Der hellste Stern

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Regen prasselt gegen die alten Fensterscheiben, ein starker Wind zerrt draußen im Garten an den Bäumen.

Wie jeden Abend sitzt er an ihrem Bett und betrachtet sie im schwachen Licht einer Glühbirne.

Seine Hände zittern, während er ihr über den Kopf streicht und seine Stimme ist kaum zu vernehmen, als er ihr etwas ins Ohr flüstert.

Die Wand gegenüber ihres Bettes ist fast vollständig von Bildern bedeckt.

Sie war einmal weiß, doch jetzt ist sie besche, fast braun, genauso wie die Rahmen der zahlreichen Fotografien.

Fotografien von früher.

Eine zeigt ein frisch vermähltes Paar, eine eine glückliche Familie mit vier Kindern, eine weitere eine bildhübsche Frau, die voller Stolz auf das Schild über einer Ladentür zeigt.

Das älteste Bild wurde vor fast siebzig Jahren aufgenommen, es zeigt zwei Kinder im Alter von vielleicht 10 Jahren, ein Mädchen und einen Jungen. Das Mädchen lächelt selbstbewusst in die Kamera, während der Junge eher schüchtern auf den Boden schaut.

Kurz huscht ein Lächeln über sein Gesicht, als er in die strahlenden, aufgeweckten, lebensfrohen Augen des Mädchens blickt, doch es erstirbt, als sein Blick sich wieder seiner Frau zuwendet.

Einzig und allein das reine blau in ihren Augen ist noch dasselbe wie damals.

Alles andere war ihr geraubt und entrissen worden, innerhalb von einer Nacht.

Ihr starrer Blick ist an die Decke gerichtet, das Licht in ihren wunderschönen Augen ist erloschen, für immer. Ihr Atem geht langsam und kaum hörbar.

Eine winzige Träne rollt seine Wange hinab und er beginnt wieder, ihr über den Kopf zu streicheln.

Neben ihrem Bett steht ein Teller mit Schokoladenkeksen, haargenau nach dem Rezept gebacken, das ihrer kleinen Konditorei zum Erfolg verholfen hatte.

Der Teller ist fast leer, also greift er nach seinem Gehstock und geht langsam in die Küche.

Er braucht lange, bis der Teig fertig ist, aber als er einen kleinen Löffel probiert ist er perfekt.

Gerade will er eines der beiden Bleche in den Ofen schieben, als es an der Tür klingelt.

Er zuckt ein wenig zusammen und seine Hände zittern stärker als zuvor, aber er richtet sich auf und geht langsam zur Haustür.

Seit zwei Wochen hat er mit niemandem mehr gesprochen und er wundert sich, wer sie beide denn besuchen kommen könne.

Er öffnet die Tür.

Da stehen sie, alle vier. Josh, Rose, Kathi und Tyler.

Ein seltsamer Laut bahnt sich den Weg aus seinem Innersten naxh draußen, dann rollt eine weitere Träne seine Wange hinab.

„ Was macht ihr hier?", fragt er leise „ Ihr solltet hier nicht sein."

„ Dad, wir wollen aber genau hier sein."

„ Warum hast du uns nicht Bescheid gesagt?"

„ Ich wollte nicht dass..." seine Stimme bricht und seine Hände zittern nun so stark, dass er sie tief in den Hosentaschen vergräbt.

Doch als sich vier Paare Arme um seinen Körper schließen, umschlingt er seine Kinder so fest er kann.

Eine ganze Weile stehen sie so da, dann gehen sie gemeinsam in das kleine Schlafzimmer.

Es ist viel einfacher, den Raum zusammen zu betreten als allein.

Sie setzten sich alle um das Bett herum, keiner sagt ein Wort.

Ihre Hände bewegen sich ein wenig, hin zu ihrer Familie.

Er nimmt sie beide und lässt seinen Tränen nun freien Lauf.

Ihr Atem geht langsamer.

Alle legen ihre Hände auf ihren reglosen Körper.

Dann tut sie einen letzten Atemzug.

Er schließt ihre Augen und haucht ihr einen Kuss auf die Stirn.

Seine Kinder treten hinter ihn und halten ihn fest.

Dann sieht er aus dem Fenster.

Der Sturm hat sich verzogen, Sterne leuchten an dem nun klaren Nachthimmel und einer strahlt besonders hell und klar.


Der hellste SternWo Geschichten leben. Entdecke jetzt