Kapitel 1. Schatten der Vergangenheit

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Ich rannte. Mein Herz klopfte fest gegen meine Rippen. Ich hörte ihre Rufe. Renn weiter! Dachte ich und stürzte zum Strand. Ohne lange zu überlegen, sprang ich ins hellblaue Wasser. Ich schwamm so weit meine Kräfte es mir erlaubten. Irgendwann konnte ich nicht mehr. Ich versuchte, es weiter zu schaffen, doch meine Beine waren taub. Panik ergriff mich und Tränen stiegen mir in die Augen. Ich werde ertrinken! Dachte ich panisch und versuchte, mich irgendwie über Wasser zu halten. Das Salzwasser schoss in meine Lunge und mein Hals war so trocken, das ich husten musste. Es war eine Qual. Meine Augen schlossen sich wie von selbst. Das ist mein Ende. Ich werde sterben. So wie sie es wollten. Ich werde nie herausfinden, wer meine echte Mutter ist. Ich werde zu meinem Vater kommen. Plötzlich hörte ich eine Stimme. Eine sanfte Stimme. Und ich spürte unter mir eine weiche, seidig glatte Haut. Und ein Ruf. Unter mir war ein Wal! Aber wieso rettete er mich? Und was machte ein Wal so nah am Ufer? Schließlich siegte meine Erschöpfung und ich vertraute dem Wal mein Leben an. Ich schlief ein.


Ich wachte schweißgebadet auf und schaute auf meine zitternden Hände. Wenn jemand anderes diesen Traum gehabt hätte, würde wahrscheinlich jeder sagen, das es nur ein Alptraum war. Und das war das gruselige. Es war kein Alptraum. Das alles ist mir echt passiert. Vor sieben Jahren. Wo ich zwölf war. Ich hatte seit ich auf Port Hillcrest angekommen war, nach Antworten gesucht. Mittlerweile war ich mir sicher, das es kein Zufall ist, dass das Meer auf mich hört. Das die Meerestiere mir in schlimmen Situationen halfen. Ich war ein Teil von ihnen. Ein Meereskind. Meine Mutter war eine Nixe, mein Vater ein Seemann. Mir war schon immer klar gewesen, das deswegen die meisten vor mir Angst haben. Ich fuhr mir schwer atmend durch meine langen, rotbraunen Haare. Dann schaute ich raus, wo die Morgensonne durch das Fenster leuchtete, und auf dem Regentropfen wie kleine Diamanten runterflossen. Wenn Laurences (ich komme später zu ihr) fetter Kater Sir Henry auf mir gelegen hätte, hätte ich womöglich keine Luft mehr bekommen. Ich versuchte mich einigermaßen zu beruhigen. Hier könnte mir nichts passieren. Ich schaute rüber zu meiner Kommode, wo ein langes, blaues Kleid auf mich wartete. Ich stöhnte. Wieso musste die Gouverneursfamilie immer Feste feiern? Eins im Monat war ja okay, aber sie feiern jede Woche mindestens drei. In der Hoffnung, für mich einen Mann zu finden. Ich brauche keinen Mann, das habe ich ihnen auch schon tausend mal gesagt, aber sie hörten einfach nicht auf mich. Aber sie waren gewöhnt, das ich mein eigenes Ding durchziehe. Ich stand auf, und öffnete die Kommode. Ich zog eine weiße Hose, eine weiße Bluse, braune Lederstiefel und einen braunen Mantel raus. Ich zog mich um, machte mir einen geflochtenen Zopf und ging aus dem Zimmer. Ich lief die lange Treppe der Villa runter. Sir Henry, dem anscheinend alles egal war, hatte sich mit seinem fetten Katzenkörper auf der vorletzten Stufe breitgemacht. Ich seufzte. Ich stupste ihn mit dem Fuß an, er fauchte aggressiv (wir waren eh keine Freunde) und sprang runter (oder sollte ich sagen, er versuchte es?). Ich ging in den Speisesaal, wo Laurence, die kleine Tochter der Familie wartete. ,,Guten Morgen Annabelle!" Rief sie fröhlich. Ihre Mutter, Amira, nickte mir zu und schaute schnippisch aber auch gleichzeitig belustigt zu mir. ,,Was ist?" fragte ich. „Annabelle, was haben wir zum Thema Männerkleidung gesagt? Das gehört sich nicht für eine Lady! So wirst du niemals einen Mann finden" sagte sie und musterte mich. „Mutter, wie oft noch? Ich brauche keinen Mann, und ich möchte auch nicht in Rüschenkleidern rumlaufen. Ich fühle mich in dieser Kleidung viel wohler!" Amira seufzte. „Gut, dann zieh dich aber um, wenn die Gäste kommen." „Wo ist überhaupt Vater?" fragte ich, als ich mir gerade ein Apfel schnappte. ,,Er ist in der Stadt. Ein Mann wird wegen Piraterie erhängt. Ich bin nicht mitgekommen, weil ich hier genug zu tun habe" sagte sie und wandte sich ihrer Stickerei zu. ,,Ich bin in der Bibliothek" sagte ich und verließ das Haus. Die rote Morgensonne glitzerte in den Pfützen, und die Stadt war so in ihr Licht gehüllt, das es aussah, als ob sie und das Meer in Flammen steht. Ich war überwältigt von dem Anblick.

Circa zwanzig Minuten später war ich an der Bibliothek. Ich schaute  mir die Buchtitel durch (das meiste davon romantischer scheiß) und entdeckte das Buch, was ich gesucht hatte. Meereslegenden. Ein Buch, über Piraten, Seeungeheuer, Meeresdrachen, Flüchen (der interessanteste ist meiner Meinung nach, der Fluch des Teufeldreieckes und der des Azteken Goldes) Nixen, und Meereskindern. Ich lieh es mir aus, und ging raus. Ich las ungefähr drei Seiten, als ich ein ungeheuren Lärm hörte, der vom Marktplatz kam. Was ist da los? dachte ich und ging zum Marktplatz. Überall waren Wachen und andere Leute, die hektisch nach etwas suchten. Oder nach jemandem. Plötzlich riss mich jemand von hinten zurück und hielt mir eine Klinge an die Kehle. Ich hörte eine kalte, bittere Männerstimme. Panik stieg in mir auf, und ich wusste direkt wer es war.

„Ein Mucks, du dummes Mädchen, oder du bist tot."

Und ich sah in Barbossas kalte, blaue Augen. Mein Gesicht vereiste vor Angst.

‼️WIRD NEU GESCHRIEBEN‼️Where stories live. Discover now