Einsam

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Mit Paddy etwas zu planen war so sinnlos wie zu hoffen, den Jackpot zu knacken. Ständig änderten sich Termine, ergaben sich neue Interviews und Fotoshootings.
Wir wollten keine Pause, die länger als zwei Wochen war. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten wir uns jedes Wochenende gesehen. Die schulischen Verpflichtungen und meine Mutter ließen dies aber nicht zu. Ein spontaner Termin in England durchkreuzte unsere Pläne und so sollten aus den zwei Wochen nun drei Wochen werden. Dabei brauchte ich ihn in dieser Zeit mehr als alles andere.

Der Verlust meines Cousins lag schwer auf mir und ich realisierte nur sehr langsam, dass er nicht mehr lebte. Die Beisetzung seiner Urne sollte in der nächste Woche stattfinden. Der Gedanke daran verursachte eine Gänsehaut. Flo schrieb mir in diesen Tagen mehrere Briefe die er mir in der Schule zusteckte und an die Haustüre legte. Er entschuldigte sich immer wieder und wollte für mich da sein in dieser Zeit. Er wusste, dass ich ihn gebraucht hätte. Natürlich hätte ich das. Er kannte Tommy auch schon seit seiner Kindheit und auch wenn sie nicht immer gut miteinander klar kamen, mochten sie sich. Sie sind sich nämlich ähnlich gewesen. Zwei Alphatiere. Ich antwortete Flo nicht. Es ging nicht, so sehr ich ihn gebraucht hätte. Aber es ging nicht. In jedem Brief steigerte er sich mehr hinein, bettelte, flehte nahezu mit mir sprechen zu können. Seine Worte wurden immer eindringlicher, er bestand darauf mich zu sehen. Ich packte seine Briefe in die Kiste, zu all den anderen Erinnerungen an ihn und versuchte ihn zu vergessen.

Verluste jeglicher Art überschatteten diese Zeit meines Lebens

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Verluste jeglicher Art überschatteten diese Zeit meines Lebens. Wie einsam ich wirklich war, wurde mir erst bewusst, als Tommy nicht mehr da war. Denn dieser Verlust war endgültig. Würde er jemals aufhören, dieser Schmerz?

Dieser Schmerz in mir, diese Wunden die nicht heilen wollten, quälten mich von Tag zu Tag mehr. Ich wusste nicht mehr, was schlimmer war. Aber nach langem überlegen wusste ich, dass es das Schlimmste war von dem Menschen getrennt zu sein, den ich liebte.Auch wenn der Tod ein Loch in mein Leben riss, konnte ich ihn nicht zurück holen. Tommy war nicht mehr da. Und Flo konnte ich auch nicht mehr in mein Leben zurück lassen. Er war mein einziger richtiger Freund gewesen. Ich hatte niemanden mehr,  dem ich mich anvertrauen konnte. Keine beste Freundin. Er war das immer gewesen.

Mein Vater lebte in der entgegengesetzten Himmelsrichtung, hunderte Kilometer entfernt. Wir hörten uns regelmäßig und schrieben uns Briefe und Postkarten. Ich erzählte ihm von Paddy und meinem Vater war die singende Familie bekannt. Durch seine Arbeit war er hauptsächlich in Mittel und Norddeutschland unterwegs und hatte sie schon zufällig einige Male erlebt. Er war sehr verblüfft darüber, dass ich mit einem 'dieser Jungs', wie er es sagte, zusammen war und noch verblüffter darüber, dass ich diese Beziehung zu einem Jungen der in der Öffentlichkeit stand, durchhielt. Sich nicht oft zu sehen, Vertrauen ineinander zu haben, die Medien zu ertragen. Er fand es mutig, dass ich mich darauf einließ. Und ich? Ich war einfach verliebt und hätte jede Last auf mich genommen. Auch wenn das hieß manchmal wochenlang alleine zu sein.

Um von zu Hause rauszukommen, fuhr ich fast jeden Nachmittag zu Leo und lenkte mich dort mit der Gitarre ab. Leo und sein Vater standen mir in diesen Wochen bei, wie ich es nie erwartet hätte. Sie stellten nicht viele Fragen, sie waren einfach da. Das mochte ich an Leo am liebsten. Er nahm mich einfach so an. Nicht als Mädchen. Als Freund. Als Mensch. Meine anfängliche Sorge, dass er Hintergedanken haben könnte, verflog vollkommen. Es war im wahrsten Sinne des Wortes, eine tägliche Flucht zu ihm. Dort konnte ich abtauchen, in die Welt der mir so bekannten Klänge, die mich an Paddy erinnerten. Aber mit Leo über mein Seelenleben, über Paddy und die Sache mit Flo zu reden, dass konnte ich einfach nicht.

Oft lief ich den Fluss entlang nach Hause. Die Sommerabende waren lau und die Sonne ging erst spät unter. Sie tauchte die Stadt in warme Farben. Am Fluss fühlte ich mich Paddy noch mehr verbunden. Der Strom im Fluss riss meine Gedanken und meine Sehnsucht mit sich mit und brachte sie zu ihm.  Es klingt vielleicht nach wildromantische Gedanken einer Jungdlichen, aber sie halfen mir durch die Zeit der Einsamkeit.

Dass ich bei Leo war und er mir beibrachte Gitarre zu spielen, hatte ich Paddy bisher nicht erzählt

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Dass ich bei Leo war und er mir beibrachte Gitarre zu spielen, hatte ich Paddy bisher nicht erzählt. Nicht dass ich es ihm verheimlichen wollte. Ich wollte ihn damit überraschen und das verlangte mehr Zeit und Übung.

Leo fragte selten nach meinem Freund, er bemerkte auch, dass ich seinen Fragen entweder auswich oder  sehr diplomatisch beantwortete um Paddys Identität nicht zu verraten. Aber ich zweifelte immer mehr daran, ob Leo von ihm und der Familie jemals was gehört hatte. Leo lebte in seinem eigenen Kosmos. Er war ein paar Jahre älter als ich und das Hippieleben seines Vaters beeinflusste ihn sehr. So konsumierten beide gemeinsam Marihuana, während Jimi Hendrix sie mit psychedelischen Klängen entführte. Es war eine andere Welt, nicht meine, aber ich fühlte mich dennoch wohl dort. Da Paddy und ich vereinbart hatten den nächsten Joint gemeinsam zu rauchen, ließ ich trotz der netten Angebote meine Finger davon.

Nach Tommys Tod sah ich den Drogenkonsum kritischer als zuvor. Auch wenn Tommy an der Kombination anderer Drogen verstorben war, hatte ich  Angst. Ich hatte ja schon mein Kurzzeitgedächtnis nachdem ersten Joint verloren. Das wollte ich keinesfalls noch mal erleben, auch wenn mir der Gedanke, für einige Zeit etwas zu vergessen, sehr gefiel.

An den Wochenenden traf ich Leo abends in einem Park. Es wurde immer wärmer und es tat mir gut rauszukommen. Leo saß mit ein paar Freunden zusammen, die ich nicht kannte. Manche waren älter als er und lebten auch in einer ähnlichen Welt wie Leo und sein Vater. Sie studierten Kunstgeschichte oder Linguistik und führten einen doch relativ alternativen Lebensstil. Sie waren so etwas wie moderne Hippie und saßen immer am gleichen Platz, auf der großen offenen Wiese, umgeben von blühenden Rosensträuchern und großen Bäumen. Irgendeiner hatte immer eine Gitarre dabei, kleine Trommeln und sie sangen alte Rocksongs. Auch Leos Vater gesellte sich öfter dazu. Er passte mit seiner lockeren und offenen Art perfekt in diese Gemeinschaft hinein.

,,Bring doch mal deinen Freund mit!" sagte Leo eines Abends.
,,Ja mal schauen...",sagte ich locker. Ich befürchtete nur, dass ihn jemand erkennen würde und was das für Konsequenzen haben könnte.

Nach fast drei Wochen quälender Sehnsucht packte ich wie immer schon Abend vor meiner Abreise meine Sachen zusammen. Ich trug Paddys Tshirt, dass er bei mir lies, als er mich vor drei Wochen hier verließ.
Noch 20 Stunden bis ich dich wieder sehr...

Die Haustürklingel riss mich aus meinen Gedanken. Meine Mutter rief aus dem Badezimmer, dass ich zur Tür solle, sie lag in der Wanne und wollte ihre Ruhe nach dem langen Tag im Büro.

Immer wieder und wieder klingelte es eindringlich, als wäre draußen die Hölle ausgebrochen. Mit schnellen Schritten ging ich auf die  Türe zu und sah eine Silhouette im Milchglas der Türe. Wer stand um diese späte Uhrzeit vor unserer Tür und klingelte Sturm...

 Wer stand um diese späte Uhrzeit vor unserer Tür und klingelte Sturm

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Für immer verbundenDonde viven las historias. Descúbrelo ahora