19 - Betrug beim Spiel

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»Na denne«, sagte der Kerl. »Ich bin Gunnar, bin Schmied. Das ist Jörg und das ist der Reinhard.«

Die beiden prosteten Hannes zu, der es freundlich erwiderte. Jörg war ein hochgewachsener Mann mit Topfschnitt, der eine Laute gegen die Bank gelehnt hatte. Reinhard trug eine Brille und etwas bessere Kleidung, was den Gesellen vermuten ließ, dass er einen guten Beruf ausübte. Solche Männer bildeten sich oft ein, klüger als ihr Gegenüber zu sein. Hannes wägte ab. Einzig Jörg schien ein Risiko zu sein, er schien scharfe Augen zu haben, mit denen er ihn prüfend musterte, und Musiker hatten oft selbst Erfahrungen beim Betrug im Spiel und kannten daher die bekannten Tricks. Dennoch war Hannes zuversichtlich, dass heute ein guter Tag werden würde.

»Spielt ihr?«, fragte er die drei und zog ein Kartenspiel hervor.

»Gerne«, sagte Reinhard und Gunnar winkte mit der Pranke. »Immer hinne damit! Was spielen wa denn?«

Während die beiden zu diskutieren begannen, was sie spielen sollten, lehnte Jörg sich mit prüfender Miene zu ihm vor. »Du weißt aber, dass man beim Spielen nicht betrügen darf, nech?«

»Ich betrüge nie«, beteuerte Hannes, der die Karten mit fliegenden Fingern zu mischen begonnen hatte. Er schenkte Jörg sein freundlichstes Lächeln.

»Na«, sagte der Musiker und hob die dünnen Brauen. »Das wollen wir hoffen. Du weißt ja, was hier passiert ist, nech? Du weißt, was für eine Nacht ist, nech?«

»Hmm?«, machte Hannes und neigte den Kopf.

»Er weißes nicht!«, stieß Gunnar hervor, der sich mittlerweile mit Reinhard geeinigt hatte. »Na, da müssen wa dich erstmal aufklären. Hör gut zu, Junge. Einmal gab's hier einen Kerl, der war Zimmermann. Der spielte gerne Karten und manchmal verlor er auch.«

»Einmal in der Silvesternacht hatte er eine furchtbare Pechsträhne«, fuhr Reinhard fort, der sich dichter über den Tisch gebeugt hatte. Der Kerzenschein tauchte sein Gesicht in mysteriösen Schein und Hannes war mit einem Mal ganz anders zumute. »Somit musste er beim Spiel betrügen, um nicht alles zu verlieren. Als die Gegner aufdeckten, dass der Zimmermann schwindelte, um sich über Wasser zu halten, stellten sie ihm ein Ultimatum: Sollte er das nächste Spiel nicht gewinnen, würde er mit seinem Leben dafür bezahlen. Er musste auf seine Seele setzen, der arme Mann.«

»Sie passten genau auf, sodass es ihm nicht mehr gelingen konnte, zu schwindeln«, raunte Jörg über die Kerzenflammen hinweg. »Und so gelang es ihm nicht, das Spiel zu gewinnen. Der Zimmermann verlor und wurde in das Schwarze Loch eingemauert, gleich da.« Er wies hinüber in eine Ecke der Schenke. Ein schwarzer, großer Fleck, wie Ruß, war dort auf der Wand zu sehen. »Schlimme Dinge passieren mit Menschen, die schummeln. Seitdem betrügt hier keiner mehr, vor allem nicht inner Silversternacht, nech? Und auch du nicht?«

Hannes lächelte ihn freundlich an. »Ich kann eh nicht betrügen. Kann viel zu schlecht lügen dafür.«

Gunnar lachte laut. »Na denne! Dann teil se mal aus, die Karten!«

»Ich teile, wenn es recht ist«, sagte Reinhard. »Hab dennoch immer leichten Verfolgungswahn, wisst ihr? Besser wenn ich selber austeile, dass weiß ich, dass mich niemand an der Nase herumführt.«

Hannes reichte ihm bereitwillig die Karten. Eigentlich hätte er gern selbst geteilt – er hatte so gemischt, dass er sich selbst ein gutes Blatt hätte ausgeben können, ohne dass es bemerkt würden wäre. Doch es wäre zu auffällig, Reinhards Wunsch auszuschlagen, und so widersprach er nicht. Der Gelehrte mischte nochmals, ehe er verteilte.

Während Karte um Karte den Weg auf die Blätter fand, landete eine Handvoll Bremischer Münzen auf dem Tisch. Hannes, der ebenfalls seinen Einsatz beisteuerte, schob seine Karten zusammen und ließ den Blick über die anderen Menschen in der Taverne schweifen. Die Standuhr an der Wand zeigte, dass es bald Mitternacht sein würde. Schräg links saß eine größere Gruppe Männer und Frauen, die sich lautstark unterhielten und schallend lachten. Hannes winkte dem Schankmädchen, das gerade Bier an diesem Tisch verteilte, und bestellte einen weiteren Krug.

Als er sich gerade wieder den Karten zuwenden wollte, fiel sein Blick jedoch auf einen sonderbaren Mann. Es handelte sich um einen älteren Kerl mit einem zerfurchten Gesicht, einem Mantel mit hochgeschlagenem Kragen. Der saß mit einem Bier an einem Tisch in der Nische, die Hand um den Griff gelegt, und musterte Hannes ruhig. Sein Blick ruhte einfach nur stumm auf ihm. Starr.

Hannes war mit einem Mal unbehaglich zumute und er nahm die restlichen Karten an sich, schaute in sein Blatt. Es war in Ordnung, nichts Überragendes, aber es würde sich damit arbeiten lassen.

Das Spiel begann und der junge Mann hielt sich zunächst treuherzig an die Regeln. Zu früh mit dem Betrügen zu beginnen, hatte sich nie als klug erwiesen, und er spürte, dass Jörg ihn trotz seiner Versicherungen genau beobachtete. Karte um Karte wurde abgeworfen, gezogen, begutachtet. Gunnar war bald abgehängt und eine Chance auf Gewinnen war für ihn quasi vertan. Jörg spielte so gut, wie Hannes erwartet hatte, und auch Reinhard war ein ziemlich guter Spieler. Bald lockte den jungen Gesellen die Versuchung und er warf einen Blick in die Runde – bereit, eine Karte in seinem Ärmel verschwinden zu lassen, wenn niemand hinsah. Als er sich umsah, erregte jedoch der ältere Herr in der Nische wieder seine Aufmerksamkeit. Hannes wurde ganz unwohl zumute. Obwohl der Kerl so weit weg saß und Jörg vor ihm ihn mindestens mit ebenso viel Misstrauen musterte, war dem Tischler doch ganz unwohl unter dem intensiven Blick des Alten. Beinahe war es, als wollte er ihn warnen: Betrüg nicht, oder es wird dir leidtun.

Das Spiel neigte sich dem Ende zu und Hannes drohte zu verlieren. Reinhard lag in Führung und auch Gunnar zog kräftig nach. Am liebsten hätte er eine seiner Karten unauffällig gegen eine andere getauscht. Das Blatt wäre perfekt gewesen! Doch wann immer Hannes die Finger locker machte oder unauffällig die Manschetten seines Hemdes betastete, um einen seiner Tricks in die Wege zu leiten, spürte er wieder den Blick des Alten auf sich. Für gewöhnlich war Hannes ein skrupelloser Betrüger, wenn es um solcherlei Dinge ging, und er wusste nicht recht, was in diesem Kerl ihm solche Angst einjagte. Als er nun seine letzte Chance kommen sah, zuckte sein Blick erneut zu dem Mann in der Nische, der ihn weiter anstarrte. Langsam, beinahe unmerklich, schüttelte er den Kopf. Und Hannes, der die Hand bereits unauffällig an der richtigen Stelle platziert hatte ... betrog nicht.

Das Spiel war noch nicht ganz vorbei, als die Standuhr in der Ecke von Mitternacht kündigte, doch es war klar, dass Reinhard es knapp gewonnen hätte. Die Gäste in der Taverne brachen in Gejubel aus, Musik wurde gespielt und alle beglückwünschten einander und wünschten sich alles Gute für das neue Jahr. Jörg hob seinen Krug und die vier Kartenspieler schlugen ihr Bier gegeneinander, johlten einander ein gutes neues Jahr zu. Sie nahmen einen tiefen Zug aus ihren Bierkrügen.

Kaum hatte sie abgesetzt, begann Reinhard zu husten. Der Gelehrte setzte den Krug mit lautem Knallen auf dem Tisch ab, fasste sich an den Hals, röchelte. Gunnar wollte ihm auf den Rücken klopfen, wich jedoch zurück, als Schaum auf Reinhards Mund trat, seine Augen rot unterlaufen auf den Höhlen drangen. Mit einer fahrigen, haltsuchenden Bewegung schlug er die Hand auf den Tisch, stieß das Bier um. Hannes sprang auf die Beine und taumelte vor ihm nach hinten, von Grauen gepackt, und Jörg und Gunnar taten es ihm gleich. Ihr Tischnachbar hustete, würgte und röchelte noch einen Augenblick, tastete blind umher, eher er erschlaffte und auf der Tischplatte reglos zusammensank.

Es war ganz still im Bremer Ratskeller geworden. Die Menschen starrten wortlos auf die Leiche, den gerade Gestorbenen – vergiftet. Hannes, Jörg, Gunnar blickten ebenfalls auf den Toten hinab, bebend, ohne Regung. Aus Reinhards Ärmel ragten mehrere Karten.

Hannes betrog danach nie wieder im Spiel. Er besuchte auch nie wieder die Taverne in Bremen. Doch wann immer er in anderen Gasthäusern unterkam und seine Tischnachbarn zum Kartenspiel herausforderte, pflegte er, sich zuvor einmal umzusehen: Um zu schauen, ob nicht wieder dieser merkwürdige Mann bei ihnen saß und sie aus den Schatten beobachtete.

Halloween Countdown 5 - Rückkehr in die FinsternisWhere stories live. Discover now