San Francisco

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San Francisco, 1. Februar 1973

Nichts ahnend stieg Dominic an diesem Februarmorgen aus seinem alten VW Beetle und hob die Morgenzeitung von den Treppenstufen vor der Haustür auf. Der blonde junge Mann kam von der Nachtschicht im Krankenhaus und freute sich auf das gemeinsame Frühstück mit seinem Freund, der sicher noch schlief. Kenny war alles andere als ein Frühaufsteher, ganz im Gegensatz zu ihm, dachte Dominic mit einem Lächeln. Auf der obersten Stufe drehte er sich um und schaute hinaus auf die San Francisco Bay, die noch im Nebel lag, aus dem die hohen Träger der Golden Gate Bridge aufragten. Bald wäre die Sonne stark genug, um den Blick auf das Wasser freizugeben. Die Luft war klar und der blonde junge Mann sog sie tief ein. So betrat er das Haus.

Auf dem Dielenboden lag ein Brief, der durch den Türschlitz eingeschoben worden war. Den nahm er ebenfalls auf und legte ihn mit der Zeitung auf den Küchentisch, während er sich daran machte, das Frühstück vorzubereiten. Der Duft von Kaffee und frischen Pancakes würde seinen Langschläfer gewiss anlocken. Tatsächlich kam Kenny schon bald schlaftrunken die Treppe hinunter und in die Küche. Nur in Boxershorts und dem heiß geliebten T-Shirt mit dem Lizard King, legte er seine Arme von hinten um Dominics Mitte, stützte das Kinn auf dessen Schulter und raunte ihm liebevoll ein »Guten Morgen, Doc« ins Ohr.

Es kitzelte und der Blonde liebte es, wenn sein Freund diesen Spitznamen hauchte. »Guten Morgen, du Hippie«, erwiderte er und legte den Kopf schräg zurück für einen Begrüßungskuss. Kennys Blick über Dominics Schulter verriet ihm, was der machte. »Hmmmm, Pancakes und du. Mehr kann ich mir nicht wünschen«, murmelte der Langschläfer, löste sich dann von seinem Freund und begann, den Tisch zu decken.

Bald darauf saßen sie zusammen und ließen es sich schmecken. So wie er zulangte, hatte Doc eine anstrengende Nacht hinter sich. Er arbeitete als Krankenpfleger und auf seiner Station lagen die Kriegsheimkehrer, die oftmals vor Schmerzen schrien oder an Alpträumen litten. Kenny bewunderte ihn dafür, dass er so einen Job wirklich gut machte. Er selbst war ein talentierter Musiker, was man in seiner Familie jedoch einen nutzlosen Traumtänzer nannte. Ganz in diesen Gedanken versunken, zwirbelte er mit den Fingern in seinen dunklen Locken.

»Woran denkst du?«, fragte der Blonde, der bemerkt hatte, dass sein Freund über irgendetwas nachdachte.

»An deinen Job. Es ist furchtbar, was da drüben in Vietnam mit den Jungs passiert. Noch immer geht dieses sinnlose Töten weiter und dabei schauen die Leute uns schief an, weil wir die Einberufung verweigert haben. Das ist, zumindest was dich angeht, echt nicht fair. Du tust so viel für diese Verwundeten.«

»Die Leute schauen sowieso schief, weil wir zusammen sind.« Mit einem Augenrollen machte Doc klar, was er auf die Meinung anderer gab: Nichts.

»Das macht es nicht besser, sondern doppelt unfair«, fand Kenny. Natürlich hatte er damit einen Punkt und wenn er eines besaß, dann einen ungetrübten Sinn für Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. »Nimmst du noch einen Kaffee?«, beendete er das leidige Thema.

Doc nickte und Kenny machte sich daran, ihnen beiden nachzuschenken. Dabei fiel sein Blick zufällig auf den Brief. Der sah irgendwie offiziell aus. »Was hast du denn da gekriegt. Mach mal auf«, ermunterte er seinen Freund. Das konnte unmöglich noch ein Einberufungsbefehl sein. Beide jungen Männer waren mit fünf- und sechsundzwanzig Jahren inzwischen zu alt.

Der Blonde öffnete den Umschlag und holte das Schreiben heraus. »Der ist vom Militärkrankenhaus in Houston«, las er vor, wobei die Farbe aus seinem Gesicht wich. Hastig überflog er den Brief.

»Wollen die dich abwerben?«

»Nein ... Oh.« Dominic stieß ein überraschtes Prusten aus.

»Was?« Eilig setzte Kenny die Kaffeekanne ab. Da stimmte etwas nicht! »Sag schon!«

HomecomingWhere stories live. Discover now