Prolog

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Ein schmächtiger Junge von vielleicht 8 Jahren verabschiedete sich mit einem Handschlag und grinste seinen Gegenüber an, bevor er sich seinem Zuhause zuwandte.
Das Haus war groß und luxuriös eingerichtet, aber der Einzige, der sich darin Zuhause fühlen müsste, hasste sein Gefängnis. Seine Züge verhärteten sich, der Junge straffte seine Schultern. Er schlüpfte in die Villa und versuchte die Haustür möglichst geräuschlos zu schließen. Als dies erledigt war, wischte er sich die vor Angstschweiß nassen Händen an seiner verwaschenen Kordhose ab. Auf Zehenspitzen schlich er die Treppe hinauf. Er schrie erschrocken auf, als urplötzlich am Kragen seines Blazers von der vierten Stufe der Wendeltreppe, die er schon sicher erreicht zu glauben meinte, hinuntergerissen wurde.

Der Körper des Jungen prallte auf den kalten Boden des Eingangsbereiches. Er stöhnte vor Schmerzen auf, als sein Kopf gegen den Stein schlug. Er richtete sich nicht auf. Er wusste auch so,mit wem er es zu tun hatte.
,,Schau mich gefälligst an." Der Junge stand auf. Seine Augen füllten sich mit Tränen, nicht wegen dem, was geschehen war, sondern, weil er sich vor dem Bevorstehenden fürchtete. Seine fanden die kalten Augen mit den vom Alkohol geweiteten Pupillen des Vaters. Dieser stieß ihn wieder hinunter auf den kalten Stein.

,,D-d-dad ."Der Junge zitterte, als ihm sich sein Erzeuger näherte. Langsam kroch er rückwärts. Er wusste nicht, wohin das führen könnte, aber er wusste, wohin er wollte. Weg. Einfach nur weg. ,,WO WARST DU?",brüllte sein Dad und zog sich langsam den Gürtel aus. Eine Geste, die der Junge bereits kannte, bei der er sich instinktiv krümmte und die Hände schützend über sich hob. ,,Ich hab doch nur 5 Minuten draußen mit meinem Freund geredet."Er nannte den Namen seines Freundes nicht, denn er wusste, dass der Vater ihn nicht kennen würde. Er schob sich langsam weiter rückwärts, eine Hand immer noch schützend erhoben. Als er gegen die Wand des Zimmers stieß, wusste er, dass er seinem Peiniger auch heute nicht entkommen würde.

Die Wand drückte sich gegen seinen Rücken und er hätte vor Angst am Liebsten aufgeschrien, wusste aber, dass es zwecklos war, dass ihn niemand hören konnte. Also ertrug er die Schläge des Vaters. Es war wie ein grausamer Rhythmus. Das Geräusch des durch die Luft sausendem Gürtels, der Aufprall dessen auf seiner Haut und sein anschließendes Wimmern. Schluchzend wartete er auf das Abebben des Alkohols und die Entschuldigung des Vaters. Das Versprechen nie wieder zu trinken. Darauf, dass sein Dad die neuen Striemen auf seinem Rücken vorsichtig betastete. Und wartete auf den nächsten Tag,an dem alles wieder von vorne beginnen würde.
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Er wand sich vor Schmerzen und Hunger. Heute hatte es sein Vater zu weit getrieben. Er strich über die vielen blauen Flecke und die Striemen, welche seinen Körper bedeckten. Der Geruch von etwas Verbranntem stieg ihm in die Nase. Er seufzte. Sein Dad war bestimmt ausgenüchtert und kochte unten etwas, um ihm zu zeigen, wie leid es ihm tat. Der Junge strich sich die Tränenspuren von den Wangen. Er drückte die Pfote des Stofftieres, welches er ängstlich umklammert hielt. Er wollte nicht zurück zu seinem Peiniger. Sein Dad war nicht immer so. Der Vater war der klügste, freundlichste und fürsorglichste Mensch, den er bisher kennengelernt hatte. Seine Mum war vor 4 Jahren gestorben. Er erinnerte sich kaum an sie und seinen Vater, bevor diese starb und sein Dad das Trinken anfing, doch an diesen Erinnerungen hielt er sich fest.

Der ungenehme Rauch nahm zu und das Kind beschloss seinem Vater zu helfen. Aus Angst sein Vater könnte noch aggressiv sein, umklammerte er den Stoffbär in seiner Hand. Der Bär war ziemlich demoliert, weil der 8-Jährige nach einem starken Anfalls seines Vaters, bei dem diese einige Bilder der Bilderbuchfamilie, den Erinnerungen, die es gerade so schafften den  Jungen zu besänftigen zeriss, hatte dieser einige Nähte aufgerissen und die restlichen Bilder darin versteckt. An dieses Bisschen der Vorstellung seiner perfekten Welt hielt er sich fest, als er die Treppe hinunter schlich, wie es schon zur Gewohnheit geworden war. Doch unten war nicht sein Dad, der ihm etwas zu essen kochte, sondern der alkoholisierte Mann, der mit seinem Vater keinerlei Ähnlichkeit hatte.

Unbeirrt stand dieser grinsend im Flur herum, während dichter, grauer Qualm um ihn herumwaberte und dem Kleinen den Atem nahm. Sein Vater hingegen grinste ihm zu uns setzte erneut seine Lippen an die Flasche, die er in der Hand hatte. Sie war mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt, aber der Junge wusste, dass er sich keine Hoffnungen auf Wasser machen musste.

,,Dad? Was ist hier los?",fragte er beunruhigt. Der Vater schnaubte und warf die leere Flasche zu Boden, wo sie auf dem Stein zersplitterte. Er antwortete nicht und beobachtete wie sein Sohn zur Küche lief. Voller Entsetzen rannte das Kind aber in wenigen Sekunden zurück. ,,ES BRENNT! WIR MÜSSEN HIER RAUS!"Der Vater regte sich nicht. ,,Nur Nebel. Entspann dich Junge."
War er durchgedreht? Der Junge zerrte an der Hand seines Vaters. ,,Daddy bitte!"
Und im nächsten Moment duellierten sich Feuer und Eis. Wie eingefroren stand die Zeit still, während die Flammen auf das Wohnzimmer übergriffen und wie in einem Spiel an dem Boden leckten. Die Augen vom Vater wurden groß und er hustete, hielt sich einen Ärmel vor den Mund. Er sank auf die Knie und erbrach.

,,DAD! WIR MÜSSEN RAUS!",schrie der Kleine verängstigt. Neben dem Knistern der Flammen konnte man etwas einstürzen hören. Der Kleine kniete sich neben den Mann, schaukelte vor und zurück und weinte kläglich. Als die Feuerwehr kam, wussten sie nicht, was die tun konnten. Die Erinnerungen waren verschwommen und klar zugleich. Er starrte seinen Vater an, dessen Pupillen so weit verdreht waren, dass man nur das Weiße sehen konnte. Er war dabei, als das einzige Zuhause, das auch sein Gefängnis war in sich zusammenbrach und das Einzige was er noch hatte war ein demoliertes Billigkuscheltier mit zerknitterten Bildern im Futter, das er fest umfasste.

Die Feuerwehrmänner drehten seinen Vater auf die Seite. ,,Können Sie und hören?" Der Junge wartete auf eine Reaktion, aber der Vater tat nichts, lag nur da. ,,Er atmet nicht!", schrie einer der Feuerwehrmänner und ein Atemgerät wurde dem Mann auf den Mund gedrückt. Sein Sohn saß auf dem Boden daneben, hatte die Beine an den Körper gezogen und wartete darauf, dass sein Vater Atem holte. Es waren endlose Sekunden. ,,Wir verlieren ihn." ,,Sein Herzschlag ist weg!" Ein Mann drehte ihn auf den Rücken und bearbeitete die Brust des Alkoholikers. Einmal, zehn mal, hundert mal, der Mann stoppte. ,,Bringt doch jemand den Jungen weg!" ,,Es hat keinen Sinn,John. Der Mann ist tot."
Zuletzt konnte niemand mehr sagen, ob sein Vater an einer Alkoholvergiftung oder an einer Rauchvergiftung gestorben war. Es war die Nacht, in der sich Lucas zeigte. Die Nacht, in der er zum ersten Mal seit Langem gar nichts fühlte.

InsaneWhere stories live. Discover now