Julian d'Alessandrini-Casanera war ein Skandal auf zwei Beinen.

Und er genoss es sehr.

Meistens.

Als er die Halle durchquerte wäre er zehn Mal lieber unsichtbar gewesen, als Ophelia, die beste Freundin seiner großen Schwester, ihn entdeckte.

„Julian!", sie klang, als würde sie sich auf etwas freuen. Wahrscheinlich darauf, ihn wieder einmal mit einem ihrer Annäherungsversuche zu nerven. Trotz seiner Aufgewühltheit verdrehte er die Augen zum Himmel. Musste das ausgerechnet jetzt sein?

Er mochte sie nicht. Er mochte ihre Familie nicht. Er mochte nicht, dass sie in ihrer Ausbildungszeit immer besser in den Naturwissenschaften gewesen war, als er. Er verabscheute ihr Sanddornparfum. Sie und seine Schwester waren zwei Seiten der gleichen Münze. Wahrscheinlich war das der Hauptgrund, wieso er sie nicht mochte.

Die junge Adlige schnitt wie ein blauer Pfeil durch das Atrium und die Höflinge, die anscheinend ihre Aktivitäten draußen wegen dem aufziehenden Sturm verschoben hatten, um sich einer Runde Schach oder etwas Ähnlichem zu widmen.

Er warf einen Blick über die Schulter und dehnte frustriert seinen Nacken. Eine Begegnung mit der unangenehmen Person würde sich nicht vermeiden lassen.

Die Grünen, die an den hohen Flügeltüren Wache standen, warfen ihm teilweise amüsierte Blicke zu, rührten aber keinen Finger.

Natürlich nicht. Er trainierte regelmäßig mit ihnen, trank auch ab und zu mit. Und seine Abneigung gegen Ophelia war ein offenes Geheimnis. Julian tauchte hinter einer Gruppe schnatternder Adliger ab, deren Plan es gewesen war, eine Runde Polo im Park spielen zu gehen, und blieb mit einem der offenen Schuhe an einem der Schläger hängen.

Eine dieser hübschen, aber hohlen adligen Frauen entschuldigte sich und wich errötend zurück.

Die komplette Gruppe starrte ihn an, während er sich aufrichtete und versuchte, etwas weniger skandalös auszusehen.

Nasse, zerzauste Haare, nur ein halb zugeknöpftes Hemd unter der Jacke, offene Schuhe.

Ophelia holte ihn ein, lächelte und versprühte ihren sanddorngeschwängerten Charme.

„Julian, schön dich zu sehen. Ich war auf der Suche nach dir."

„Ah", gab er wenig erfreut zurück, während er den Blick über die Menge schweifen ließ. Nirgendwo tauchte eine auffallend kleine Adlige unter den langbeinigen Polospielern auf.

Sie zupfte ein nicht vorhandenes Fussel von ihrem Hosenanzug.

„Man genießt Eure Anwesenheit wirklich sehr, Kronprinz", sie klimperte mit den überlangen Wimpern, aber er ging nicht darauf ein.

„Das ist schön zu hören", sagte er und meinte das Gegenteil. Er musste hier so schnell wie möglich weg, um Cress zu suchen.

Ophelia hakte sich allerdings bei ihm unter, ohne dass er seinen Arm angeboten hätte. Eine Welle aus Parfumduft schlug über ihm zusammen. Es würde dauern, bis er sie diesmal unauffällig loswurde.

Aus der Nähe war sie etwas weniger beeindruckend als von Weitem.

Sie war kleiner, als sie aussah, die Haut um Augen und Mund war unnatürlich straff und ihre Augenbrauen etwas zu perfekt und zu hoch auf der Stirn.

Mit der geraden Nase, dem vollen Mund und den großen Augen war sie schön, aber auf eine seltsam puppenhafte Weise.

Keine Muttermale, keine Pickel, keine einzige geweitete Pore.

An ihm hatten sie auch herumschneiden wollen, aber zum Glück war er bis auf eine ernste Falte zwischen den Augenbrauen über alle Zweifel erhaben.

Die Falte hatten sie ihm inzwischen korrigiert, was er nicht gewollt hatte, was aber unausweichlich gewesen war.

Es war eine Sache sich gegen seine Eltern aufzulehnen und eine ganz andere sich gegen die Ideale der Stadt zu stellen.

So etwas tat man nicht leichtfertig und vor allem nicht wegen so etwas Unwichtigem.

Ophelia führte ihn durch die schimmernden Marmorkorridore, zum Aufzug.

„Ich sehe Euch kaum in den letzten Tagen. Es verletzt mich, dass Ihr nicht auf meine Nachrichten reagiert."

Er hätte schwören können, dass einer der Grünen, die sie passierten, zu zucken anfing, weil er so lachen musste. Julian hatte keine Zeit für so etwas.

„Ich war beschäftigt, meine Liebe. Fragt meinen Vater, wenn ihr wollt, er wird euch nur zu gerne beschäftigen, dass ich in eben diesem Moment wichtige Regierungsgeschäfte organisieren sollte."

„Etwas Zeit für mich wird sich doch finden, mein Prinz?"

Sie lächelte ihn schmal an, aber er lächelte nicht zurück, sondern neigte nur kurz den Kopf.

Alles andere wäre so skandalös unhöflich gewesen, dass morgen ihre beiden Brüder vor seiner Tür gestanden wären.

Obwohl Julian äußerlich absolut ruhig war, spielte er seine Optionen durch.

Er würde sie suchen müssen, nachdem er sich von Ophelia loseiste. Es gab Kameras in den Außenbezirken. Und May hatte eingewilligt, ihm weiterhin zu helfen. Beim Gedanken an sie wurde ihm übel.

Und schon wieder wurde er dieses prickelnde Gefühl nicht los. Sämtliche Instinkte schlugen Alarm. Irgendetwas Großes ging gerade gewaltig schief. Und er hatte nichts besseres zu tun, als an Ophelias Arm durch die Gänge zu wandern und belanglose Höflichkeiten auszutauschen.

SkythiefWhere stories live. Discover now