Nachdem wir alle Vorlesungen und Seminare hinter uns gebracht hatten, gingen meine Freundinnen und ich ins SATO, ein thailändisches Restaurant, das dankenswerter Weise direkt neben der Dublin City University lag und Kazumis Eltern gehörte.
      Umringt von mit Vögeln bemalten Spiegeln, Plastikpflanzen und zufrieden grinsenden Buddhaskulpturen saßen wir an unserem Stammtisch und erläuterten die neusten Ereignisse. Wobei, eigentlich redete nur ich. Kazumi plapperte ab und zu über den Rand ihrer japanischen Zeitschrift hinweg, wobei ihre Kommentare nicht zwangsweise auch zum Thema passten. Olivia hingegen war meist so tief in ihre Arbeit versunken, dass sie sich kaum zu Wort meldete.
      ››Habt ihr Abigail heute gesehen?‹‹ Kazumi zwirbelte ihr blondiertes, zu zwei Zöpfen geflochtenes Haar. ››Sie hat so billig ausgesehen, wie sie sich im Klo aufgehübscht hat. Und die Schuhe, neue Stilet–‹‹
      ››Ich glaube nicht, dass Abigail Prescotts Schuhgeschmack Fran aufmuntert‹‹, warf Olivia streng über eine Monografie von Charlotte Lennox ein und kritzelte etwas auf ihren Block.
      Kazumi stibitzte sich mit schuldbewusster Miene ein Lachs-Maki aus der Mitte des Tisches. Für elf Euro teilten wir uns den verdammt leckeren Sushi Mix Deluxe.
      Seufzend rückte ich meine Brille zurecht. ››Schon okay. Ihr könnt ja nichts dafür, dass Cedric ihr die Zunge in den Hals gesteckt hat.‹‹
      ››Ein scheußlicher Zug‹‹, bestätigte Olivia, deren Ausdruck sich urplötzlich verfinsterte. Seit dem Seminar Vergleichende Literaturwissenschaft hatten sie und Kazumi sich exakt acht Beschimpfungen ausgedacht, von denen ‚elendes Semmelgesicht' noch die netteste war. Kazumi hatte nämlich im Sommer Urlaub in Bayern gemacht und kannte sich jetzt super aus, besonders kulinarisch. Olivia hatte es mit Wüstling probiert, aber das war nicht halb so lustig.
      ››Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass er außer Fußballspielen und Saufen nichts im Kopf hat‹‹, echauffierte sie sich. ››Obwohl, es soll ja bekanntlich Frauen geben, die auf sowas stehen. Dann aber wohl eher trotzdem, und nicht deshalb.‹‹
      Kazumi legte die Zeitschrift beiseite. Auf dem Cover war ein asiatisches Mädchen mit orangenen Zöpfen und riesigen mandelförmigen Augen abgebildet. Die Brüste waren auch ziemlich groß. Größer als meine jedenfalls. ››Sie ist eben verliebt. Da idealisiert man und merkt's erst, wenn's zu spät ist.‹‹
      ››Und warum Abigail?‹‹, jaulte ich. Abigail. Schon der Name erinnert mich an den Zwergpudel von Tante Maddie, und der hatte meinen Lieblingsbären zerbissen als ich fünf war.
      ››Sie ist eine blöde Kuh mit reichen Eltern und einer bedenklichen Essstörung.‹‹ Kazumi tunkte das neunte Maki in Sojasauce und steckte es sich schmatzend in den Mund. ››Gott sei Dank sind wir nicht so.‹‹
      Olivia verzog leicht angewidert den Mund. ››Tja, viele Männer stehen auf Dummchen. Sie sind leicht zu manipulieren und nerven nicht, wenn man sie nach zwei Wochen abserviert. Ich persönlich kann selbstverständlich nicht nachvollziehen, was er an ihr findet. Aber Gleich und Gleich gesellt sich gern. Möglicherweise hat er dich deshalb nicht haben wollen.‹‹
      ››Weil ich nicht verblödet bin? Echt jetzt?‹‹ Das war irgendwie keine hinreichende Erklärung. Aber vermutlich lag das an meinem mickrigen Selbstbewusstsein. Seit ich Cedric kannte, den lässigen Sportler mit den grau-blauen Augen und den blonden Haaren, fühlte ich mich daneben wie ein Müllsack. Ein bebrillter Müllsack.
      ››Er ist ein feiger Heuchler und hat jemanden wie dich nicht im Traum verdient, selbst wenn er auf Knien angekrochen käme – ist doch so!‹‹, fuhr Olivia Kazumi an, die einlenken wollte.
      In diesem Augenblick trat eine kleine asiatische Frau mittleren Alters an unseren Tisch. ››Gehen bisschen leisel, Gast haben beswelt.‹‹
      ››Sorry, Mum.‹‹ Kazumi wurde rot. Es war ihr peinlich, wenn sich ihre Eltern in unsere Gespräche einmischten.
      ››Geben Ploblem?‹‹
      ››Alles in Ordnung‹‹, versuchte ich das Thema zu beenden, doch Olivia kam mir zuvor.
      ››Finden Sie auch, dass Francis etwas Besseres verdient hat, als einen egozentrischen Idioten mit unterdurchschnittlichem IQ?‹‹
      Mrs. Sato lächelte weise. ››Flau sollte sein Stein in Wassel. Kann sie umspülen, abel nist blessen. Altes Spliswolt.‹‹ Sie sammelte die leeren Teller ein.
      ››Is' gut jetzt.‹‹ Kazumi verkroch sich unangenehm berührt hinter ihrer Zeitschrift. ››Alte Sprichwörter helfen auch nicht.‹‹
      ››Altes Spliswolt helfen immel, denn sein von alte Mensen. Mensen wie mil.‹‹ Sie tippte sich auf die Nase und entfernte sich lachend Richtung Küche.
      Olivia beugte sich zu mir. ››Du bist die Frau, du musst Männerherzen in zermatschte Bananen verwandeln, nicht umgekehrt.‹‹ Als sei damit alles gesagt, vertiefte sie sich wieder in ihre Arbeit und machte fleißig Notizen. Notizen, um die wir sie zur Prüfungszeit wieder anbetteln würden. Nur gerade hatten wir andere Sorgen.
      Olivia Barnett war – entgegen einem weit verbreiteten Klischee – genauso hübsch wie klug. Anders als Kazumi brauchte sie sich nicht einmal zu schminken, um die Studenten reihenweise aus den Bänken kippen zu lassen. Allerdings ignorierte sie diese Tatsache geflissentlich.
››Ich bin für sowas nicht gemacht. Dafür denke ich viel zu realistisch‹‹, war stets die Ausrede, wenn wir sie verkuppeln wollten. ››Gebt mir einen Mann, mit dem ich Dokumentationen schauen, Literatur diskutieren und anregende Gespräche über Wirtschaft führen kann, dann denke ich nochmal drüber nach. Aber bevor ihr ein solches Beispiel auftreibt, das meine Theorie von der voranschreitenden Verblödung sämtlicher männlicher Subjekte widerlegt, sind wir wahrscheinlich alle zeugungsunfähig.‹‹
      ››Wie wär's denn mit Ryan?‹‹, fragte Kazumi diabolisch grinsend und bedachte mich mit einem vielsagenden Blick.
      Ryan Pimplemeyre, zweiundzwanzig, besaß nicht nur einen grässlichen Nachnamen, sondern eine ebenso eklige Visage. Nomen est omen. Seit ich an der Uni war, dackelte mir der sonst so zurückhaltende Kerl hinterher, lauerte mir regelmäßig vor dem Klo auf und hatte eine Zeit lang ständig versucht, mich auf ein Date einzuladen. Diese Gewohnheit unterband ich, nachdem er mir sogar in die Toilette gefolgt war, was einen ausgewachsenen Tobsuchtsanfall meinerseits zur Folge gehabt hatte. Seitdem hielt er in den Vorlesungen einen Sicherheitsabstand von mindestens vier Bankreihen und konzentrierte sich auf seine zwei größten Leidenschaften: Henry James Romane und das Ausdrücken von Pickeln.
      Olivia würdigte diesen Vorschlag demnach keiner Antwort, warf das blonde Haar in den Nacken und beugte sich über den Notizblock. Der arme Ryan. Obwohl vermutlich frei von Haaren auf den Füßen, würde er es noch schwerer haben, eine Freundin zu finden, als Frodo Beutlin. Oder Gandalf.

Band 1: Seelenrose (ehem. Apfelblau und Tintenrot)Where stories live. Discover now