebten vor Wut, jetzt war es Hermine, die sich zu ihm hockte und Ginnys Versuch wieder aufnahm, ihn zu beruhigen. Sie atmete stoßweise, schien nicht sicher zu sein, ob sie hier bei ihm bleiben oder die anderen Drei zurückhalten sollte. Schließlich wandte sie ihre Aufmerksamkeit jedoch ihm zu, da sie wohl glaubte, hier noch etwas bewirken zu können.

„Nicht, Fred...", redete sie mit zitternder Stimme auf ihn ein, ihre Hand zuckte vor, als wolle sie diese auf seinen Arm legen. „Lass sie!" Dass sie ihn nicht würde aufhalten können, wenn er erst lospreschte, musste ihr wohl bewusst sein, denn er überragte sie um mehr als einen Kopf, war deutlich stärker und zudem zorngeladen. Den Versuch, ihn festzuhalten unternahm sie erst gar nicht. „Sie werden ihre Strafe schon bekommen", sprach sie weiter, „du wirst sehen... Außerdem hilfst du George damit nicht. Lass sie einfach...." Etwas flehendes lag in ihren Worten und tatsächlich gelang es ihr, seine Aufmerksamkeit wieder von ihnen abzulenken. Sie hatte recht. George war wichtiger. Weitaus wichtiger.


KnockoutWhere stories live. Discover now