~Einfach mal zu weit gehen und sich da ein wenig umsehen~

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Eine Hand auf meiner Schulter ließ mich zusammen zucken und aufblicken. Thorne war von seinem Stuhl aufgestanden und stand nun hinter mir, ein besorgter Ausdruck in seinen Augen. 

"Es geht ihm wieder gut, Lace."

Ich nickte bloß. Es war gut, zumindest das zu wissen. Doch das änderte nichts an meinem versagen als Sohn. Meine dennoch nicht verbesserte Laune schien Thorne aufzufallen. Ein wenig überrascht bemerkte ich, wie er meinen Stuhl herumdrehte. Dann zog er mich aus meinem Stuhl heraus, sodass wir auf Augenhöhe waren, seine Hände lagen dabei auf meinen Schultern.

"Du solltest dir nicht so viele Vorwürfe machen. Die wenigsten haben noch Kontakt zu ihrer Familie, besonders wenn sie die Schicht wechseln. Ich bin mir sicher, dass deine Eltern das verstehen werden."

Als hätte er mich nicht schon genug mit seinen Worten überrascht zog er mich in eine Umarmung. Ein wenig überwältigt stand ich nur da. Doch nach einigen Sekunden entspannte ich mich etwas und erwiderte die Umarmung. Während ich meine Stirn vorsichtig an seine Schulter lehnte konnte ich nicht anders, als mich zu wundern.

Wie schaffte Thorne es nur zu wissen, welche Worte die richtigen waren? Und wie in aller Welt hatte ich ihn nicht von Anfang an mögen können. 

Viel zu schnell löste er sich wieder von mir und lächelte auf mich runter.

"Besser?"

Ich erwiderte das Lächeln. 

"Besser."

Ein paar Augenblicke blickten wir einander bloß an. Dann öffnete Thorne den Mund, als würde er etwas sagen wollen. Doch im selben Moment begann etwas zu klingeln, was mich zusammenzucken ließ. Thorne sah ich um und eilte dann zu seinem Tablet, der Ursache des Lärms.

Er blickte kurz darauf hinunter, dann verschwand das Lächeln und er zog die Stirn kraus.

"Ich sollte gehen. Lass uns morgen weitermachen."

Und damit war er verschwunden. Kurz darauf hörte auch das Klingeln auf und ich konnte noch hören, wie er ans Telefon ging.

"Hallo, Dad."

Dann fiel die Tür ins Schloss und ich blieb mit meinen Gedanken allein zurück. Seufzend ließ ich mich wieder auf meinen Stuhl fallen und las mir noch einmal alles durch. Dann stand ich wieder auf und begab mich auf den Weg ins Bad. Ich brauchte eine Dusche. Heute morgen hatte ich mir nicht die Zeit dazu genommen, entsprechend roch ich auch. Das Thorne mich mit dem Geruch umarmt hatte war schon ein Wunder.

 Nach der entspannendsten Dusche seit der Erfindung von Duschen wickelt ich mir ein Handtuch um die Hüfte - In die stinkenden Klamotten würde ich nicht steigen und ich hatte frische vergessen - und machte mich daran, mein Schlafzimmer aufzusuchen. Während ich mir eine schwarze Jogginghose und ein ebenso schwarzes Shirt heraussuchte blickte ich gedankenverloren aus dem Fenster. Es war mittlerweile ganz schön dunkel.

Fertig angezogen verließ ich das Zimmer wieder und steuerte mein Bad an, einerseits um das Handtuch aufzuhängen, andererseits um meine Uhr zu holen, die ich dort vergessen hatte. Doch etwas ließ mich nach der Hälfte des Weges innehalten. In meinem Wohnzimmer war irgendetwas anders, doch was wusste ich nicht. Ich hatte mich gerade wieder weggedreht, da bemerkte ich es. 

Das Licht in der Küche war an und erhellte das Wohnzimmer. Langsam bewegte ich mich auf die Tür zu. Vielleicht hatte ich das Licht eingeschaltet und es bloß vergessen. Vorsichtig öffnete ich die Tür. Was ich darin sah ließ mein Blut gefrieren. Wie kam sie hier herein?

Möglichst leise und mit klopfendem Herzen trat ich einige Schritte zurück, nur um gegen etwas zu stoßen.

Dieses etwas, oder eher dieser jemand, stieß mich mit einem Ruck vorwärts, sodass ich durch die Tür stolperte. Noch bevor ich mein Gleichgewicht wieder gefunden hatte spürte ich eine Hand in meinem Nacken, die mich unsanft hochzog und dann festhielt.

"Ich dachte schon, dass du es nicht mehr herschaffen würdest."

Anja lächelte mich an, während sie sich gegen meine Kücheninsel lehnte. Von ihrer Präsenz immer noch überwältigt konnte ich sie nur dabei beobachten, wie sie ihren Blick durch den Raum schweifen ließ.

"Schön hast du es hier. Es sieht alles so hell und teuer aus."

Ich räusperte mich.

"Was willst du hier?"

Meine Stimme klang seltsam dünn während ich angespannt auf ihre Antwort wartete.

"Was? Darf eine Schwester ihren Bruder nicht besuchen?", wollte sie mit einem unschuldigen Lächeln wissen.

"Ich denke, dass das hier viel eher ein Einbruch ist, Anja." 

Ich spürte Wut in mir aufkommen. Wie konnte sie es wagen, hier einfach zu stehen und so zu tun, als hätte sie jedes Recht dazu?

Jetzt ließ Anja ihre Fassade fallen und starrte mich ebenso erbost an.

"Warum spionierst du mir hinterher? Ich bin deine Schwester."

"Das ändert nichts daran, dass du in illegale Aktivitäten involviert bist."

In diesem Moment schien der Typ hinter mir es für angebracht zu empfinden, auf sich aufmerksam zu machen. Wie eine Puppe schüttelte er mich durch, sodass ein stechender Schmerz durch meine Wirbelsäule schoss. Ich biss die Zähne zusammen, um mir die Schmerzen nicht anmerken zu lassen und sah meine Schwester an, die sich das ganze zufrieden ansah.

"Sachte, Brian. Ich bin noch nicht mit ihm fertig."

Anja schien mich mit ihren Blicken erdolchen zu wollen, während sie fortfuhr:"Du, Lace, hast doch alles was man sich wünschen kann. Einflussreiche Freunde, einen hochbezahlten Job, eine tolle Wohnung. Und dennoch musst du mir nachschnüffeln. Du hast es dir wohl wirklich zum Ziel gesetzt, mein Leben zu zerstören, oder?"

Etwas in ihrem Tonfall und der Art und Weise, wie sie mich ansah, beunruhigte mich. Das hier war nicht mehr meine Schwester. Vor mir stand eine Fremde.

"Glaub mir, Lace, ich werde das nicht zulassen. Es war falsch von dir, die Suche deines Assistenten fortzuführen."

Jetzt nickte sie Brian zu. 

"Sorg dafür, dass er leise ist."

Dann steuerte sie auf einen kleinen Aufzug zu, den sonst nur das Küchenpersonal nahm. So mussten sie es hier herein geschafft hatten. Erst nach ein paar Sekunden realisierte ich, was meine Schwester da gesagt hatte. Sofort begann ich, mich in dem Griff des Mannes hinter mir zu winden. Doch es brachte nichts. 

Stattdessen spürte ich, wie etwas dünnes, kaltes gegen meinen Hals gedrückt wurde. Darauf folgte ein kurzer Schmerz, wie eine Nadel, die den Körper durchsticht. Kurz passierte nichts, dann sackte ich zusammen, nicht dazu in der Lage, mich aufrecht zu halten. Das Handtuch, welches ich bis dato noch festgehalten hatte, rutschte aus meiner Hand. 

Während mein Blickfeld langsam immer dunkler wurde durchschoss mich Angst. Dann verlor ich das Bewusstsein.

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Ba-dummtz. Wer hätte mit dieser Wendung gerechnet?
Bio-Update: 9 Punkte (3+). Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass das die drittbeste Note war.
Ich plane, die Geschichte noch dieses Jahr zu beenden. Hier nach kommen noch zwei Kapitel, dann ist es auch schon vorbei. Mal schauen, ob es klappt.

Over and Out, _Amnesia_Malum_

2095 - ᴡɪᴇ ɢᴜᴛ ʙɪꜱᴛ ᴅᴜ ᴡɪʀᴋʟɪᴄʜ?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt