cold morning

90 9 1
                                    

Die Luft war gefüllt mit Atem. Gleichmäßig, und wie ein leiser Rhythmus. Ein bisschen wie gestern Nacht. Sich ergänzend; und vielleicht lag es an der Stille, dass er ein bischen etwas von einem Todesschlaf hatte. Obwohl man da nicht mehr atmete.
Er war lange nicht mehr von Vögeln geweckt wurden. Fiel ihm ein.
Heute auch nicht.
Er horchte in die Stille hinein, und fand, dass sie durch das Atmen noch viel stiller wurde.
Draußen war es blass und kalt, bestimmt. Es sah kalt aus. Morgenkälte.
Was ihn geweckt hatte, fragte er sich. Die Blässe, zart und aufdringlich heller werdend, vielleicht. Es waren noch die Laternen an, sie beleuchteten müde und sinnlos die Straße. Genau so müde und menschenleer. All das zusammen machte die Welt da draußen heller, als sie es wohl sein sollte.
Das Zimmmer, mit seinen tiefen Ecken und den Rahmenabdrücken an der Wand, es war nicht hell. Düster, und zwischen ihren verteilten Sachne auf dem Boden hing schon die Dämmerung.
Dämmerung. Er musste lächeln. Der Zustand, in dem sich die Sonne ankündigt, zu erahnen ist. Obwohl es eigentlich noch Nacht ist. Doch die Nacht war schon ausgewaschen, verblasst heute.
Dämmrig eben.

Er wandte seinen Blick ab vom Fenster. Hin zu ihr. Das träge Licht malte Schatten auf ihre Beine. Muster.
Er schloss wieder die Augen.
Eigentlich wollte er gar nicht, dass die Zeit verging. Dass dieser Moment irgendwann vorüber ging.
Eigentlich wollte er für immer so bleiben. Vorziehen, was sich ankündigte mit jedem Sandkorn.
Ihr Atem war zarter als seiner. Hatte er das Gefühl. Ihr Haar. Wenn er sich darauf konzentrierte, konnte er die Strähnen unterscheiden. Wie sie auf seinem Bauch lagen. Sich kringelten.
Die Luft schmeckte alt. Doch ein offenes Fenster. Nein. Dann würde es kalt. Und außerdem war niemand da, er es öffnen könnte.

Seine Gedanken schweiften ab, verloren sich im Zeitgespinnst. Letzte Nacht. Als könnte er sie einatmen, die Nacht, mit jedem Atmenzug ein kleiner Rest. Vielleicht würden sie ja Wurzeln treiben, die Reste. Und erblühen, eines Tages, in ihm. 

Wie sie sich gedreht hatten. Wie sie gespielt hatten, mit dem Licht, dem Sand. Der Nacht.
Wie schön sie war. Die Nacht, ja, vielleicht auch die. Aber vor allem sie. Und wie hingebungsvoll sie ihn angesehen hatte. Wie sie beide geschmolzen waren, in diesem einen unendlich Blick...

Er spürte etwas zwischen den Fingerspitzen.
Er hatte er gar nicht bemerkt. Doch er musste sich wohl bewegt haben.
Die kleinen Körner rieselten über die Matratze, als er die Finger rieb. Sand.
Er war mehr gewurden. Der Sand. Darauf hatte er gar nicht geachtet, vorhin. Doch es musste sie beide als heller Film umgeben. Und bedecken. Wenn er darüber nachdachte.

Er öffenete die Augen, sah sich um. Es war ihm vorhin gar nicht aufgefallen. Gewohnheit, so ein bischen.
Schon. Wie schnell das ging. Mit der Gewohnheit.
Der Film bedeckte ihre Haut, noch mehr Muster. Er fiel kaum auf, unscheinbar malte er da vor sich hin in der Welt. Auf dem Boden glitzerte er ein bischen, wo erste Sonnenstrahlen auf ihm wanderten. Also doch. Sie kam noch, die Sonne.

Gerade wollte er wieder die Augen zu fallen lassen. Sich träge hingeben, der zögernd aufgehenden Sonne und dem Amten lauschen bis in alle Ewigkeit.

"morgen."
Ihre Stimme war schlaftrunken. Langsam, sie sprach langsam. Im Einklang mit den Strahlen.

"wir sind vor der Sonne wach."
Sie klang gar nicht erstaunt.
Er musste lächeln. Sie hatte ja Recht.
Vorsichtig strich er über ihr Haar und ließ es über seinen Bauch fallen.

"vielleicht hat sie auf uns gewartet."
Ihre Hand war so weit weg.
Sie lag lang gestreckt, ihre Beine auf einem Rest Decke, der noch nicht am Bettende auf dem Boden verschwunden war, ihr Kopf angelehnt an seinen Bauch. Umwoben. Umwoben vom Sand.

Sie musste lächeln, drehte ihren Kopf und sah ihn an.
Dann glitt ihr Blick an die Decke. Sie erwartete ein Spiegelbild von ihnen beiden. Da oben. Natürlich sah sie es nicht.
Sie musste an die Sonne denken. Wie sie auf sie gewartet hatte.
Und an gestern. Gestern Nacht.

Sie hatte gar nicht bemerkt, wie er sie ansah. Lächelnd. Sein nebliges, ruhiges Lächeln.
Die Sonnenstrahlen machten seine Dreadlocks rötlich. Tröpfelten ihr Rot fleckenweise, streifenweise darauf.
Sie wusste, woran er dachte.

"er ist mehr gewurden."
Sein Blick ruhte auf ihr. Nachdenklich, und ein bischen traurig, vielleicht.

"ja... er wird immer mehr."
Sie stütze sich hoch, schob sich auf der Matraze nach oben, näher zu ihm. Die kleinen Körner rieben unter ihr.
Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter, legte ihm eine Hand auf den Bauch und schob die Sandreste hin und her darauf. Er roch so gut.

Er wurde tatsächlich immer mehr, der Sand. Er wurde den Gedanken nicht los. Es waren Gerüchte. Nur Gerüchte.
Vielleicht kam er ja wirklich nur aus der Wüste. Ein Sturm, ein Wüstensturm. Nichts weiter. Ihre zweite Hand spielte geistesabwesend mit seinen Dreadlocks, während sie ihn nicht ansah. Auf das Sandhäufchen auf seinem Bauch starrte und damit Muster malte.
Draußen gingen endlich die Straßenlaternen aus. Das Zimmer war orange-rot. Sogar ihre Haare leuchteten.

"hast du es gehört"
Fragte er sie endlich. Er wollte es nicht wissen, eigentlich. Sie war zu schön, um in Sand zu verschwinden. Viel zu schön... So zart. Kein Sandkorn könnte sie darstellen, dachte er. Diese Zartheit.
Sie sah ihn nicht an, betrachtete wieder die Decke.

"ja."
Gedankenverloren wanderte ihr Blick von Zimmerecke zu Zimmerecke. Vielleicht stellte sie sich das Zimmer gefüllt vor. Gefüllt mir Sand, überlegte er. Bis ganz oben. Bis zu Decke. Nur Sand.
"es kam im radio."

Er strich mit seiner Hand über ihre, wischte den Sand hinunter. Viel zu schön...
"glaubst du es"
Seine Frage klang ängstlich. Ängstlich.... Ja. So fühlte er sich. Er hatte Angst. Um sie, um sich, um sie beide. Und die Zeit. Ihre Zeit.

Sie drehte ihren Kopf zu ihm, sah ihn dirket an. Wie lang ihre Wimpern waren... Und der Kontrast zu ihrem hellen Haar rings rum.
"ja."
Ihr Blick war tief, so tief. Und ehrlich. Kein Sandkorn. Nichts könnte jemals diese Zärtlichkeit nachbilden. Kein Marmorstein. Nichts. Jemals.
Sie glaubte es.
Und eigentlich... Eigentlich glaubte er es auch. Irgendwo tief. Tief in seinem Herzen.

Er sah so traurig aus. Unendlich traurig.
Sie lächelte, strich ihm über sein Gesicht. Sein Atem war so warm. Seine Augen klar und so nah...
Sie wollte das nicht. Dass er traurig war.
Er sollte genießen, sie, die Welt, das Leben. Die Sonne.
Sie steichelte ihm über die goldglänzenden Dreads, das Licht funkelte in seinen Augen. Funkelte feucht und verletztlich. So verletzlich. Die Sonne in seinen Augen. Sie wollte, dass sie strahlten.
Wollte, dass die Sonne strahlte und nicht schlich. Mit oder ohne Sand. Egal. Einfach egal.

Er hatte das Gefühl zu schmelzen. Schmelzen in ihrer Zärtlichkeit, in den dünnen Sonnstrahlen.
War ihr dankbar, so dankbar. Für die Kraft. Den Trost.
Sie glaubte daran. Was sie im Radio gesagt hatten. Eines Tages würde alles versandet sein. Alles grau-gelblicher, im Sonnenlicht glitzernder Sand.  Und die Menschen, sie alle, nur Statuen. Nichts als stumme Statuen aus Sand. Im Sand.
Und dann küsste sie ihn. Küsste den Sand weg und die Sonne hinein, sie schmeckte noch schöner, als sie aussah, da im Licht. Im roten Morgen. Schmeckte schöner als ihr Blick, wenn er sich traute die Augen zu öffnen. Sie an zu sehen. In ihrer Schönheit, ihrem Lächeln zu schmelzen. 

Zum Frühstück gab es Radio. Als wäre es eine Lebensnotwendigkeit, wie der Kaffee, der in seiner Hand unangerührt immer kälter wurde. Die Stimmer der Frau war hoch. Viel zu hoch, und viel zu fröhlich. Sie hatte nichts fröhliches zu sagen, die Frau. Eine Grabesmiene, damit stand sie bestimmt vor dem Mikrofon und hörte verwundert ihrer eigenen hohen, künstlichen Stimme zu, dachte sie sich. 
Schweigend starrten sie beide auf den Tisch. Den kleinen, uninteressanten Fleck vor dem Radio, wo nichts, wirklich nichts zu sehen war. Kein Tassenabdruck, kein Brandfleck, kein Schatten, nicht einmal ein prémodernes Tischtuchmuster. Sie musste lächeln, wenn sie an Tischtücher dachte. An was für sinnlose Dinge man dachte, in so einem Moment.
Die Frau war immernoch nicht fertig mit der Anmoderation. Gelangweilt malte sie im zarten Staub auf dem Tisch herum. Die Zeit verging einfach nicht. Seine Hand legte sich auf ihre. Hör auf, sagte sie, die Hand. Flehte sie. Er hatte ja Recht.
Kein Normaler Staub. Sandstaub. 

Dann, während draußen der Morgen blassrot über die Häuserdächern kroch und keine Menschensseele es von draußen staunend im Arm eines anderen bewundern konnte, kam die Frau endlich zur Sache.
Und sie, sie dachte wieder an den verschwendeten jungen Morgen, während die gesamte Stadt vor ihren Radios kauerte, als die Dame da mit dem nervös gut gelaunten Überschlagen der Stimme den Untergang ankündigte.

Sand on our EveningWhere stories live. Discover now