Chapter 1

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Unter Tränen verabschiedet sich meine Mutter von mir, auch mein Vater ist der Worte verlegen und drückt mich fest an sich. Alle sind da. Alle bis auf einen. Jedoch nehme ich es kaum wahr oder verdrängte es, zu viele Emotionen um mich herum und mein inneres Chaos der Gefühle lassen mich kaum einen klaren Gedanken fassen. Aufgeregt wie nie in meinem Leben, werde ich immer ungeduldiger und kann es kaum erwarten nach den ganzen Umarmungen und Tränen der anderen, endlich losfahren zu könne. Meine Familie und Freunde im Rücken lasse ich sie immer weiter zurück und mit jedem Tritt in die Pedale fahre ich ein Stück meiner Freiheit entgegen.

1 Woche zuvor

„Du kannst doch nicht einfach mit dem Fahrrad und irgendwelchen Fremden durch die Weltgeschichte zieh'n! Du weißt doch nicht einmal worauf du dich da einlässt und was dir alles da draußen passieren kann!", schimpft meine Mutter gefühlt schon seit einer Ewigkeit, marschiert dabei durch alle Räume, nur um dann wieder ins Wohnzimmer zurück zu kommen und anklagend auf mich zu zeigen und weiter zu schimpfen. „Mama, jetzt reg dich bitte nicht so auf, ich hab dir doch schon alles genau erklärt. du wusstest immer dass ich weg bin sobald ich mit der Schule fertig bin und jetzt bietet sich die perfekte Gelegenheit für mich dazu. Man lebt nur einmal und ich bin nur einmal jung." Wir hatten schon oft darüber gesprochen, aber je näher der Tag der Abreise rückte, desto aufgeregter und besorgter wurde meine Mutter. Langsam kam sie jedoch zur Ruhe und setzte sich neben mich auf das Sofa, beruhigend legte ich meinen Arm um ihre Schulter und setze zu einem weiteren Mal der Erklärung an, und ein weiteres Mal versuchte ich sie zu beruhigen, obwohl ich selbst keine Ahnung hatte was mich erwartete und auf was ich mich da eingelassen hatte.

„Mama, schau mal, es ist jetzt noch genau eine Woche bis zur Abreise. Ich bin bestens vorbereitet und alles was ich brauch liegt schon fertig gerichtet in meinem Zimmer. Die Fahrradtaschen kommen morgen an und mit Luis ist der Treffpunkt schon ausgemacht und meine Strecke bis dahin geplant. Es kann also gar nichts mehr passieren."

Sie setze zu einer Erwiderung an, doch nun war ihre Stimme keinesfalls mehr laut und aggressiv, sondern voller Liebe und Sorge: „Ich mach mir halt Sorgen um mein kleines Mädchen in der großen Welt da draußen. Und dass du diesen Luis so gar nicht richtig kennst beunruhigt mich auch ziemlich."

„Hey Mama", ich stupste sie an und nahm sie fest in meinen Arm, „ich komm wieder und dann erzähl ich dir von allem haargenau. Um Luis musst du dir da keine Sorgen machen, wir haben so oft miteinander geschrieben und telefoniert. Ich bin davon überzeugt, dass das klappen wird und ich freu mich schon so unglaublich und kann es kaum erwarten, endlich von hier loszufahren."

Ja ich muss zugeben, ich verschweige oh auch so einiges über die Reise. Zum Beispiel, dass ich Luis noch kein einziges Mal gesehen habe, seine Stimme gehört ja, aber beim Schreiben hat es nicht so wirklich ergeben und irgendwie haben wir uns dann dazu entschieden, uns das Erste Mal beim ersten Aufeinandertreffen am Treffpunkt zu sehen. Am Anfang war ich genau wie meine Mutter misstrauisch, immerhin war er ein Fremder, wir waren nur verbunden durch eine gemeinsame Idee. Mit der Zeit hat unsere Idee immer mehr Form angenommen, wir haben einen gemeinsamen Blog erstellt über die Reise und so wuchs mit der Zeit das Vertrauen und ich konnte meine Familie von unserem Vorhaben überzeugen. Es kann trotzdem so unglaublich viel schiefgehen, dem bin ich mir bewusst, aber wenn ich so negativ denke, brauch ich erst gar nicht aufzubrechen. Also Bedenken über Bord werfen und los geht's.

Blogeintrag Clary:

>>Ich kann es kaum erwarten. Heute in einer Woche sitz' ich im Fahrradsattel auf dem Weg zu dem gemeinsamen Treffpunkt von Luis und mir. Dort werden wir uns dann zum ersten Mal überhaupt sehen und ich bin schon sehr gespannt, wie unsere gemeinsame Zeit verlaufen wird. Zuhause zurücklassen muss ich meine Familie und meine Freunde, doch vor mir und unter meinen Rädern liegt dann die große Freiheit. In meinem Zimmer kann ich kaum mehr stillsitzen und so verbringe ich die restliche Zeit lieber draußen, besuche meine Lieblingsplätze mit meinen besten Freunden und nehme Abschied von allem. Wir wissen noch nicht, wie lange unsere Reise dauern wird und wohin es uns verschlagen wird. Aber eins ist ziemlich sicher, wir werden als andere, veränderte Menschen von unserer Reise zurückkommen. Also bedeutet das auch, dass wir ein Stück Abschied von uns selbst nehmen müssen. Meine Heimat muss ich zurück lassen und all den alltäglichen Luxus aufgeben. Doch die Welt und neue Menschen warten auf mich und ich kann es kaum abwarten den ersten Tritt in die Pedale zu machen. <<

Nach dem Absenden werfe ich noch einmal einen Blick über den Blog, scrolle mit meiner Maus nach oben. Der erste Eintrag entstanden vor drei Monaten:

>>Zwei Verrückte, die sich nicht kennen.

Vereint durch eine gemeinsame Idee.

Eine Weltreise mit dem Fahrrad

'Round the World,

der Freiheit entgegen<<

Der Blog würde hoffentlich mit uns wachsen und immer mehr Gestalt anzunehmen, um schlussendlich die Momente der Reise bestmöglich einzufangen. Doch für heute machte ich Schluss und klappte den Laptop zu, um mich in mein Bett zu kuscheln und die letzen Nächte mit dem Luxus einer Matratze und einer Bettdecke zu genießen.

Die restliche Woche vergeht wie im Flug und der Tag der Abreise rückt immer näher. Mit Luis hab ich seitdem nicht mehr viel geschrieben und mir kommen Zweifel an der Reise. Ich bin unsicher, ob ich es wirklich schaffe meine Freunde hier zurückzulassen. Einfach alles zurückzulassen, mein komplettes bisheriges Leben hinter mir zu lassen und mich auf etwas vollkommen Unbekanntes einzulassen. Jedoch versuche ich jedes Mal aufs Neue die Freude über die aufkommende Angst zu stellen.

Morgen geht es schlussendlich los und langsam und bedacht wandert jedes einzelne Teil durch meine Hände in die Gepäcktaschen. Sie sind fertig gefüllt und ich stelle sie in den Hausflur, während ich noch einmal die Liste durchgehe, ob ich auch an alles gedacht habe. Diesen letzen Abend verbringe ich mit meiner Familie und wir schauen uns gemeinsam alte Fotoalben an, lachen und reden viel. Kurzum ich verbringe einen wunderschönen Abend mit meiner Familie und schließe meine Augen mit einem Lächeln auf den Lippen.

freckled summerWhere stories live. Discover now