Die süße Freiheit und ihr bitterer Beigeschmack [beta]

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„Der da.", röchelte er. „Der gehört zu denen, ich habe ihn durch das Fenster gesehen." Der kleinere Polizist ging zu Val und packte ihn an den Haaren, hob den Kopf des Jungen und sah zornig an.

„Warst du das?", fauchte er ihn an. Val schüttelte den Kopf.

„Aber es waren deine Freunde, oder?" Val schwieg und verzog keine Miene. Der Polizist packte sein Arm und richtete ihn unsanft auf.

„Du kommst mit aufs Revier." Val riss entsetzt die Augen auf und wurde nervös. Er hatte schon unzählige Horrorgeschichten von Kindern gehört, die mit auf die Wache mussten. Sie wurden dort oft Stundenlang in sterilen, unmöblierten Zellen gelassen. Dann wurden sie verhört und gefoltert. Selten kam eines der Kinder wieder zurück, doch wenn, dann war es gebrochen und vollkommen verstört. Oft aber fanden sie die gequälten, leblosen Körper ihrer Freunde in versifften Gassen zwischen verwesenden Speiseabfällen und Tierkadavern wieder. Val geriet in Panik und trat dem Polizisten mit voller Wucht zwischen die Beine. Mit schmerzverzerrtem Gesicht ließ dieser von ihm ab und Val rannte so schnell er konnte davon. Der große Polizist stieß den verletzten Verkäufer von sich und sprintete Val hinterher. Nun wurde Val von einem Mann verfolgt, der größer und schneller war als er, in einem Stadtteil, in dem er sich nicht auskannte. Die Jagd war schnell vorbei und endete in einer Sackgasse. Val fand sich mit dem Rücken zur Wand stehend neben einem großen Müllcontainer wieder. Er war am ganzen Körper verschwitzt und er atmete schwer. Der Polizist ging langsam auf ihn zu. Aufmerksam und berechnend musterte er Val und seine Hand schwebte die ganze Zeit über dem Holster seiner Waffe. Val war wie versteinert. Er sah sich überall um, doch es schien keine Möglichkeit zu geben ihm zu entkommen. Er stellte sich vor, was diese grauenvollen Menschen mit seinen Freunden angestellt hatten; die wieder zurückgekehrt waren und davon erzählten. Kinder waren in dieser Welt nichts wert, besonders Ausgestoßene wie er und Waisen wie seine Freunde nicht. Sie dienten höchstens als Spielball frustrierter Autoritäten, wurden gefangen, verkauft, versklavt und vergewaltigt. Diese Vorstellung jagte Val einen eiskalten Schauer über den Rücken. Sein Herz pochte immer schneller und vor Angst konnte er sich kaum noch auf den Beinen halten. Als der Mann noch etwa zwei Meter vor ihm stand, zwängte sich Val hinter den Müllcontainer.

„Gib auf, Junge. Du hast keine Chance. Komm da raus!" Panisch stieß Val den Container weg, aber der Polizist konnte ihn mühelos aufhalten. Doch nun hatte Val die entscheidenden Sekunden, um an ihm vorbei zu laufen. So schnell es ging rannte er zur Straße. Es war nicht wirklich weit bis zum Ende der Gasse, doch es kam ihm unendlich lang vor. Wie in einem verzerrten Traum, der einen trotz Geschick und Mühen nicht entkommen lassen wollte. Reflexartig zog der Mann seine Waffe, schoss ohne zu zögern und traf ihn in der Hüfte und direkt in die Brust. Val verlor das Gleichgewicht und schlug mit dem Gesicht auf dem Asphalt auf. Er spürte sein Herz noch schlagen und bemerkte dumpf wie ihm das warme Blut an seinem Gesicht hinunter rann. Der andere Polizist kam wenige Sekunden später dazu, er hatte sich noch um den verletzten Ladenbesitzer gekümmert. Er blickte zu Val, der in einer wachsenden Blutlache am Boden lag.

„Scheiße, Viktor was soll das?", fluchte er, der gerade dazu gekommen ist.

„Passiert halt, wenn man sich daneben benimmt.", antwortete Viktor und kniete sich zu Val herab. „Kaum zu fassen, der lebt ja gerade noch."

„Irgendwie schade. Die Bonzen aus Tuya bezahlen immer gut für solche Streuner. Hab gehört, die foltern sie tagelang nur aus Langeweile. Naja, der macht's nicht mehr lange." Sie schauten noch eine Weile auf ihn herab in der Gewissheit, dass er gleich sterben würde und gingen danach wieder zurück. Routiniert und ohne ein Gefühl der Reue teilten sie dem Ladenbesitzer mit, dass sie den Jungen töten mussten, weil er sonst entkommen wäre. Das war dem Mann zu viel. Obwohl er diese Kinder dafür hasste, was sie ihm angetan hatten, fand er es unnötig grausam. Doch das erwähnte er nicht. Der Gedanke, dass diese Männer gerade ohne Skrupel ein Kind getötet hatten, nur weil es davongelaufen war, schnürte seine Kehle zu und ließ ihn verstummen.

Das Silbere KönigreichWhere stories live. Discover now