Die Mörderin meiner Geliebten

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Ana und ich

Schnee. Ich spürte wie ein Lachen mein Gesicht erfüllte. Nie hätte ich damit gerechnet in meinem Leben noch einmal Schnee zu sehen. Ich lief zu einer anderen Patientin und sie umarmte mich. „Ich sehe Schnee! Dabei sollte ich doch keinen Schneefall mehr erleben", flüsterte ich. „Leander, ich wusste, dass du es irgendwie schaffen wirst. Ich habe es dir nur nicht sagen wollen, da ich Angst davor hatte, du würdest dadurch nur noch trauriger", sagte sie. Nun hatte ich wieder Hoffnung. Ich werde überleben. Obwohl mir die Ärzte sagten, ich würde sterben und keinen Schnee mehr sehen bevor es mit mir zu Ende geht.

Doch kurz darauf überkam mich eine tiefe Trauer. „Ich lebe und bin hier in der Psychiatrie, während meine besten Freunde sterben oder schon längst tot sind", dachte ich. Ich lehnte an einer Wand und glitt an ihr zu Boden. Mein nächster Gedanke galt meiner Geliebten Kathi. „Sie ist tot und ich lebe!" schluchzte ich. Wir beide waren zusammen bei pro Ana. Kathi war für mich da als ich anfing mein Körperschema nicht mehr wahrnehmen zu können. Sie brachte mich zu pro Ana. (Sie wollte immer, dass es mir gut geht, war aber selbst fest in Ana's griff.) Doch fangen wir ganz von vorne an:

Vor einigen Jahren begann ich damit mich mit meinem Aussehen zu beschäftigen. Ich fand sehr scheußlich. Wenn ich in den Spiegel sah, erkannte ich wie Fett ich war. Jeder Andere den ich nach meinem Aussehen fragte, sagte mir lediglich ich sei doch normal. Doch das was ich im Spiegel sah ging mir nicht mehr aus dem Kopf. „Ich muss abnehmen." Diesen Satz sagte ich mir immer wieder.

An einem Abend traf ich mich mit Kathi. Sie fragte mich was los ist. „Ich bin zu dick", antwortete ich, „ich will abnehmen und dünn werden. So schön wie du." „Leander, du musst wissen, ich liebe dich von ganzem Herzen", entgegnete sie und küsste mich. „Wenn du es wirklich willst, kann ich dir helfen so zu werden wie du es dir wünschst. Aber du musst mir versprechen niemandem etwas zu sagen, da ich dir eigentlich nichts davon erzählen darf, ich dir aber weil ich dich liebe eine Möglichkeit bieten will so zu werden wie du es willst. Ich bin bei pro Ana und du könntest meiner Gruppierung beitreten. Doch du musst Disziplin zeigen. Bist du einmal dabei, gibt es kein Zurück mehr."

Ich stimmte zu, wollte ich doch aus tiefstem Herzen dünn und schön werden. Mir war klar, ich könnte nur glücklich werden wenn ich dünner werde. Kathi lehrte mich die Briefe von Ana, (die wichtigsten Texte jeder wahren pro Ana-Bewegung) wie ich mich in der Öffentlichkeit präsentieren sollte und sie integrierte mich in ihre Gruppe. „Danke", sagte ich. „Ich will, dass du glücklich bist. Ich liebe dich. Doch liebst du mich?" fragte sie. „Ja. Ich liebe dich, Kathi. Wir beide können alles erreichen", entgegnete ich und küsste sie. Wir lächelten uns an. Sie nahm meine Hand und sagte mir sie wolle soweit es geht abnehmen und dann sterben. „Bist du bei mir wenn ich gehe?" wollte sie wissen. „ Ich werde nicht nur bei dir sein, sondern mit dir sterben. Lass uns das Leben nutzen und dann mit Ana gehen." Erklärte ich ihr. Sie grinste: „Ja. Zusammen. Bis Ana uns Flügel gibt und wir damit vor allem Unrecht das uns je wiederfahren ist wegfliegen können."

Damit hatten wir uns also entschieden. Ich trat der Gruppierung endgültig bei und war nach neun Jahren Depressionen endlich glücklich.

Dachte ich.

Sehr oft bekam ich mit, dass eine meiner (Ana-) Schwestern an ihrem Untergewicht gestorben war. Doch was ich auch mitbekam, war, dass sie alle, als sie an der Grenze zwischen Leben und Tod waren, sich gut fühlten: Als wären Ängste, Trauer und Wut auf einmal verschwunden. Meisten sind sie allerdings kurz darauf an ihrem Untergewicht gestorben. Dies war immer sehr schwer für mich da man sich in solchen Gruppen sehr gut kennenlernt und (zumindest in unserer Gruppe) oft traf.

Wenn eine von uns starb, zündete ich für sie immer ein Teelicht an und sang, damit in der Hand, im Wald für sie. Sie waren alle gute und wunderbare Menschen, die es nur sehr schrecklich hatten. Mögen sie in Frieden ruhen. Ich werde sie nie vergessen. „Alles Gute meine Schwestern."

Am 08.09.2018 war es geschehen; Kathi war gestorben. Ich konnte nicht zu ihrer Beerdigung, da meine Familie sonst etwas von Ana mitbekommen hätte. Und sie hatten mich sowieso schon unter Beobachtung. Es brach mir das Herz. Meine Geliebte war tot und ich konnte ihr nicht die letzte Ehre erweisen. Ich werde sie niemals vergessen. Kathi wird für immer in meinem Herzen bleiben.

In den Tagen nach Kathis Tod begann ich noch härter zu kämpfen. Für Ana. Ich nahm immer mehr ab. Auf einmal ging es mir immer besser, es war als wären meine ganzen Probleme schwächer geworden, kaum noch da. In diesen Tagen bekam allerdings auch mein Vater wind davon, dass ich Probleme mit dem Essen habe. „Leander, du musst essen. Das ist doch nicht schwer, früher hat es doch auch geklappt." Sagte er irgendwann einmal zu mir. Auf einmal hatte ich Angst; mein Vater könnte mir zum Problem werden. Deshalb versuchte ich immer zu den Mahlzeiten abwesend zu sein und mich irgendwie durchzumogeln. Am 01.10.2018 kam dann der Downfall: Ich litt sehr unter meinen Depressionen und es wurde so schlimm, dass ich als Notaufnahme in die Psychiatrie kam. In der Klinik verweigerte ich mit aller Kraft die Nahrung und kam in den Bereich des lebensbedrohlichen Untergewichts. Auf der offenen Station sagten mir die Ärzte, dass sie versuchen werden mir zu helfen, man aber davon auszugehen hatte, ich werde bald sterben. Obwohl ich mich lange darauf vorbereitet hatte, war es ein Schock. Ich bat die Ärzte es meinem Vater noch nicht zu sagen. Dies taten sie. Allerdings sagte man mir auch, auf meine Frage hin, dass ich den Schnee nicht mehr sehen werde, geschweige denn fühlen.

Mitte November kam alles dann anders: Ich ging zum Frühstück und sehe aus dem Fenster. Es schneit.

Später fragte ich eine Betreuerin ob ich wenigstens fünf Minuten in den Schnee darf. Sie besprach dies mit ihren Kollegen und sie sagten ja. Dieser Spaziergang war der schönste meines Lebens. Ebenfalls an diesem Tag erklärte mir der Oberarzt, ich würde überleben. Ich hatte schon vorher langsam verstanden, dass ich gegen Ana kämpfen muss. Eines Tages hatte ich es geschafft: ich wurde entlassen. In eine therapeutische Wohngruppe. „Wahnsinn. Ich habe Ana in mir drin überlebt." Dachte ich als ich ging. Doch kam Ana immer wieder zurück. Sie wird immer ein Teil von mir sein und ich werde immer wieder gegen sie kämpfen müssen. Doch ich bin bereit. Ich will LEBEN.

Widmung:

Dieser Text ist jenen gewidmet die es nicht überlebt haben. Mögen sie in Frieden ruhen.

Des Weiteren widme ich ihn auch Kathi. Du wirst immer in meinem Herzen bleiben.

Leander Kim Lionel Frömming


Ana ist Die Vermenschlichung der Anorexie (Magersucht). Sie wir bei pro Ana als das große Vorbild gesehen. Alle wollen so werden wie Ana. Sie ist so etwas wie eine beste Freundin. (Uns war allerdings bewusst, dass sie nicht wirklich existiert.) Ana ist in unseren Köpfen, unseren Herzen und in unserer Seele. Auch bei jenen wir mir die sich von ihr trennen wollen. Wahrscheinlich wird sie nie ganz aus uns verschwinden.


Ein Downfall ist etwas wie ein sehr starker Rückfall.

Meine Freundin AnaWhere stories live. Discover now