“Ich glaube, ich sollte mich auf den Weg zur Uni machen”, entschied ich, wenn auch nur widerwillig. Jamie atmete tief aus, was ich als Zeichen der Enttäuschung deutete.
“Wahrscheinlich hast du recht. Ansonsten wirst du wieder zu spät kommen und ich will ja nicht der Grund dafür sein”, sagte er, woraufhin ich mich wieder aufrichtete. 
Am liebsten würde ich einfach liegen bleiben und mich stundenlang nicht fortbewegen, doch es ließ sich nicht ändern. 
Wir standen gemeinsam auf und Jamie zog sich ebenfalls seine Schuhe an, weshalb ich ihn fragte: “Wohin gehst du?”
“Ich treffe mich mit Beth im Park. Da du sie ja gestern kennengelernt hast, kannst du dir wohl in etwa vorstellen, wie lange sie mich aufhalten wird”, antwortete er und lächelte. Tatsächlich hatte sie ziemlich viel geredet, weshalb ich seine Andeutung verstand.
Wir verließen seine Wohnung und verabschiedeten uns, da er in die entgegengesetzte Richtung gehen musste. 

Als ich meinen Weg ohne ihn fort setzte, fühlte ich mich alleine. Jamie ließ mich mit vielen Antworten und noch mehr Fragezeichen zurück. Es war keinesfalls so, dass ich ihn nur dafür benutzte, herauszufinden, was ich eigentlich fühle. Das alles passierte so unerwartet. Seitdem ich ihn getroffen hatte, musste ich nichts mehr hinterfragen, da ich dank ihm die Antwort auf meine Frage gefunden hatte. 
Es war viel zu früh, um zu sagen, dass ich Gefühle für ihn hatte. Doch ich konnte mit Sicherheit feststellen, dass ich auf dem besten Weg dorthin war. Es fühlte sich so an, als würden sie sich bei jedem unserer Gespräche oder Berührungen ein Stückchen weiter entwickeln. 
Sein Lächeln wollte mir nicht mehr aus dem Kopf gehen, genauso wenig, wie das Gefühl, ihm nahe sein zu wollen. Ich wünschte, ich würde Klarheit darüber bekommen, was er über uns dachte. Es war offensichtlich, dass wir keine normalen Freunde waren. Doch was war das, was sich zwischen uns entwickelt hatte? Und konnte Jamie es auch spüren? Ich würde ihn wohl fragen müssen, um es herauszufinden. 
In manchen Momenten konnte Jamie ziemlich selbstbewusst und frech sein, doch hin und wieder schaffte ich es, ihn in Verlegenheit zu bringen. Sein Charakter war äußerst interessant und ich war mir sicher, dass es noch so viel gab, was ich noch nicht entdeckt hatte. Seine verletzliche Seite hatte er mir gestern offenbart, was für mich ein Beweis das Vertrauens war. 

Ich wollte noch mehr Zeit mit ihm verbringen, um all seine anderen Eigenschaften kennenzulernen. Jamie besaß eine besondere Anziehungskraft, von der ich mich nicht lossagen konnte. 
Plötzlich klingelte mein Telefon in der Hosentasche, woraufhin ich den Anruf entgegennahm. “Caden? Wie geht es dir, mein Junge?”, fragte mich mein Vater, dessen Stimme ich im Schlaf wiedererkennen würde. 
“Hey, Dad. Mir geht es sehr gut und euch?”, antwortete ich und war froh über seinen Anruf. 
“Uns auch. Henry vermisst dich aber sehr, vielleicht könntest du uns bald nochmal besuchen kommen? Und wie geht es an der Uni voran?”, fragte er mich und klang interessiert. 
“Ich besuche euch bald wieder, versprochen. Ich hatte dazu in den letzten Wochen leider keine Zeit, da ich so viel lernen musste. Jetzt ist aber meine vorerst letzte Prüfung geschrieben. Es läuft gut, kann man sagen”, erzählte ich ihm und erreichte den Campus, wo ich mich mit Sam treffen würde. “Das freut mich zu hören, Caden. Es gibt aber eigentlich noch einen anderen Grund, aus dem ich anrufe. Ich habe dir etwas Wichtiges zu erzählen. Du weißt ja von unseren Hochzeitsplänen”, begann er und ich konnte ihm die Aufregung anhören. 
Ich spürte, wie sich etwas in meinem Magen ankrampfte. Es war nicht so, dass ich die neue Frau meines Vaters nicht mochte. Genau genommen war sie sogar ziemlich nett, ich verstand mich gut mit ihr. Doch dieses merkwürdige Gefühl ließ sich einfach nicht unterdrücken. Ich hatte mit dem Tod meiner Mutter noch immer nicht vollständig abgeschlossen, selbst wenn er schon 8 Jahre her war. Es war seitdem viel Zeit vergangen. Zeit, in der ich viele depressive Phasen gehabt hatte. Ich wollte nicht daran zurückdenken. Der einzige Weg, um nach vorne zu schauen, war, sich nicht von der Vergangenheit beirren zu lassen. 
Meine Mutter fehlte mir jedoch in vielen Momenten und die Alpträume würden wohl niemals aufhören. Es war die schrecklichste Zeit in meinem Leben gewesen. Oft fragte ich mich, wie ich das alles mit nur 11 Jahren überstanden hatte. Wie ich es geschafft hatte, nicht innerlich zu zerbrechen. 
Doch bei den Worten meines Vater spürte ich den herausgerissenen Teil meines Herzens ganz deutlich. Selbstverständlich war ich glücklich für ihn, da er es endlich geschafft hatte, mit seiner Vergangenheit abzuschließen. Das gab er jedenfalls immer vor. Doch dass es wirklich stimmte, wagte ich zu bezweifeln. 
“Jane und ich haben uns jetzt auf ein Datum festgelegt. Es ist der 3. August. Ich hoffe sehr, dass du an diesem Tag kannst”, vollendete er seinen Satz und klang ein wenig stolz. Ich gönnte ihm sein Glück von ganzem Herzen, musste jedoch schwer schlucken, bevor ich ihm antworten konnte. “Das freut mir wirklich sehr für euch beide. Ich werde natürlich da sein, gar keine Frage!”
Eine Weile redete ich mit meinem Vater weiter, doch als wir das Gespräch beendet hatten, war ich froh darum, endlich tief ausatmen zu können. Es fühlte sich so an, als wäre eine Wunde in mir wieder aufgerissen worden. Ich gab mir zwar die größte Mühe, meine Gefühle der Hochzeit gegenüber auszublenden, doch für einen Moment konnte ich es nicht zurückhalten. 

Ich ließ mich auf einer der Bänke nieder und stütze meinen Kopf auf die Hände. Der Wind, der durch mein Haar wehte, war eiskalt. Ich versuchte mit aller Macht, nicht an meine Mutter zu denken. Wenn ich einmal auf falsche Gedanken gekommen war, gab es meist kein Zurück mehr. 
Jamie. Ich musste einfach an Jamie denken. An seine blauen Augen, das Gefühl, auf seiner Brust zu liegen und den Klang seiner Stimme. 
Sobald sich meine Gedanken nur noch um ihn drehten, verspürte ich das Verlangen danach, ihn zu umarmen. Das war es, was ich brauchte. Ich fühlte es ganz deutlich. 

Plötzlich berührte mich jemand an der Schulter und ich sah zu der Person auf, insgeheim in der Hoffnung, es sei Jamie. 
“Was ist los? Ist etwas passiert?”, fragte Sam, der mich bereits gesucht haben musste. 
“Nur mein Vater und seine Hochzeit. Das ist alles”, antwortete ich, woraufhin Sam sich neben mich setzte. Er legte mir seine Hand auf die Schulter und fragte: “Du willst nicht, dass sie heiraten, habe ich recht?” Ich schüttelte den Kopf und erwiderte: “Nein, so ist das nicht. Ich freue mich wirklich für sie, die beiden passen auch wirklich gut zusammen. Es ist nur trotzdem so komisch, ich weiß nicht…”
Sam seufzte und betrachtete mich besorgt. “Ich bringe dich auf andere Gedanken, okay?”
Da er mich seit Ewigkeiten kannte, wusste er, wie ich auf gewisse Sachen reagierte. Ebenso war ihm mit Sicherheit klar, dass ich an meine Mutter dachte. Sam hatte mir während dieser schweren Zeit und in all den Jahren danach sehr geholfen. Er war immer für mich da, wenn ich ihn brauchte. Genauso hatte auch er seine Probleme in der Familie gehabt. Sam’s Vater hatte seine Mutter früher oft geschlagen, wenn er zu viel getrunken hatte. Darunter hat er stark gelitten. Schließlich konnte sie sich jedoch von ihm trennen und seither hat Sam keinen Kontakt mehr zu seinem leiblichen Vater. Inzwischen hat seine Mutter einen neuen Freund und lebt glücklich mit ihm zusammen. 

Man könnte sagen, dass wir uns gegenseitig durch harte Zeiten geholfen hatten und dadurch zu besten Freunden geworden sind. 

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Hallöchen ❀ Ich hoffe, es ist okay für euch, wenn die Kapitelteile etwas länger werden. Mir macht das Schreiben dieser Geschichte einfach zu viel Spaß, als dass ich die Wortanzahl im Rahmen halten könnte. :)
➳ Vielen Dank für's Lesen, ich hoffe ihr bleibt dran ♡

Unexpected Love (boyxboy) حيث تعيش القصص. اكتشف الآن