1. Die Löffel

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Gibt es eine höher Macht ?
So wie sie sich etliche der Unzähligen vorstellen ?
Ich meine in Gestalt einer herkömmlichen Person.
Sie muss und ist mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Mann, welcher Ende der Jahre ist, in denen die Frisur noch halbwegs an Farbe, oftmals grau, besitzt und nicht völlig dem Weiß verfallen zu sein scheint.
Muss sie auch nicht.
Vielleicht trägt sie Sandalen, oder bloß gewöhnliche Pantoffeln.
Möglichkeiten, Möglichkeiten
Was wäre wenn diese „Macht" einen kontinuierlich im Auge behält, welche Aktivitäten man auch immer nachgeht.
Wäre ebenfalls eine der unzähligen Möglichkeiten.
Jedoch müsste es doch nach Jahrmillionen einem aus den Ohren hängen, als gutes Beispiel, jemanden wie mich zu beschatten, während ich mit Dutzenden anderen in einer Schlange stehe und darauf warte drei bestellte Kaffee abzuholen.
Ebenfalls möglich...

,, Möchten sie Löffel zu ihrer Bestellung dazu, oder kann der Nächste in der Reihe endlich bedient werden ?"
Strapaziert klang die Stimme, die mich aus meinem Gedankenwirrwarr befreite.
Ich musste sie mit auffällig großen Augen angestarrt haben, als ich wieder zurück in die Wirklichkeit kam.
„ Verzeihung, ja gerne mit Löffeln"
Die Frau, mit schwarzer Schürze und einem Gesichtsausdruck zum mit schlafen, packte die Bestellung nicht besonders behutsam in die Tragetasche, welche schon auf dem Tresen zwischen uns lag, und drückte sie mit folgend darauf in meine Hände.
Ihre blassen Pfoten waren frostig kalt, selbst durch den Pullover, den sie trug.
Mir blieb keine Zeitweiter über die Eiseskälte der Verkäuferin zu grübeln, denn die Person hinter mir in der Schlange drängte sich zu seinem ersehnten Ziel, mich jedoch völlig aus dem Konzept.

„ Schönen Tag noch"
Kam zum Schluss noch von meinen Lippen, als ich den Laden verließ. Der Blick, der mir von der „Schürze" zurückgeworfen wurde, hätte man ein Brot schneiden können.
Zu köstlich.

Der Laden in welchem es den, meiner Meinung nach, beste Tee und Kaffee zu ergattern gab, lag etwa zwei Kilometer südlich von dem Standort entfernt
zu dem ich unzählige Male bereits losgeschickt wurde, um Koffein in raren Mengen zu besorgen.
Benji's Studio schimpfte sich der ganze Zirkus oder kurz BsS. Von dort mit der Straßenbahn in die Fußgängerzone und wieder zurück.
Tag für Tag und Woche für Woche.
Routinemäßig.
"Es hätte mich auch reichlich schlimmer treffen können". Dachte ich mir immer, als es einem einmal wieder zum hundertsten Mal, aus dem Hals hing.
Die Unglücklichen, die nach dem gemeinsamen Studium, nun das Schicksal mit mir teilten, arbeiteten in allerlei verschiedenen Bereichen. Wenn sie von A bis Z gereicht hätten, dann hätte es die armen Vögel noch gut getroffen.
Wieder in Gedanken und nun auch noch Schicksale der 71er Abschlussleute vertieft, stieg ich die Straßenbahn ein, welche mich wieder zurück bringen musste.
In all den Läden bei denen ich zuvor vorbei schlenderte schienen die perfekt dargestellten Puppen, samt unbezahlbaren Monturen, mir alle gehässig nach zu blicken.
Natürlich, wie konnte ich auch einfach an ihnen, in Gedanken verloren, vorbeigehen ohne ihre leeren Gesichter zu begutachten und mir einzugestehen, dass mein Geldbeutel nicht über die benötigte Dicke verfügte, welchen er hätte besitzen müssen, um Besitzer eines solchen Fummels zu werden.
,, Unwichtig".
Murmelte ich und setzte mich auf einen der Sitze in der Bahn. Ich hatte an diesem Dienstag, im regnerischen Mai etwas Glück, denn Sitze in der Linie sind Mangelware.

,, Auch wieder unterwegs mit vollen Taschen, junge Dame ?".
Die lieblich, doch ältere Stimme, entlockte mir ein Lächeln, denn diese Stimme war mir mehr als bekannt.
,, Ja, drei Kaffee, einer Schwarz mit einem Stück Zucker, dann einmal mit Zimt-Zucker und ohne Milch, dann noch der letzte mit Milch und einem Stück Zucker.
Noch aufwendiger geht ja immer, Oma"
Ich traf die alte Dame rund ein Jahr zuvor, seit dem liefen wir uns beinahe jeden Tag, mindestens einmal in der Bahn, über die Füße und berichteten gegenseitig, was der Tag wohl noch alles bringen mochte.
,, Das hört sich ja nach ganz besonderen jungen Helden an ? Auch einer für dich dabei ?"
Ich schien rot anzulaufen und schüttelte darauf meinen Kopf heftig hin und her.
,, Oma .... ! Nein, es ist noch keiner dabei"
Sie lachte und klopfte mir auf den Oberschenkel.
,, Schätzchen, ich verrat' dir mal was ! Wenn's passiert, dann passiert's, aber lass es auch mal drauf ankommen, oder nich' ?"
Sie hatte recht. Geschlagen gab ich ihr recht und nickte, während ich ihr ein aufgequältes Lächeln schenkte.
,, Na geht doch, hör auf Oma und aus dir wird noch was großartigeres".
„ Ich hoffe.... oh ich muss gehen"
Die Anzeige auf dem flimmernden Monitor der Bahn zeigte meine Haltestelle.
Mich vorsichtig, mit dem Kaffee in der Hand, aufstellend, wartete ich, bis sich sie Türen öffneten und ich endlich zurück zu Benji's konnte.
,, Bis morgen, Oma !"
Sie winkte noch schnell zurück, bevor die Türen wieder verschlossen waren.
Den Kopf schüttelnd und über Omas Worte lächelnd lief ich zügig weiter.
Sie war eine herzensgute Frau, jedes Gespräch mit ihr war entweder mit Weisheiten und Ratschlägen gespickt oder einfach zum lachen. Sie schenkte mir, wie immer ein ehrliches Lächeln, welches ich versuchte, so oft wie möglich, zu erwidern.

Der viertel Liter schwarze Brühe in meinen Händen, schien langsam, laut meinen Fingern, an Hitze zu verlieren. Es regnete und war leicht stürmisch, also kein Wunder, dass der Kaffee, wenn es wo weiter geht, noch mit einer Kugel Eis und Eiswürfeln serviert werden konnte.
Doch dann müsste ich noch einmal davon und mich wieder durch dieses Sabschwetter kämpfen.
,, Nein danke"
Ich legte noch einen Zahn zu und kam dem Tonstudio endlich näher.
,, Hoffentlich hat er die Tür wegen dem drecks Wetter nicht verschlossen"
Ich begann zu beten, als in die Seitenstraße einbogen, in der das Studio seit rund 12 Jahren lag. Zuvor flüchtete ich über die dichtbefahrene Hauptstraße, vor dem Gässchen.
Ein Glück ist das Wetter so mies, da bleiben die Renter mit ihren Schlitten lieber Zuhause vor dem Kamin.
"Oh ein warmer Karmin.." Dachte ich und sehnte mich schleunigst davor.
Der Türknauf schien keine fünf Schritte mehr entfernt, doch als ich endlich davor stand, den Knauf lächelnd drehte, fiel mir auf.
,, Ach komm schon ! Nicht jetzt"
Die verdammte Tür war verschlossen.
,, Das darf doch jetzt nicht... wahr sein !"
Enttäuscht blickte ich mich kurz um, vielleicht lag der Schlüssel unter der Fußmatte, doch leider irrte ich mich erneut.
,, Na gut, dann hinten rum".
Zu klopfen wäre die größte Zeitverschwendung gewesen, denn bestimmt nahmen sie, in diesem Moment, weitere Musik drinnen auf.
Da hätte ich mir die Fingerknöchel wundklopfen können, das hätte nie jemand gehört.

Die Gasse, rund um Benji's bestand aus rund 7 Häuser auf einer Gassenseite, zwischen jedem einzelnem kleinen Häuschen, ein kleiner Durchgang führte, durch welchen man zur Hinterseite gelangte. In fast jedem Durchgang stand ein kleines Gittertor, welches Benji hoffentlich offen gelassen hatte.
,, Gott, dass ist jetzt meine letzte Chance, bitte ... lass es offen sein".
Das Scharnier knirschte ätzend, doch das Tor öffnete sich und ließ einen menschengroßen Stein, von meinem Herzen fallen.
,, Gott sei dank... wenn auch etwas spät".
Mit einem Tritt war das Tor wieder verschlossen, nun war mir keine Hürde mehr im Weg. Zielsicher lief ich um die letzte Ecke, direkt auf die Hintertür zu.
Ein junger Mann stand allerdings unter dem Vordach der Tür und machte einen langen Zug an seiner Zigarette. Er trug, trotz des bescheidenen Wetters, eine Sonnenbrille, jedoch hielt sie bloß seine wirren strohfarbenen Haare im Zaum. Er blickte mich leicht erschrocken an, er hatte zuvor wohl nichts bemerkt.
Allerdings machte er sofort Platz, damit ich an ihm vorbei, in das Haus konnte.
Ihn musternd, doch vor allem seine Zigarettenpackung, in der rechten Hand, musternd, blieb ich unter dem Regenschutz stehen.
,, Auch eine ?"
Etwas entgeistert schaute ich ihn an, denn damit rechnete ich nicht.
,, Ja... ja, gern. Danke"
Es war ein Moment, an welche man sich noch Monate danach erinnerte, denn sie bleiben einem aufgrund der ständig neueintreffenden Überraschungen im Gedächtnis.

Einen herzhaften Zug machend, blickte ich in den öden, grauen Himmel und pustete den Rauch danach wieder aus meine Lungen.
,, Die hab ich am liebsten".
Sprach der Blonde und blickte mich dabei nichtssagenden an.
,, Ich finde die roten persönlich besser, die sind nicht so stark" .
,, Ja, stimmt".
Er musterte die Verpackung und legte sie danach auf das breite Holzgeländer, an welches er gelehnt neben mir stand.
,, Ich sollte langsam damit aufhören... mit "paarundzwanzig" sollte die Lunge nicht so aussehen, wie meine".
Es klang schon beinahe mahnend, doch sprach er auch etwas verloren.
„ Ich rauche gar nicht, zumindest bloß äußerst selten. Kann's mir nicht ganz so leisten, wie ich's gern hätte".
Ich kannte ihn zwar nicht, doch Ehrlichkeit tut nicht weh.
,, Hier, ich denke dir schaden sie nicht so wie mir".
Er drückte mir die blaue Zigarettenpackung in die Hand und drehte sich zur Tür.
,, Das kann ich nicht annehmen !"
Mit großen Augen starrte ich die Packung an.
Es war peinlich ich wollte nichts besitzen für was ich nicht selbst aufkommen konnte.
,, Wie schon gesagt. Ich würde sie bloß wegwerfen. Nimm sie ruhig, bleibt auch unser Geheimnis".
Ein Lächeln stand auf seinen Lippen und animierte mich dazu, ihm gleich zu tun.
,, Danke dir ..."
,, Roger,  ich heiße Roger"

Headlong ~Queen~ [unregelmäßige Updates] Where stories live. Discover now