2. Toben

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Stegi rannte durch den Wald, nicht weil er es eilig hatte, sondern weil es ihm Spaß machte. Er mochte es, die Bäume an sich vorbei fliegen zu sehen, mochte es, kleine Sträucher einfach zu überspringen und mochte das Gefühl des lebendigen Waldbodens unter seinen Füßen, so anders als die tote Stadt dort drüben.

Es war der erste Tag seit einigen, an denen es wieder ruhiger war. Die letzte Woche hatten die Rudel der Stadt sich bitter bekriegt und sie hatten einige verletzte gemacht – für nicht mehr als ein paar Meter Territorium mehr, das sie nicht einmal brauchten. In diesem Krieg ging es ums Prinzip und darum, die Anderen endlich und endgültig zu vertreiben - und nicht um Vernunft.

Jetzt aber konnte Stegi das alles hinter sich lassen.

Vermutlich war Tim noch nicht da – der Hundejunge kam meistens erst etwas später als er aus der Stadt los und so war es meistens Stegi, der an einem ihrer Treffpunkte wartete.

Heute war es die Stelle, an der der kleine Fluss sich in zwei Teile teilte und ein paar Meter weiter hinten wieder zusammenfloss – sodass in seiner Mitte eine kleine Insel entstand.

Stegi konnte Tim riechen, bevor er ihn sah.

Der Wind wehte ihm entgegen und brachte den unverkennbaren Geruch nach Hund mit sich, den Stegi, anders als die meisten Katzen, schon lange nicht mehr fürchtete.

Genauso konnte er riechen, dass Tims Fell nass war – also war er wohl schon im Fluss schwimmen gewesen. Dadurch, dass Stegi es beherrschte, sich im Wald fast unhörbar zu bewegen, wenn er wollte, und der Wind zu seinem Vorteil wehte, schaffte er es, sich bis auf den letzten Meter an Tim anzuschleichen – dann stürzte er sich mit Kriegsgeheul ohne Vorwarnung auf ihn und schubste ihn in das erfrischende Wasser – und sprang, noch bevor Tim wieder auftauchen konnte, ebenfalls hinein.

Als der Hundejunge prustend wieder an die Oberfläche kam, hörte er Stegis ausgelassenes Lachen.

Er drehte sich zu seinem Freund um, der nun neben ihm schwamm und sich dabei eindeutig mehr abmühen musste als Tim. Er grinste und anstatt seinen Kumpel u begrüßen stürzte Tim sich auf ihn und drückte ihn unter Wasser. Nur kurz, dann griff er nach seinem Arm und zog ihn wieder an die Oberfläche, wo Stegi beleidigt einen Schwall Wasser ausspuckte.
»Ey!«, beschwerte er sich, sagte aber nichts weiter, sondern erwiderte bloß augenrollend Tims Grinsen. Er wollte sich auch auf seinen Freund stürzen, um ihn ebenfalls zu tauchen, aber Tim hatte den besseren Stand im Wasser und so schaffte Stegi es nicht, auch wenn er sich an ihn hängte. Tim lachte nur noch lauter und zerstrubbelte dem Kater die hellen Haare, die ihm nass in die Stirn fielen. Stegi schüttelte zwar den Kopf aus, aber beschwerte sich nicht darüber. Stattdessen boxte er Tim gegen die nackte Brust und jetzt erst bemerkte der Hundejunge, dass sein Freund nicht nur seine Hose noch, sondern auch sein T-Shirt trug. Er grinste darüber, aber Stegi sah ihn böse tadelnd an.

»Übrigens, du Schlappohrtrompete ... Du weißt genau, dass du alleine nicht schwimmen gehen sollst.«

Tim grinste über Stegis Beleidigung und wuschelte ihm noch einmal durch die Haare.

»Ja ja.« Natürlich wusste er es eigentlich. Eigentlich.

»Nichts, ›Ja ja‹ ... Man, Tim, das ist kack gefährlich!«

»Ja, für dich.«

Tim rempelte ihn leicht an und begann gleichzeitig, mit großen Zügen zu der kleinen Insel zu schwimmen. Stegi bemühte sich, an seiner Seite zu bleiben.

»Man Tiiim!«, jammerte er weiter. Tim leckte ihm einmal über das nasse Katzenohr – einfach, um ihn zu ärgern. Dummerweise ärgerte Stegi sich aber gar nicht darüber. Sein Ohr zuckte nur kurz reflexartig – aber von seinem Thema brachte es ihn zum Glück trotzdem ab.

Stegi boxte Tim nur noch ein weiteres Mal gegen das Bein, als er sich neben ihn in das junge Gras auf der Insel fallen ließ, und ließ ihn dann damit in Ruhe.

Die beiden Jungen tauschten Blicke aus – beide lächelnd, beide bis auf die Knochen durchnässt, beide glücklich.

Stegi streifte sein nasses Oberteil vom Körper und legte sich dann neben seinen besten Freund, der entspannt die Augen geschlossen hatte und sich die Sonne ins Gesicht schienen ließ.

Eine ganze Weile lang redeten sie nicht, sondern genossen bloß den Tag, in dem Wissen, dass der beste Freund immer direkt neben einem war, man nur die Hand ausstrecken müsste, um ihn berühren zu können.

Der blonde Katzenjunge war unendlich dankbar dafür, Tim zu haben.

»Stegi?«

»Hmm?«
»Warst du schonmal verliebt?«

Stegi dachte über Tims Frage nach. Er wusste, dass es bei den Hunden üblich war, sein ganzes Leben lang nur einen Partner zu haben und sich mit diesem zu binden – aber sie waren anders. Bei den Katzen waren Partnerschaften eher von mittelfristiger Dauer. Stegi hatte mehr Halbgeschwister, als Tim ihm glauben wollte und das war nicht unüblich. Wenn man sich mochte, mochte man sich, und wenn nicht mehr ... dann eben nicht mehr. Und lieben ...

»Nein.« Stegi konnte sich nicht vorstellen, jemals so starke Gefühle zu einer Person zu entwickeln, wie die Hundemenschen es in ihren Partnerschaften taten. »Du?«

Stegi öffnete die Augen und sah zu seinem besten Freund neben ihm. Tim starrte nachdenklich in das dichte Laub der Bäume weit über ihnen.

»Vielleicht.«

Stegi spürte den Stich in seiner Brust, als hätte ihm wirklich jemand von innen eine Dolch durch die Brust gerammt. Sofort musste er an die kleinen Messer denken, die sie beide mit sich trugen – Tim, der nicht annähernd so viel mit seinen Krallen anfangen konnte, wie Stegi, hatte es ihm zu seinem Geburtstag vor zwei Jahren geschenkt. Er war der einzige gewesen, von dem Stegi jemals Geschenke zu diesem Tag erhalten hatte – und er fand die Bräuche des Hunderudels immer noch etwas lustig.

Stegi antwortete eine ganze Weile lang nicht, erst dann stellte er die Frage, die er in seinem Kopf so sorgfältig bereitgelegt hatte:

»Wie fühlt sich das an?«

»Verliebt sein?« Nun sah auch Tim zu ihm, ihre Blicke trafen sich und der Hundejunge lächelte sanft. »Du ... willst Zeit mit der Person verbringen. Freust dich, wenn ihr euch seht – nein, du freust dich nicht nur, du hast dieses ganz besondere Gefühl in der Brust. Und im Bauch ... und im Kopf. Du willst, dass diese Person dich mag, mehr als jeden anderen. Und du würdest alles für sie tun – oder zumindest sehr viel. Tut mir leid, ich bin nicht gut darin, das zu erklären.«

Stegi nickte andächtig. Das was Tim beschrieb ... hörte sich ziemlich merkwürdig an. Er konnte sich nicht vorstellen, dass jemals irgendjemand seines Rudels so etwas gefühlt hatte.

Stegi sog die frische Waldluft in seine Lungen und stieß sie nach wenigen Sekunden kraftvoll wieder aus. Er hatte das Gefühl, nicht wirklich atmen zu können, auch wenn das quatsch war.

War er ... eifersüchtig? Das war im Gegensatz zu Liebe ein Gefühl, das auch seine Rasse nur allzu gut kannte. Er sah zu seinem besten Freund, der sich nun aufgesetzt hatte und dessen warme Augen über Stegi hinweg die Sträucher musterte und irgendetwas zu beobachten schien.

War er eifersüchtig, weil Tim verliebt war? Vielleicht verliebt war, rief Stegi sich in Erinnerung. Vielleicht war gut.

Es mochte egoistisch sein, aber er wollte nicht, dass sein bester Freund sich verliebte. Er wollte nicht, dass jemand ihm wichtiger wurde als er selbst und er wollte nicht, dass Tim sich dann vielleicht nicht mehr so oft mit ihm würde treffen können.

Wenn er sich verliebte ... verbrachte man dann nicht auch viel Zeit zusammen? Und würde Tim dann überhaupt noch in den Wald kommen können? Hatte man Geheimnisse vor jemanden, den man liebte? Stegi war Tims größtes Geheimnis und wenn er irgendjemanden von ihnen erzählen würde, würde er sie damit vielleicht in Gefahr bringen. Bisher war ihm nicht einmal der Gedanke gekommen, dass das, was sie hier hatten, nicht für immer sein könnte.

Das war doch absurd – oder?

Tim schien Stegis Blick zu bemerkten und sah zu ihm. Er grinste und stand dann auf. Neugierig, was er vorhatte, setzte Stegi sich auf. Tim hielt ihm eine Hand entgegen und als Stegi sie ergriff, zog er ihn auf die Beine.

Stegi erwiderte sein Lächeln. Ja, das war absurd.

Und neben mir: Du ~ #StexpertWhere stories live. Discover now