1. Kapitel

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"Oh man wie soll ich das nur schaffen?" fragte sich der junge Mann, während er die Treppe zum Zimmer seines Herrn hinaufging.

Der Graf ist im Auftrag der Königin samt Bediensteten nach Süddeutschland gereist. Hier sollte er eine Reihe von mysteriösen Todesfällen aufklären, die Gerüchten zufolge einem Fluch verschuldet seien.

Die Gruppe ist in einem kleinen Dorf in der Nähe von Nürnberg untergekommen und ein Mädchen namens Sieglinde nahm sie bei sich auf. Diese junge Frau ist zugleich auch eine Hexenmeisterin. Sie warnte den jungen Herrn vor den Wäldern, vor dem Ungeheuer, dass den Menschen ihr Leben raubt und wenn schon nicht das, dann zumindest ihren Verstand. Leider hat er nicht auf sie gehört.

Der Angriff des Ungeheuers traf ihn schwer. Nun lag er schlafend in eine warme Decke gehüllt, während sich alle um ihn versammelten und gebannt auf sein Erwachen warteten. Der blonde Junge kniete neben dem Bett, hielt seine zierliche Hand und hoffte, dass sein Lord bald wieder zu Sinnen käme, was er dann auch tat.

Als der Graf sein unbedecktes Auge öffnete überschwemmte Finnian ein Gefühl der Freude. Seinem Herrn ging es wieder gut, kein Bangen mehr um sein Leben. Alle Anwesenden atmeten mit Erleichterung auf, doch sie wussten nicht, welche Herausforderungen auf sie lauerten.

Das Geschrei, es war so fürchterlich. Dieses weit aufgerissene Auge, das wild durch den Raum blickte und doch nichts zu sehen schien. Finnian verlor jeden glücklichen Gedanken beim Anblick des Jungen. Diese zarten Hände, die sich mit all ihrer Kraft Finnys Hemd festkrallten; dieser Blick, voller Angst, voller Schmerz, voller Einsamkeit.
Wie kann es sein, dass die Welt ein prächtiger Garten voll bunter Blüten und grüner Blätter ist, und gleich darauf besteht sie nur noch aus verwelkten Sträuchern und entschwundenen Farben?

In seinem Kopf herrschte absolute Leere als er seine Arme um den verängstigten Jungen legte, ihn an sich heranzog, ihm sanft über den Kopf strich und leise Worte der Sicherheit zuflüsterte. Seine Schreie klangen langsam ab, sein Atem wurde gleichmäßig und der kleine Körper sackte an der Brust des älteren zusammen.

Mittlerweile konnte sich der Gärtner nicht mehr daran erinnern, wie er es überhaupt zustande brachte den Grafen zu beruhigen. Und doch schien er der einzige zu sein, vor dem der Junge keine Angst hat. Deswegen gab Sebastian ihm die Aufgabe, sich um den Verletzten zu kümmern.

"Wie soll ich das anstellen?! Ich bin noch nicht mal als Gärtner wirklich gut! Wenn ich es nicht einmal schaffe ein paar Pflanzen zu pflegen, wie soll ich das bitte mit einem Menschen hinkriegen?!"

Endlich vor der Tür seines Herrn angekommen, klopfte Finnian .
"Mein Herr, hier ist Finny! Darf ich reinkommen?" Rief er durch die Tür und warte einen Moment. "Vielleicht schläft er gerade?"

Leise öffnete der blonde Junge die Tür und blicke hinein. Er sah einen großen Raum mit zwei enormen Fenstern auf der gegenüberliegenden Wand, ein geräumiges Bett in der Mitte und einen Stuhl rechts davon. Auf beiden Seiten des Bettes standen Kommoden, die linke war vollbepackt mit Büchern, während die rechte mit Gläsern und einem Krug Wasser ausgestattet war. Es ließ sich eine kleine, zusammengerollte Silhouette unter der Bettdecke erkennen. Der Gärtner schlich auf Zehenspitzen ins Schlafzimmer und blieb mitten im Raum stehen.

"Mein Herr?" fragte Finnian.

"Geh weg!" ertönte es unter der Decke.

Der sonst so selbstsichere junge Graf klang gerade dermaßen verunsichert, dass dieser Befehl eher einer Frage ähnelte.

"Aber mein Herr, jemand muss doch auf sie aufpassen. In ihrer momentanen Lage," Finny hielt kurz inne und überlege, was seinen Arbeitsgeber überzeugen könnte.

"Wie sollen wir ihnen denn sonst helfen, wenn ihnen plötzlich etwas zustößt oder es ihnen schlechter gehen sollte?"fuhr er fort.

Durch die Decke hindurch sprach der Junge:
"Gar nicht. Ich bin die Mühe nicht wert."

Finnian konnte seinen Ohren nicht trauen. Hatte sein Herr das tatsächlich gesagt? Doch wieso denkt er so etwas? Der Graf war schließlich einer der freundlichsten Menschen die Finny kannte. Er vermochte zwar auf Austehnde kühl zu wirken, manchmal sogar diabolisch, jedoch, wenn man genauer hinsah, erkannte man sein gutes Herz.

"Nein das stimmt nicht. Ihr-"der Gärtner konnte den Satz nicht zu ende bringen, da unterbrach ihn sein Herr.

"Doch das stimmt wohl. Ich bin es nicht wert. Du kannst ruhig wieder gehen, wenn du möchtest."

Die Melancholie in den Worten des 13-jährigen verunsicherte Finnian zunehmend. Normalerweise musste er bloß Befehle befolgen ohne jegliche Hindernisse. Und hier saß nun sein Herr, in einen dicken Cocon gehüllt, versank in den blauen Untiefen des Ozeans und stieß jeden Rettungsring von sich weg.

"Vielleicht möchte ich gar nicht gehen? Vielleicht möchte ich bei ihnen bleiben." sprach Finny und blickte gebannt auf den Grafen unter der Decke.

Eine kurze Stille betrat den Raum gefolgt von einem "Mach was du willst." aus Richtung des Bettes.

Erfreut über diesen kleinen Triumph trat der Gärtner an den Stuhl heran und setzte sich an die Seite seines Herrn. Er nahm den Krug samt eines Glases und goß Wasser hinein.

"Junger Herr möchtet ihr etwas trinken?" fragte er.

Erneut schwieg der Graf. Finnian befürchtete bereits, dass er den Jungen mit seiner Anwesenheit vielleicht doch verängstigt. Er überlegte, ob es wohl besser wäre, wenn er das Zimmer wieder verlassen würde. Doch dann sah er plötzlich eine Regung unter Decke. Der Verletzte erhob seinen Oberkörper langsam und saß nun weiterhin eingehüllt vor seinem Bediensteten.

Der Graf zog die Bettdecke von seinem Kopf hinunter und gab sich dem jungen Mann vor sich preis. Er blickte nicht auf, sondern betrachtete die Decke, welche ihm bis zu diesem Moment als Schutzhülle diente.

Finnian beobachtete ihn und bemerkte die Hand seines Herrn, welche sich , weiterhin von der Decke verborgen, schleichend entlang der Matratze in seine Richtung bewegte. Kurz vor der Bettkante kam die Hand zum Stillstand. Ohne den Kopf zu heben stütze sich der junge Graf an der Hand ab und rückte vorsichtig an Finnian heran. Er drehte sich zu seinem Gärtner und streckte langsam seine Arme aus. Finny blickte hinunter in die Richtung, in welche die zarten Finger deuteten. Er hatte bereits vergessen, dass er ein Glas in seinen Händen hielt. Hastig reichte er es seinem Herrn und sah zu wie dieser es an seinen Mund brachte und trank. Nach ein paar kleinen Schlucken gab der Junge seinem Gärtner das noch halbvolle Glas wieder, rückte zurück in die Mitte der Matratze, legte sich hin und schwang die Decke über seinen Körper.

"Danke" erklangt eine sanfte, leise Stimme.

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⏰ Last updated: May 04, 2019 ⏰

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Vergissmeinnicht  (Ciel x Finny)Where stories live. Discover now