Prolog

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Wir schreiben das Jahr 2053.
Es häufen sich die merkwürdigen Ereignisse. Doch um Null Uhr am 31. Mai zum 1. Juni geschah der Höhepunkt.

Er hakt einen weiteren Punkt auf der Checkliste ab. Mittlerweile kennt er den Weg vom Kontrollgang schon in und auswendig. Jeden Tag prüft er, ob mit den Atomuhren alles in Ordnung ist.
Dieser Tag wird wie jeder andere. Denkt er sich und läuft zügig an einem weiteren technologischen Objekt vorbei. Dieses braucht er nicht zu prüfen. Er weiß, dass eigentlich nichts passieren kann. Eigentlich.
Das frühere Braunschweig, welches jetzt Brauskow heißt, beherbergt eine von den wenigen Atomuhren der Lichtseite. Er fragt sich, wie Zeit in der Schattenseite abläuft. Er zwingt sich, nicht an ‚Drüben' zu denken und konzentriert sich stattdessen weiter auf seine Arbeit. Da Braunschweig und Umgebung vor vielen vielen Jahren vom russischsprachigen Raum eingenommen wurde heißt es nun anders. Die Russen konnten es nicht aussprechen. Er selber wurde in diesem Ort geboren und hat als Muttersprache russisch, kann jedoch auch gut deutsch sprechen. Schon immer arbeitet er hier. Jobs in der heutigen Zeit zu finden ist fast schon ein Privileg. Menschen können sich glücklich schätzen, wenn ihre Eltern ein Unternehmen haben, dass sie nun übernehmen können. Übernehmen müssen. Die Preise schießen in die Höhe und jegliche Betriebe und Konzerne mussten Mitarbeiter entlassen oder ganz schließen. Keiner, außer die von der Politik wissen, warum die Wirtschaft so einen negativen Umbruch hatte. ‚Die von der Politik' regeln alles im Hintergrund. Es wurden jegliche Regierungsformen abgeschafft, alles wird von ‚ganz oben' geregelt. Und sagt man ein falsches Wort, schon ist man verschwunden- und kommt nie wieder...

Nun hat er die letzte Maschine kontrolliert und abgehakt. Er schaut auf seine Checkliste und ein mulmiges Gefühl breitet sich aus. In seinem Bauch. Einen Punkt hat er nicht abgehakt. Gerade will er das Häkchen setzen. Noch bevor er den Stift auf das Papier setzt, hält er inne.
Hör auf dein Bauchgefühl. Redet er sich ein und dreht sich einmal um seine Achse. Zügig läuft er zurück.
Wenn etwas passiert, dann wäre ich daran schuld und würde wahrscheinlich nicht mehr lange leben...
Auf dem Weg zur Maschine starrt er die ganze Zeit auf sein Klemmbrett. Dort angekommen, schaut er auf. Rote Signallichter gehen an. Ein lautes Dröhnen kommt aus den Lautsprechern. An dem Gerät stehen drei seiner Kollegen. Darunter der Chef der Abteilung und vier Sicherheitsleute. Panisch sieht er drein.
„Was ist hier los?", fragt er und schluckt. Schwer.
„Wir bitten Sie mitzukommen. Die Predinien wollen Sie sprechen", befiehlt einer der Securitys. Seine Miene ist ausdruckslos, seine Stimme kräftig und seine Händen ruhen hinter seinem Rücken.
Predinien! Die drei machtvollsten Menschen der Welt. Es sind wie die Präsidenten der Sprachräume. Doch keiner benutzt mehr das Wort.
Sein Blick gleitet zu den anderen Wissenschaftlern.
„Tun Sie was er sagt!", kommandiert sein Chef barsch.
„Fragen beantworten wir erst in Moskau. Während der Fahrt sagen Sie kein Wort, verstanden?", fragte der andere von den vier mit einer Drill-Sergeant-Stimme. Er nickt. Der Securityman ist mindestens einen Kopf größer und in seine Schultern würde er zweimal reinpassen. Etwas verwirrt und trotzdem panisch verlässt er die Einrichtung, gefolgt den Sicherheitsleuten. Was ist nur los?

Er kennt solche Bahnen, welche schweben und mit halber Lichtgeschwindigkeit fahren. Mit dieser fährt er jeden Tag zur Arbeit. Und heute fährt er damit nach Moskau. Die Angst, seinen Job zu verlieren, überkommt ihn ständig. Am Fenster sind nur Lichter zu sehen, die von Röhren gerahmt sind. Gerne würde er wissen, wo sich die Bahn im Moment befindet. Doch fragen während der Fahrt ist tabu. Das Wissen, in kurzer Zeit da zu sein, beruhigt ihn etwas. Es wurde ihm verboten, Dinge auf die Fahrt mitzunehmen. Kein Geld also. Das Mobiltelefon steckt tief im Jacket des zweiten Sicherheitstypen. Selbst wenn es nervig vibrieren sollte, bekäme er es nicht ausgehändigt. Was wird wohl seine Frau denken, wenn er heute nicht zur rechten Zeit nach Hause kommt? Keiner ihrer Anrufe wird von ihm abgenommen.

Die Sonne blendet, als er aus dem Fahrzeug steigt. Er blickt auf. Ein riesiges Gebäude, schön anzusehen, ragt vor ihm empor. Auf dem Platz wo sie nun stehen, befindet sich keine Menschenseele. Er weiß, wo sie sind. In Moskau. Natürlich am Kreml. Er hatte immer gedacht, dass es hier nur so von Touristen wimmelt, doch da hat er ich geirrt. Fragend, was er nun tun soll, sieht er zu dem großen Secuityman. Er nickt in Richtung Kreml. Langsam setzt er einen Fuß nach dem anderen und wird dann immer schneller. Mit jedem Schritt stieg die Angst in ihm. Was wird gleich passieren?

Für gewöhnlich fühlt er sich nicht ausgegrenzt. Doch als er so viele Männer in Anzug und Uniform sieht, empfindet er sich mit seinen Turnschuhen und dem Laborkittel fehl am Platz. Er räuspert sich.
„Hallo."
„Guten Tag. Setzen Sie sich", bittet der Predin des russischsprachigen Raumes in einem akzentfreien, perfekten Russisch.
Er tut, was der Politiker sagt. Noch während er sich setzt, erklärt er ihm, was vorgefallen ist.
„Es gab Komplikationen." Kurze Angst huscht über sein Augenpaar.
„Mit den Atomuhren. Wir befürchten das Schlimmste."
Im nun dramatischen Ton fährt der Predin fort.
„Dem Anschein zufolge sind Sie dafür verantwortlich. Das die Maschinen stets laufen, ist ihr Part, richtig?"
Er nickt.
„Haben Sie das heute geprüft?"
„Dies wollte ich tun, als ich meine Kollegen und einige Sicherheitsleute an dem Gerät sah."
Die Ausrede saß. Gerade noch so. Gut, dass er vorhin auf sein Bauchgefühl gehört hat und nochmal zurückgegangen ist.
Der Predin nickt und rückt seinen Anzug gerade.
„Was meinten Sie mit ‚Wir befürchten da Schlimmste'?"
Er atmet schwer aus.
„Wir wissen nicht genau was mit den Atomuhren passiert ist, aber überall auf Lichtseite gab es Störungen."
Der Predin machte ein Handzeichen zu einem Offizier. Dieser reicht ihm ein Tablet. Er wiederum übergibt es ihm. Beim Betrachten erklärt der Predin weiter. Doch er hört ihm gar nicht mehr zu. Ganz genau weiß er, was da steht.
„Das ist unmöglich!", ruft er durch den Raum.
Die bewaffneten Männer greifen aus Reflex zu ihren Waffen. Alle Predinien blicken erschreckt auf. Doch ihn interessiert es nicht weiter.
„Diese Zahlen und Werte! Sowas... kann nicht sein!"
Er starrt den Predin an.
„Es wird einen Tag geben, den es nicht gibt... Ähnlich wie der 29. Februar, nur das es diesen Tag wahrscheinlich, höchst wahrscheinlich nie wieder geben wird. Und das wird morgen passieren... 32. Mai..."
Er überlegt kurz.
„Sowas passiert nicht einfach so. Atome machen keine Fehler. Es kann nur... Sabotage sein!"
Er braucht kurz um das zu realisieren.
Und sagt man ein falsches Wort, schon ist man verschwunden- und kommt nie wieder...
„Führt ihn ab. Er weiß zu viel", sagt der Predin ruhig, macht ein Handzeichen und drei Soldaten kommen auf ihn zu.
Reflexartig tritt er ein paar Schritte nach hinten.
„ Nein! Bitte nicht!", fleht er, doch da ist es schon zu spät.
Einer der Dreien hat ihm eine Flechtkugel in den Schädel geschossen. Er ist sofort tot umgefallen. Es spritzt kein Blut umher, da diese besondere Munition die Haut wieder sofort verschließt. Dennoch blutet er nun innerlich, da die Kugel einmal durch seinen Kopf geht.
Ohne eine Miene verzogen zu haben, drehen sich die Drei auf dem Absatz und laufen zurück zu ihrem Platz.
„Führen wir die Operation weiter durch?", fragt der Predin des deutschsprachigen Raumes in einem schlechten Russisch.
„Die Operation wird fortgeführt. Die Medien, die Polizei und sonstiges dürfen keinen Wind davon bekommen. Registrieren Sie alle Geburten am morgigen Tag und schicken Sie mir dann diese zu. Sie müssen alle abgeführt werden."
Abgeführt wie er. Getötet.
Alle Predinien nicken, stehen auf, verabschieden sich und gehen.

Love off Steel - Die SchattenseiteTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon