Harry legte eine Pause ein, die er nutzte, um durchzuatmen. Ich konnte nicht mehr gegen den Drang ankämpfen, ihn in irgendeiner Weise zu unterstützen: Zögernd griff ich nach seiner Hand, wollte ihn jedoch nicht unterbrechen.

 Doch als sein Blick klarer wurde, realisierte ich, dass er wieder in der Realität angekommen war.

 „Entschuldige, ich wollte dich nicht unterbrechen.“

Ich war ohne Grenzen verunsichert. Würde er auf meine Geste eingehen? Nervte ich ihn? War er sauer, weil ich ihn gestört hatte? Keine Ahnung, wo diese Unsicherheit plötzlich herkam. Sie war einfach da, und machte mir noch mehr zu schaffen.

 „Ist schon gut,“ beruhigte er mich. „Ich verstehe, wenn man mich berühren will. Wäre ich nicht ich, würde ich mich auch begrapschen.“

 Frustriert ließ ich einen kleinen Schrei raus. Worum hatte ich mir Gedanken gemacht? Harry war einfach Harry, das konnten auch Schauergeschichten nicht ändern.

 Auch wenn diese Schauergeschichten ihn selbst betrafen.

 „Jetzt musst du sagen: 'Oh ja, Harry, ich bin süchtig nach dir'.“

 „Ganz sicher nicht, Harold.“

 Wir grinsten beide. Ironisch, wie wir vor nicht mehr als einer Minute noch mit einem Abstand zwischen uns und einem Blick in die Ferne da saßen. Jetzt spaßten wir, neckten uns und die düstere Stimmung war vergangen.

Trotzdem waren wir noch nicht durch.

„Du bist noch nicht fertig,“ murmelte ich, als Harry meine Haarsträhne um seinen Finger wickelte und damit spielte.

„Ich weiß,“ seufzte er. „Es tat einfach gut, kurz abzuschalten.“

Ohne weiteres Zögern legte er seinen Kopf in meinem Schoß ab, während er auf dem Rücken lag. Er beobachtete mich genau, als ich eine Hand auf seiner Brust ablegte, und unwirsche Muster auf sein Shirt zeichnete. Nach drei Peace- Zeichen und etwa ein Dutzend großer und kleiner Herzen, räusperte er sich wieder:

„Des tränkte seinen Schmerz um das verstorbene Kind in Alkohol, während Anne sich in dem Schlafzimmer einschloss. Sie kam erst nach wenigen Tagen heraus. Völlig blass, ausgehungert und mit Tränenspuren, aber trotzdem versuchte sie stark zu sein. Sie sah mich zwar an, aber irgendwie doch durch mich. Es war für ein Kind, das die komplette Schuld auf sich selbst schob, das schlimmste Gefühl. Weder Anne, noch Des waren wirklich anwesend, beide schienen Gemma und mich nicht mehr wahrzunehmen. Als Des einmal nüchtern war, schob er uns wortlos ins Auto und setzte uns bei unseren Großeltern ab. Im Nachhinein muss ich zugeben, dass diese alles getan haben, was in ihrer Reichweite lag. Sie logen. Wenn wir nachfragten, ob wir Anne oder Des sehen durften, weil wir sie vermissten, versicherten sie uns, dass sie gerade im Urlaub waren. Dass sie an einem goldenen Palmenstrand lagen, sich wieder lieb hatten und uns ebenfalls vermissten. Dieser Gedanke heiterte Gemma auf, doch ich war klar vom Gegenteil überzeugt. Mir war klar, dass sie trauerten, dass sie in einem tiefen, schwarzen Loch steckten und vor allem, dass ich der Schuldige war. Ich hatte Anne geschubst, ich war der Grund, weshalb sie auf diesen verdammten Topf gefallen ist. Ich bin ein Mörder.“

Bin.

Ich bin ein Mörder.

Bin.

Entsetzt wollte ich dagegen steuern, aber Harry hob einen Finger und brachte mich somit zum Schweigen: „Du magst vielleicht versuchen, mir etwas einzureden, aber mit dieser Überzeugung lebe ich seit zehn Jahren. Ich weiß, dass der kleine Racker jetzt gerade in diesem Moment hier mit uns sitzen könnte, dass er gerade mit seinen Freunden ein Fußballspiel gewinnen könnte und dass Anne und Des ihm die Welt zu Fuß legen würden, wie sie es auch mal mit mir getan haben. All dies wäre passiert, wenn ich nicht gewesen wäre. Ohne mich hätte jemand anders eine Chance auf ein Leben. Ich habe ihm diese Chance genommen, ohne um Erlaubnis zu bitten.“

Unmistakable || h.sNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ