Nacht

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Es ist drei Uhr Fünfzehn als mein Wecker klingelt. Meine Gedanken sind noch an einem ganz anderen Ort, als ich das Licht einschalte. Für meinen Job ist es keine frühe Zeit um aufzustehen. Der Rest meiner Kollegen steht bereits seit Stunden am Ofen.
Drei Stunden Schlaf... Weil ich wie immer nicht vor Mitternacht einschlafen konnte. Totmüde wie jeden ‚Morgen' quäle ich mich aus meinem warmen Bett. Anziehen, Zähne putzen, waschen. Kein Frühstück. Zehn Minuten später fahre ich bereits durch die Stadt. Wenn man nicht einschlafen kann, muss man halt die Zeit bis zum Aufwachen bis zum geht nicht mehr herauszögern.
Ich muss mich auf die Strassen konzentrieren, langsam fahren. Überall Menschen, man kann genau sehen wo hin sie wollen und woher sie kommen. Sie habe alle das selbe Ziel. Eigentlich habe ich mich damit abgefunden, dass ich dann mit der Arbeit beginne wenn der Rest der Welt vom Ausgang heimkehrt. Doch manchmal fühlt es sich so an, als würde mein Leben an mir vorbei ziehen. Es ist keineswegs langweilig, dazu komme ich später noch. Ich möchte einfach mehr Freiheit haben. Die Möglichkeit länger als bis um zwanzig Uhr draussen zu sein. ,,Wow, ich bewundere dich dafür, dass du das machst!'', sagen sie. Ich weiss, dass sie es auch so meinen. Doch sie können sich trotzdem nicht vorstellen, wie anstrengend es ist. Immer müde, entweder hungrig oder vollgstopft. Sodbrennen, Übelkeit. Ich habe noch keinen Rhythmus, deswegen das ganze Chaos. Nur noch ein Jahr, dann bin ich endlich fertig mit meiner Ausbildung. Frei.
Die Zukunft wird grossartig! Wie immer zeige ich dem bunten Plakat den Mittelfinger. Es ist Gewohnheit, nicht wirklich ein Ausdruck meiner Meinung. Ich weiss das es schon stimmt. Trotzdem. Scheiss Optimisten.
Ich verlasse die kleinen Vororte und beschleunige auf 70. Mehr bringt meine Vespa leider nicht zu Stande. Links von mir lichten sich die Häuser langsam und würden den Blick auf den Fluss frei geben, aber es ist zu dunkel um ihn zu sehen. Nebelfetzten wehen über die nassen Hügel und Felder. Ich kann das Wasser riechen, das Seegras und die Fische, die es verbirgt. Wenn ich Zeit habe tauche ich gerne da da runter. Sanft wogt das grüne Gras unter einem in der Strömung. Stille. Da unten steht die Zeit still. Mann kommt schnell zu sich, wenn einen die Umwelt bei sich lässt. In Ruhe. Den meisten macht es Angst. Mir nicht. Ich habe keine Angst vor mir selber. Davor, alleine mit mir zu sein. Da unten existieren meine Gedanken nicht, die Gefühle sind ganz freigelegt und nicht überdeckt. Da unten ist Frieden. Doch jetzt bin ich oben.
In der Stadt kann man die Sterne kaum sehen, doch hier draussen in über den Feldern scheinen sie so hell wie die Glühwürmchen es im Sommer tief im Wald tun.
In der Backstube ist es warm. Der vertraute Geruch nach frischem Brot, Hefe und Butter umfängt mich. Ein neuer Tag beginnt von vorne. Mein Magen beginnt zu knurren. Auf dem Weg zum Wasserhahn nehme ich mir ein Brioche und stopfe es schnell in mich hinein. ,,Morgen'', rufe ich. ,,Morgen'' murmeln sie zurück. Ich stelle mich neben Nick an den grossen Holztisch und beginnen den Teig zu formen.
Die Arbeit ist anstrengend, schon bald bin ich wider ganz aufgewärmt und fange an zu schwitzen. Gegen neun gehe ich nach draussen um kurz etwas zu essen, dann geht es weiter. Brote, Gipfel, Spitzbuben, Wähen, Törtchen. Die Hälfte davon muss ich später wegschmeissen. Fluchend zerre ich die Müllsäcke auf den Hof, dann endlich Feierabend. Ein Uhr mittags. Die Anderen sind bestimmt gerade erst aufgestanden. Auf dem Klo wasche ich mir kurz das Mehl und den Schweiss aus dem Gesicht, dann fahre ich zurück.
,,Hallo, bin wieder zuhause!''
Keine Antwort. Innerer Jubel. Ich bin gerne alleine in der Wohnung. Dann kann ich in der Badewanne essen und nackt durch den Flur gehen ohne das meine Mutter schimpft. Ich glaube nicht, dass mich je ein Mensch von der Strasse aus gesehen hat. Die wenigsten sehen nach oben, sonder haben den Blick auf den Teer vor ihren Füssen gerichtet.
Ich sehe alles. Immer.
Während das Badewasser einläuft weiche ich die Schürzen der vergangenen Woche ein und mache mir Mittagessen. Meine Mutter hat frisches Humus gemacht, den ich mir jetzt auf das alte Brot streiche, das ich aus der Kiste für das Paniermehl gerettet habe. Mit dem Abfall unserer Bäckerei könnte man ein halbes Dorf versorgen. Ich hasse mich dafür, dass ich nichts sage. Manchmal denke ich, ich kann die Welt retten. Und dann denke ich mir wider ich bin doch nur ein sechzehn jährige Mädchen. Wer nimmt mich schon ernst...
Ich schneide ein paar Tomaten und lege sie zum Brot, dann gehe ich ins Bad. Obwohl ich alleine bin, schliesse ich ab. Es fühlt sich so einfach gut an. Dann weiche ich mich selbst ein, kratze den Teig unter meinen Fingernägeln hervor. Ich schrubbe über meine trockenen Hände und Arme. Nach dem Baden reibe ich mich mich mit Kokosöl ein. In meinem Zimmer ziehe ich die Vorhänge zu, lege mich nackt wie ich bin ins Bett und schlafe so lange wie es halt gerade geht. Wenn ich am nächsten Tag frei habe, schlafe ich immer am Mittag, so habe ich auch noch etwas vom Abend. Ich liebe den Abend, wenn die ersten Sterne aufgehen. Alles wird dann so... anders. Als wären wir plötzlich in einem Paralleluniversum, alles ähnlich, aber anders. In der Nacht gelten andere Spielregeln als am Tag. Ich werde immer besser darin, zu spielen.

Standardtitel - verfasse deinen eigenenWhere stories live. Discover now