5:23

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Hinter Wäldern, Dörfern und Feldern färbte sich der Himmel immer mehr in ein Morgenrot. So früh war kaum jemand unterwegs wenn man von den vereinzelten Hundebesitzern und Sportlern absieht.

Die Sonne blitzte langsam über den Horizont und erhellte die ersten Wohnungen, Straßen und durch eine verdreckte Glasscheibe eine kleine Zugkabine.
Die Sonnenstrahlen schimmerten in das sanfte Gesicht der brünetten Passagierin die müde ihre Augen öffnete und sich gähnend anfing zu strecken. Sie fuhr sich flüchtig mit ihren Händen über ihr Gesicht, strich sich ihre Haarsträhnen hinter ihr Ohr und griff nach dem Handy welches vor ihr auf dem kleinen Tisch lag. 5:23 Uhr, viel zu früh für einen Samstagmorgen aber trotzdem war der Bahnhof in den der Zug gerade schwerfällig einfuhr voller Leben. Paare, Wanderer oder Einzelpersonen sammelten sich in Gruppen vor den Türen und drängten in den alten Zug. Vereinzelt standen Kleinfamilien an dem Bahnhofsgebäude und warteten mit einem strahlen auf den Lippen auf Bekannte oder weitere Familienmitglieder.
Der Blick der Brünetten der gespannt das Spektakel durch die trüber Fensterscheibe beobachtete, wanderte zu dem Flur auf der gegenüberliegenden Seite der sich durch die neuen Fahrgäste füllte.
Ihr Interesse verlor sich schnell und sie kramte in ihrer Tasche nach ihrem Laptop und ein paar Unterlagen. Sie breitete sich auf dem vor ihr liegenden Tisch aus und fing zu ihrem Zeitvertreib an zu arbeiten.

Keine zehn Minuten vergingen bis an die Schiebetür der rustikalen Kabine geklopft wurde und ein junger Mann die Tür, die nicht arg viel mehr war als eine billige Plexiglasscheibe, ein Stück aufschob. „Guten Morgen, tut mir leid, stör ich dich gerade?" haspelte er schnell aber mit einem angenehmen Klang in der Stimme als die Brünette ihn fragend anblickte. Zügig schüttelte sie den Kopf und setzte ein sanftes Lächeln auf. „Ich bin den ganzen Zug schon abgelaufen und find einfach keinen freien Platz", gestikulierte er nervös in der Luft herum „-würde es dir etwas ausmachen wenn ich mich für ein paar Stationen zu dir setze?"

„Nein kein problem, setz dich ruhig" lachte sie ihm freundlich entgegen, die Hand entgegenstreckend ergänzte sie noch motiviert „Ich bin Ruth"
Mit einem scheppern ließ er seine Gepäcktasche fallen und nahm ihre Hand hastig entgegen „nenn mich einfach Bac, das ist einfacher, meine Eltern hatten eine Vorliebe für komplizierte und alte Namen" er lachte freundlich, verstaute sein Gepäck und setzte sich seiner neuen Bekannten gegenüber.
Als Ruth ihre Dokumente beiseite räumte um nicht unhöflicher weise den ganzen Platz zu beanspruchen musterte sie ihn interessiert aus dem Augenwinkel.
Seine dunkelbraunen Haare waren auf die schnelle nach hinten gelegt und trotz seiner kantigen Wangenknochen sah sein Gesicht freundlich und jung aus.  Sein eigentlich lockeres Hemd zeichnete seine Rückenmuskulatur ab als er sich zu seinem Rucksack beugte während seine klaren Augen unsicher nach etwas suchten.
„Seit wann bist du schon unterwegs?" brach er das Schweigen und zog sein Handy hervor.
„Seit halb vier heute Nacht"
Er legte seine Stirn in Falten und schmunzelte leicht „und da schaffst du es jetzt so munter auszusehen?" „liegt an einen Schlafrythmus der wohl ein bisschen aus der Bahn geworfen ist" grinste die Brünette unsicher und fuhr sich unbewusst durchs Haar.

Die Zeit verstrich angenehm schnell mit einfachem Smalltalk.
Die zwei schweiften irgendwann ab zu Familiengeschichten, unterhielten sich über Lebensziele und lachten über Geschichten mit Freunden.

„Wie? Du bist Fotograf? Sind Fotografen nicht für gewöhnlich Schwul?" grübelte die Brünette verwirrt, die sich mit der Zeit irgendwann über ihre zwei Sitze ausgebreitet hat. Er schaute sie verdutzt an bevor er lachend seinen Kopf schüttelte. „Ich kann dir ein paar Bilder zeigen wenn du möchtest?" „gern, warum denn nicht" sprach sie eher zu sich selbst als zu Bac, der schon dabei war seinen Laptop aus seinem Rucksack zu holen. Zusammen mit ihm flogen ein paar ausgedruckte Bilder und Polaroids aus der Tasche.
„Das ist die Ordnung eines Künstlers wie ich es mir immer vorgestellt hab" triezte die Brünette den jungen Fotografen und half ihm die Bilder von dem Kabinenboden aufzusammeln. „Das ist mein im Moment laufendes Projekt, ich hab mir vorgenommen das ich alle meine Fotoaufträge auf einem Polaroid oder einer Analog-Kamera festhalte" Ruth musterte ein paar von den Bildern und bekam zu jedem eine lebhafte ausführliche Geschichte zu hören.

„Wie war das nochmal mit dem schwul sein?" grinste die Brünette als sie ein Bild von einem oberkörperfreien Model hervorzog.
Er lachte und beugte sich zur ihr um das Bild in ihrer Hand besser zu sehen. „Das war für einen Freund von mir der Bilder für seine Mappe gebraucht hat" Sie schaute ihn fragend an und gab ihm die Fotografien zurück. „Wie eine Bewerbungsmappe?"
„Eine Modelmappe ja, die geben sie bei Agenturen ab und bewerben sich bei Fotoshootings" erklärte er ihr ruhig als er nach seinem Handy griff „-ich pack mal lieber wieder alles zusammen, ich muss bei der nächsten Station schon raus." Sie nickte wissend und half ihm sein Zeug zusammen zu finden.
„Wohin gehst du eigentlich?" versuchte Ruth das Gespräch noch am laufen zu halten.
„Ich wurde für heut Abend als Gast auf eine kleine Spendengala eingeladen deswegen mach ich einen Wochenendtrip weg von Zuhause" Die Braunhaarige schaute ihren Gegenüber überrascht an. Sie war noch nie auf einer Gala oder auch nur auf einem annährend so noblen Event. Es musste wie in Filmen und ihren Träumen sein wenn jeder Gast in einem ordentlichen Anzug kommt und die weiblichen Begleiterinnen mit teuren und wunderschönen Kleidern erscheinen, über einen wohlmöglich roten Teppich laufen, Fotos gemacht werden und teurer Champagner getrunken wird.
„Und du? Was ist dein Plan für das Wochenende?" fragte er schließlich. Etwas enttäuscht darüber das ihr Leben im Vergleich zu seinem recht unspektakulär war, erzählte sie ihm kleinlaut von ihrem geplanten Wochenendtrip zu ihrer Tante. „Das klingt echt toll" lachte er ihr ehrlich entgegen sodass seine weißen Zähne wieder heraus funkelten „-wie dem auch sei, ich sollte wohl langsam los, wir sind laut Plan gleich bei dem nächsten Bahnhof." während er aufstand und seine Taschen bereitlegte überlegte Ruth unsicher ob es blöd kommt wenn sie nach seiner Nummer oder einem Socialmedia-account fragt. Sie hat in der letzten Stunde gut mit ihm geredet und selten läuft ihr jemand so Sympathisches und Gutaussendes über den Weg.
Während sie sich aufrichtete schnallte er seinen Rucksack locker auf den Rücken, lachte die unsichere Brünette an und lehnte sich freundlich zu ihr und schenkte ihr eine kurze Umarmung. Er nahm seine Tasche in die eine Hand und legte die andere an den Griff der Kabinentür „War echt schön dich kennenzulernen Ruth, komm gut bei deiner Tante an"
„Ich hoffe man trifft sich irgendwann wieder, gute Reise noch" lachte sie enthusiastisch bevor er durch die Tür ging, ihr ein letztes Winken schenkte und verschwand.
Nervös rutschte sie wieder an den Fensterplatz und fing an unsicher auf ihrem Nagel zu kauen.

Sie ärgerte sich darüber nicht nach seinem Kontakt gefragt zu haben.

Wenige Minuten später quietschten die Bremsen des Zuges schrill bis er im Bahnhof zum stehen kam. Ruth drückte sich nah an die Fensterscheibe um vielleicht noch ein letztes mal ihre neue Bekanntschaft zu sehen und entdeckte ihn schließlich als er sich mit zügigen Schritten von dem Zug entfernte.
Vor dem Bahnhofsgebäude kam er bei einem pummeligen Anzugträger zu stehen der ein Schild hochhob dessen Aufschrift von ihrer Entfernung aus unleserlich war.

Bac drehte sich ein letztes Mal suchend zu dem Zug um konnte aber durch die verdreckten Scheiben in keine Kabine sehen und verschwand dann endgültig mit dem Chauffeur in das große Bahnhofsgebäude.

FreitagabendWhere stories live. Discover now