Chapter 2

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Schlagartig öffne ich meine Augen und bin binnen Sekunden hellwach, draußen ist es noch dunkel, doch es fängt langsam an zu dämmern. Schnell schlüpfe ich in meine Jogginghose, werfe mir eine Jacke über und verlasse auf Zehenspitzen das Haus. In keinem der Häuser brennt schon Licht, es ist nichts zu hören außer dem Rascheln der erwachenden Tiere und ein paar vereinzelte Weckrufe der Vögel. Langsam durch mein Dorf schlendernd genieße ich die Ruhe und erreiche schließlich die alte Linde. Stolz, mächtig und weise ragt sie oberhalb des Dorfes inmitten von Feldern empor. Auf der Holzbank, die unter ihren mächtigen Ästen steht, habe ich gefühlt schon mein ganzes Leben verbracht. Hier haben wir uns immer getroffen. Das hier war unser gemeinsamer Baum. Für mich immer ein Symbol der Beständigkeit, der Ruhe und der Zuversicht, werde ich die alte Linde vermissen. Gemeinsam mit meinen Eltern bin ich hier schon als kleines Kind heraufgekommen oder wurde als Baby hier spazieren gefahren. Je näher ich komme, desto detaillierter sehe ich die Silhouette einer Person, die unter der alten Linde auf der Bank sitzt.

Mir ist schleierhaft, was jemand um diese nachtschlafende Zeit hier oben zu suchen hat, also setzte ich langsam einen Fuß vor den andern, jedoch trete ich auf einen kleinen Stock und es knirscht verräterisch. Daraufhin dreht sich das Gesicht der Person mir entgegen und ich erkenne Luc, der sich als er mich erkannt hat wieder abwendet. Verunsichert, ob ich wieder umkehren sollte, bleibe ich einen oder auch zwei Momente stehen, doch entscheide mich schließlich dazu weiterzugehen, immerhin will ich die letzten Momente an diesem besonderen Ort verbringen. Also gehe ich langsam zum Stamm der Linde und setze mich mit dem Rücken zur Linde hin und lehne mich an, dabei spüre ich die kühle raue Rinde durch den dünnen Stoff meiner Jacke.

Die Schönheit des Sonnenaufgangs überwältigt mich auf ein Neues und als die Sonne ihre magische Show beendet hat und nun über den Häusern steht, erhebe ich mich. Luc erhebt sich ebenfalls und schließt zu mir auf und berührt mich dabei leicht an meinem Arm. Schweigend gehen wir nebeneinander her, die Häuser kommen immer näher als er auf einmal stehen bleibt und sich zu mir dreht. Rein aus Gewohnheit komme ich ebenfalls zum Stehen und wende mich ihm zu. Er öffnet seinen Mund, wie als wolle er etwas sagen, schließt ihn jedoch gleich wieder. Seinen Blick wendet er auf die Felder und murmelt dabei halblaut in meine Richtung, gerade so laut, dass ich es beinahe nicht verstehe und deshalb einen Schritt näher am ihn herantrete. „Es wird verdammt anders hier sein ohne dich!" Überrascht von seinen ehrlichen Worten und seinen plötzlichen Gefühlsausbruch, finde ich keine Erwiderung darauf und bleibe vorerst sprachlos, wie angewurzelt stehen. „Hast du dazu nichts zu sagen?" fragt er mich mit trauriger Stimme und dreht sich völlig unerwartet zu mir um, sodass er nun nah vor mir steht. Sehr nah, unsere Nasenspitzen berühren sich fast. Scheinbar wird auch ihm das gerade bewusst und sein Blick fällt von meiner Nase auf meine Lippen, schließt dann für einen kurzen Moment seine Augen und schlägt sie mit direktem Blick in meine Augen wieder auf, die seine Augen die ganze Zeit genauestens verfolgt haben. Ich erwidere seinen intensiven Blick, bevor ich die Augen schließe, meine Stirn gegen die seine lehne. Wie lange wir dort so stehen weiß ich nicht, doch es vergeht eine ganze Weile bevor ich genügend Kraft finde. Nach einem tiefen Atemzug trete ich einen Schritt zurück, Luc schlägt seine Augen auf, aber ich habe mich schon von ihm abgewendet und trete den Rückweg mit niedergeschlagenen Augen und alleine an, denn Lucian wird mir nicht folgen, dies war unser Abschied. Und zugleich der endgültige Abschied von meiner Heimat.

Mit einem leisen Klicken schloss ich meine Zimmertüre hinter mir. Mein Fahrrad ist fertig beladen, doch in meinem Zimmer hat sich kaum etwas verändert. Nur das abgezogene Bett und die übermäßige Ordnung weist daraufhin, dass ich nicht in der nächten Nacht nicht in meinem eigenen Bett schlafen werde. Mittlerweile sind alle Zweifel weit weg von mir und ich bin voller Vorfreude. Vor der Haustür warten meine Familie, Freunde und Nachbarn auf mich. Deshalb begebe ich auf einen letzten ausgedehnten Rundgang durchs Haus, bevor ich nach einem tiefen Seufzer auf die Straße trete.

Von allen Seiten werden mir Glückwünsche zugesprochen und besonders die älteren Dorfbewohner überschütten mich mit Segen für meine Reise. Mir kommt es vor wie eine halbe Ewigkeit bis ich endlich mein Fahrrad aus der Garage holen kann und damit unmissverständlich klar mache, dass ich jetzt aufbrechen möchte

Unter Tränen verabschiedet sich meine Mutter von mir, auch mein Vater ist der Worte verlegen und drückt mich fest an sich. Alle sind da. Alle verabschieden sich persönlich bei mir. Alle bis auf einen. Jedoch nehme ich es kaum wahr zu viele Emotionen prasseln von allen Seiten auf mich ein. Das um mich herrschende fröhliche Chaos und mein innere Aufregung lassen mich kaum einen klaren Gedanken fassen. Aufgeregt wie noch nie zuvor in meinem Leben, werde ich immer ungeduldiger und kann es kaum erwarten nach den ganzen Umarmungen zum Abschied, endlich losfahren zu könne. Meine Familie und Freunde im Rücken, lasse ich sie immer weiter zurück. Und mit jedem Tritt in die Pedale fahre ich ein Stück meiner Freiheit entgegen.

Die anfängliche Euphorie über die ersten paar Meter lässt schnell nach und ich bin allein mit meinen Gedanken. Mir geht der heutige Morgen noch einmal durch den Kopf. Lucian. Er bringt mich immer noch zum Grübeln und übt eine unheimliche Anziehung auf mich aus, der ich mich nur schwer entziehen kann. Ja verdammt wir haben eine gemeinsame Vergangenheit, die ich nicht missen will, aber das was vor mir liegt ist ganz alleine meine Zukunft. Und genau aus diesem Grund verdränge ich die Gedanken an ihn in den hintersten und verstecktesten Winkel in meinem Kopf und richte meine Aufmerksamkeit auf den vor mir liegenden Weg bis hin zum Treffpunkt mit Luis.

Blogeintrag Clary:

>>Ich sitz nun schon seit einer Woche im Sattel und merke trotz meines Trainings zur Vorbereitung, abends wenn ich mich in mein Zelt auf meine Matte leg, wie die Erschöpfung mich überrollt und mich die Müdigkeit übermannt. Kaum schließe ich meine Augen, so falle ich auch schon in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Anfangs bin ich noch wegen jedem kleinen Geräusch, sei es auch nur ein Rascheln im Gebüsch, aufgeschreckt, doch mittlerweile holt mich beinahe nichts mehr nachts aus dem Schlaf. Das einzige, das mich morgens zu wecken vermag ist die Sonne, die mich mit ihren Strahlen wachkitzelt, und mich verschlafen, aber glücklich aus dem Zelt kriechen lässt.

Mit jedem weiteren Tag, der vergeht, steigt meine Vorfreude und die Aufregung endlich den Treffpunkt zu erreichen und damit meinen Reisepartner endlich persönlich kennenzulernen zu können. Nun geht aber erst einmal noch meine reise solo ein bisschen weiter und ich hab alle Zeit und Freiheit der Welt mich mit meinen Gedanken zu beschäftigen, sie zu ordnen und den Weg zu genießen. <<

Blogeintrag Luis:

>>Morgen früh geht es auch bei mir los. Ich kann es kaum erwarten meine Mitreisende bald kennenzulernen. Heute Abend gibt es bei mir noch eine kleine Abschiedsparty, und morgen um diese Zeit werde ich mir schon meinen ersten Schlafplatz außerhalb von daheim suchen. Also Leute ich bin auf jeden Fall richtig gespannt, was die Reise und die fremde Gesellschaft mit sich bringt;) <<

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⏰ Last updated: Mar 20, 2020 ⏰

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freckled summerWhere stories live. Discover now