46 | Voll schwul, Alter

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Was, wenn ich auf Kerle stand?

Auf einmal war der Gedanke in meinem Kopf, verhakte sich in meinem Gehirn und ließ sich nicht mehr verdrängen.

Niemals war ich schwul. Auf gar keinen Fall. Ne, dafür hatte ich zu oft auf Titten und geile Weiber gewichst.

Vielleicht ja bi.

Na und? War ja nichts dran. Verdammt, war doch auch scheißegal, ob man jetzt auf Männer oder auf Frauen oder auf beides oder worauf auch immer stand. Ich war deswegen nicht weniger krass oder so, das hatte darauf absolut keinen Einfluss. Ich musste ja nichts mit einem Kerl anfangen und wenn doch, durfte es halt keiner erfahren. Ganz einfach.

Es war absolut kein Problem.

Aber es war verfickt unpraktisch. In einem Viertel, in dem Homosexualität quasi gar nicht existierte und es das wichtigste für einen Kerl war männlich zu sein, konnte ich nicht einfach herumrennen und schwul sein. Schwul, Alter. Wie das klang. Nach tuntigen Kerlen, die viel zu hoch sprachen und übertriebene Gesten machten.

Verdammt, stopp. Ich würde jetzt nicht an diesem Scheiß verzweifeln, sondern das machen, was wirklich wichtig war. Der Rest spielte keine Rolle.

Entschlossen ging ich los und steuerte auf die Gruppe zu. Es waren vier, fünf Leute mit fettigen Haaren und ausgemergelten Gesichtern, alle ein bisschen älter als ich. Vielleicht um die zwanzig oder so, ganz richtig konnte ich das nicht einschätzen, weil sie alle ein bisschen wie alte Menschen wirkten.

»Braucht ihr was?«, fragte ich und versuchte zu ignorieren, dass sich mein Herzschlag wieder beschleunigte, die Aufregung meine Stimme nicht fest genug klingen ließ. »Also Drogen oder so«, setzte ich eilig hinzu und hätte mir dafür am liebsten auf die Zunge gebissen. Wie hart konnte man eigentlich wie der letzte Spast klingen.

»Was hast'n?«, fragte ein Mädel mit schwarzgefärbten Haaren und hektisch umherflackerndem Blick. Sie zog an einer selbstgedrehten Zigarette.

»Gras?« Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie abwartend an. Roch den Geruch von Schweiß und Bier. Ekelhaft, wie man sich so gehen lassen konnte und Drogen so viel Macht über sich gab.

»Und sonst?« In ihrer Stimme lag etwas Flehendes und ihre Augen blieben stets nur für einen Sekundenbruchteil an mir hängen, rasten dann wieder über die Parkmauer, das Klohäuschen, ihre Freunde, die beiden anderen Dealer am Eingang.

»Nichts.« Ich rotzte auf den Boden, dessen Asphalt an ein paar Stellen aufgebrochen war.

Ein dürrer Kerl, der im Schneidersitz auf dem Boden saß und eine Bierdose vor sich stehen hatte, lachte auf. Warum auch immer das jetzt lustig war. »Ne, lass mal.«

»Wie viel willst?« Die Schwarzhaarige sah mich wieder an. Ihr ausgeleiertes Shirt war über ihre Schulter gerutscht und offenbarte einen schmutzigpinken BH-Träger.

»'n Zehner.«

»Alter, das ist viel zu viel.« Sie schob sich eine Strähne zwischen die Lippen und begann nervös darauf herumzukauen.

»Soll ich's dir schenken oder wie?« Ich lachte voller Spott auf, während das Adrenalin durch meinen Körper schoss, mich hellwach fühlen ließ. Ich war bereit für das und alles andere, was kommen würde.

»Fünf Euro? Das 'n ganz normaler Preis hier«, sagte sie kopfschüttelnd und legte mir ihre Hand mit dem Kippenstummel zwischen den Fingern auf den Oberarm. Ihre Nägel waren bis aufs Fleisch abgeknappert, mit roten Lackresten drauf. »Bitte, für mich. Komm. Fünf Euro.«

»Pack mich nicht an!«, zischte ich und riss meinen Arm weg. Als ob ich mich von so ekelhaften Weibern anfassen lassen würde. Oder auf solche billigen Tricks reinfallen.

Der Typ auf dem Boden rappelte sich auf und schwankte zur Seite, kippte dabei versehentlich seine Bierdose um. »Ey, du tust ihr nicht weh, is' das klar?«, lallte er.

»Komm, verpiss dich jetzt, wir brauchen keine so nervigen dreckigen Dealer«, fuhr mich ein anderer an, über dessen Arme sich Einstichwunden zogen, die wie aufgekratzte Mückenstiche aussahen.

Ich biss meine Zähne aufeinander. Verdammt, warum funktionierte das hier nicht wie gewollt? Warum kauften mir diese Drecksgestalten nicht einfach das Gras ab?

Wahrscheinlich war es auch eine beschissene Idee gewesen, ausgerechnet ein paar Junkies anzusprechen.

»Sag mir nicht, was ich tun soll.« Ich warf ihm einen Moment lang einen drohenden Blick zu, dann wandte ich mich ab. Brachte jetzt auch nichts, mich auf so einen unnötigen Stress einzulassen.

»Mann, ich will jetzt aber was!«, hörte ich das Mädel kreischen, als ich auf den Parkausgang zusteuerte. Die war ja echt komplett durch.


Es war irgendwann weit nach Mitternacht, als ich am Kotti das Gras tatsächlich loswurde. An so einen Hipstertypen mit Vollbart, der es bestimmt zum ersten Mal gewagt hatte, sich aus Prenzlauer Berg rauszubewegen.

»Danke«, grinste er, als wir Ware gegen Geld getauscht hatten. »Dir noch'n schönen Abend.«

Ich nickte ihm zu, dann ging ich die Treppen zur U-Bahn nach oben. Dort ließ ich mich auf der Metallbank nieder und kramte meine Kippen raus. Zündete keine an, sondern drehte nur die Schachtel zwischen den Fingern. Hinter den schmutzigen Fenstern auf der anderen Seite des Gleises wurde es langsam hell.

Irgendwie fühlte sich die ganze Scheiße ernüchternd an. Nicht so krass, wie ich eigentlich erwartet habe. Vielleicht weil das alles so lange gedauert hatte. Ich starrte auf meine Zigarettenschachtel, die ich in die Luft warf und wieder fing.

Aber hey, ich stand halt nun mal noch am Anfang. Beim nächsten Mal würde das schon viel besser klappen und irgendwann hätte ich eh genug Kunden, als dass ich mir über so einen Scheiß noch Gedanken machen musste.

Was Fede wohl sagen würde, wenn er erfährt, dass ich jetzt mit Dealen angefangen hatte? Bestimmt was total Unerwartetes, dass er es gut fand, wie ich meine Träume realisierte.

Alter.

War doch scheißegal. Ich fing meine Schachtel wieder auf und schloss meine Finger so fest darum, dass ich fast die Kippen zerdrückte. Lockerte sie wieder. Fede würde mich garantiert auslachen und mir einen dummen Spruch drücken, wüsste er, was ich mir hier für bescheuerte Gedanken machte. Wüsste er, dass ich beim Wichsen an ihn gedacht hatte.

Ich würde ihn ganz einfach so hart abfucken, dass er keinen Bock mehr auf mich hatte.

Scheiß auf den.  

Die Verlierer - Könige der PlattenbautenWhere stories live. Discover now