38 | Woran denkst du beim Wichsen?

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»Okay.« Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern, während meine Mutter erschrocken mit dem Kopf schüttelte.

»Jonathan! ...«, murmelte sie fassungslos.

Sie begannen damit, mir Fragen zu stellen. Über jeden möglichen Scheiß. Erst dazu, was ich in der Tatnacht gemacht habe und ob ich die anderen Beschuldigten Arsenij, Tarek und Moussa kennenwürde. Ob die ein Problem mit den Inhabern des Salons gehabt hätten.

»Was weiß ich, Alter«, seufzte ich genervt auf. »Müsst ihr schon die selber fragen.«

»Das tun wir auch noch, keine Sorge.«

Dann laberte mich die Olle vom Jugendamt damit zu, dass ich ihr davon erzählen konnte, falls ich Probleme zuhause hab. Dass ich mich auch gerne vertraulich an sie wenden konnte. Fragte nach der Beziehung zu meiner Mutter, zu Tommy, bla bla bla.
Es wunderte mich, dass die nicht wissen wollten, woran ich beim Wichsen dachte. Dabei wär' das Gespräch bestimmt viel spannender gewesen, hätten wir über Weiber und Titten gesprochen.

»Bei der Flucht wurde ein Beamter mit einem gezielten Tritt ins Gesicht verletzt, wir nehmen durch seine Beschreibung an, dass du das gewesen sein könntest. Ist das so?« Keskin sah mich mit einem ersten Blick an.

In diesem Moment bemerkte ich, dass die Alte heulte. Nicht offensichtlich, sondern darum bemüht, dass es niemand mitbekam. Immer mal wieder wischte sie sich mit dem Ärmel ihrer Bluse, die wohl zuletzt in den Siebzigern modern war, die Tränen aus den Augenwinkeln.

Ich biss die Zähne aufeinander. Ich sollte das lustig finden oder so, war doch nicht mein Problem, wenn die daraus so'n Drama machte, aber irgendwie tat es weh.

Das war doch Bullshit.

Sie war mir egal.

»Alter, nein, das war ich nicht«, erwiderte ich gepresst zu dem Polizisten. Er nickte.

»So, das war's erstmal«, schloss Keskin und der andere klappte seine Mappe mit den Notizen zu. »Du wirst von uns hören, in ein paar Tagen kommt die Vorladung per Post.«

Sie erhoben sich und verabschiedeten sich, dann begleitete meine Mutter sie zur Tür.

Ich musste an Tarek denken und daran wie er mir von seinen Begegnungen mit der Polizei erzählte. Die sie zwar oft genug grundlos filzte, aber dann doch nie wirklich was in der Hand hatte, um eine Verurteilung zu erwirken.

Verdammte Scheiße, deutsche Bullen waren doch lächerlich. Wollten einfach nur einen Brief schicken und sahen das Problem nicht bei mir, sondern bei meiner Alten und ihrem Stecher.

Es fühlte sich wie ein elendiger Sieg an. Wenn nicht mal die Polizei mich ficken konnte, wer dann? Die konnten mir nichts und mit ein paar Sozialstunden würde ich schon klarkommen. Das, was ich dadurch bekam, war viel mehr wert: Die Anerkennung der anderen. Verdammt, Stress mit den Bullen gehabt zu haben, das war so viel krasser als Aykan mit seinen Fitnessstudio-Besuchen.

Als ich gerade die Küche verlassen und in mein Zimmer gehen wollte, weiter zocken, kam Tommy herein. »Bleib mal hier«, forderte er und schob mich zurück.

»Ey, pack mich nicht an!«, fuhr ich ihn an.

»Pass mal auf, dass du nicht wie 'ne Frau klingst, die gerade vergewaltigt wird.«

In diesem Moment kam meine Mutter in die Küche. Ihre Haare waren ganz zerzaust, der Blick ganz erschöpft.

Sofort legte Tommy seine Wurstfinger um sie, zog sie an seine Brust und streichelte sie tröstend. Dass ich mir auch immer diese widerliche Scheiße angucken musste.

»Jonathan«, setzte sie an, ihre Stimme zitterte. »Wie kannst du uns das erklären?«

»Uns?«, spottete ich. »Hab ich die Hochzeit verpasst oder was?«

»Ganz ehrlich, Junge, komm mal wieder klar«, laberte Tommy los. »Da standen gerade die Bullen vor der Tür, ist dir überhaupt klar, was das bedeutet? Da kommt 'ne Gerichtsverhandlung auf dich zu und mit aller Wahrscheinlichkeit bist du bald vorbestraft. Aber das verstehst du ja nicht mal. In deiner Traumwelt hältst du dich immer noch für den Härtesten.«

»Bist jetzt Psychotherapeut oder was?«, spottete ich. »Verpiss' dich jetzt mal.«

»Guck mal, wie viel Ärger deine Mutter einfach wegen dir hat«, fuhr er fort. »Sie arbeitet so viel für euch und jetzt kriegt sie Probleme mit dem Jugendamt. Das ist deine Schuld.«

»Meinst du, die juckt mich?« Ich lachte auf.  »Ist mir doch scheißegal.«

Meine Mutter schluchzte los. Es war unmöglich, die darinliegende Verzweiflung zu ignorieren.

Im nächsten Moment hatte Tommy mich schon gepackt. Ehe ich raffte, was er vorhatte, landete seine Faust im Gesicht. So fest, dass mir kurz schwarz vor Augen wurde und der Schmerz sich stechend in meine Knochen zog. 

»Fuck ...«, murmelte ich und taumelte nach hinten.

Die Alte hielt sich die Hand vor den Mund und sah uns beide entsetzt an.

»Du dreckiger Bastard, ich mach dich noch fertig, das schwör' ich dir!«, brüllte ich Tommy an, der mit geballter Faust vor mir stand. Ich holte aus, um zurückzuschlagen, um seine hässliche Fresse kaputtzumachen, doch er packte meine Hand und riss sie brutal zurück. 

So beschränkte ich mich darauf, ihm meine Verachtung ins Gesicht zu rotzen. Genüsslich sah ich dabei zu, wie meine Spucke seine Wimpern verklebte, dann stieß ich ihn grob von mir. Stürmte in den Flur, wo ich eilig in meine Schuhe schlüpfte und dann schon aus der Wohnung draußen war.

Mit einem lauten Knall schmiss ich die Tür ins Schloss, ging hoffentlich kaputt, das Scheißteil.

Diese verfluchten Arschlöcher konnten mir echt gestohlen bleiben.

Die Verlierer - Könige der PlattenbautenWhere stories live. Discover now