„Ich war das mit deinem Schließfach.“, presse ich hervor und suche mir einen Punkt im Baum hinter ihr, auf den ich meinen starren Blick richte. Wenn ich fokussiert bleibe, passiert auch nichts. Das ist genau wie bei Dad. Wenn er zuschlägt, muss ich konzentriert bleiben. Nicht schwach werden. Nicht zusammenbrechen. Ich merke, wie mein Blick immer starrer wird und ich mir dessen, dass ich hier mit Scarlett sitze, fast nicht mehr bewusst bin. Stattdessen habe ich das Gefühl, mich verstecken zu müssen. Vor irgendetwas. Vor irgendjemandem.
Scarletts Pov
Ich bin zwar nicht glücklich darüber, dass Jason mein Schließfach geknackt hat, aber unter dem Gesichtspunkt, dass wir gerade wesentlich größere Probleme haben und er ja auch nichts geklaut hat, bin ich nicht wirklich sauer. Ich kann nur nicht verstehen, wieso er es getan hat. Ich merke, dass er meinem Blick ausweicht und dass seine hellen Augen langsam dunkler werden. Wie bei einem Tier. Obwohl, oder gerade weil ich das bereits schon mehrmals erlebt habe, läuft mir ein kalter Angstschauer über den Rücken. Ich bin alleine mit ihm. Wenn ich hier um Hilfe schreie, hört mich niemand. Aber würde ich denn überhaupt schreien, wenn….
Verdammt! Ich muss aufhören so blödsinnige Gedanken zu haben. Er war die letzten Tage über gestresst. Das waren Ausrutscher. Alles halb so schlimm.
„Wieso hast du das gemacht?“, wage ich mich deshalb vor.
Jasons Pov
Aus sehr weiter Entfernung scheint Scarlett mit mir zu sprechen. Ich glaube, sie hat gefragt, warum ich es gemacht habe. Ok. Fokussieren. Das schaffst du. Bloß nicht zusammenklappen. Nicht an zu Hause denken. Nicht an das denken, was dort auf dich wartet. Du gehst nach der Schule so oder so wieder zu Cole. Aber da kannst du nicht ewig bleiben. Irgendwann musst du zurück. Irgendwann…
Ich habe das Gefühl, mein Kopf platzt. Da spüre ich etwas an meiner Hand und blicke nach unten. Langsam fällt die Anspannung ab. Langsam kehre ich zurück in die Situation.
Scarletts Pov
Ich weiß nicht wieso, aber aus irgendeinem Grund greife ich nach Jasons Hand, als er nicht antwortet. Er scheint innerlich mit irgendetwas zu kämpfen. Es macht fast den Eindruck, als führe er einen Kampf gegen sich selbst. Oder gegen etwas anderes, das er versucht aus seinem Kopf zu verdrängen. Wie in Trance bewegt er seinen Kopf nach unten und blickt auf unsere Hände. Ich halte seine ganz fest. Deshalb spüre ich auch, wie sein Körper sich langsam entspannt und er sich wieder beruhigt. Kurz schließt er die Augen, als wolle er sich sammeln, bevor er den Mund öffnet und beginnt zu sprechen.
„Er war nicht immer so.“ Ich muss kurz überlegen, bis mir klar wird, dass er seinen Vater meint. Ich hätte nicht gedacht, dass er so weit ausholt, um mir die Sache mit meinem Schließfach zu erklären.
„Früher war er ein anderer Mensch. Er war nie der Typ Vater, der mich zum Angeln, oder Hockey mitgenommen, oder mir das Basketballspielen beigebracht hätte. Aber er war in Ordnung. Nicht so…“ Er scheint nach dem richtigen Wort zu suchen. Ich traue mich aber nicht ihn zu unterbrechen, da ich Angst habe, dass er dann wieder dicht machen könnte.
„Nicht so launisch. Wir sind miteinander klar geworden. Waren eigentlich eine glückliche Familie. Aber dann hat er seine Arbeit verloren. Ab da war alles anders. Mum ist putzen gegangen, aber das hat vorne und hinten nicht ausgereicht.“ Er atmet kurz durch und ich vermute, dass sein Stocken damit zusammenhängt, dass er zum ersten Mal seine Mutter erwähnt hat.
„Er hat angefangen zu trinken. Erst nur ein paar Bier am Abend. Dann saß er irgendwann schon beim Frühstück vor der Flasche. Aus Bier wurde Schnaps. Und aus Dad wurde ein anderer Mensch. Nach einem Jahr hat er dann doch neue Arbeit gefunden. Als Security in einem großen Bürokomplex von irgendeiner Stromfirma. Mum hat aufgehört zu putzen und ich dachte, jetzt würde alles besser werden.“ Wieder stockt er. Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll und drücke deshalb seine Hand ganz sanft in meiner, damit er merkt, dass ich da bin und ihm zuhöre. Nach einer gefühlten Ewigkeit beginnt er wieder zu reden.
„Zuerst war es besser. Aber dann kam das erste Wochenende. Freitags und samstags hat er Nachtschicht. Wenn er nach Hause gekommen ist, hat er sich so zugedröhnt, dass er am nächsten Tag ungenießbar war. Unberechenbar. Aber er hat mich nie geschlagen. Kein einziges Mal.“ Ich ahne schon, was als nächstes kommt, als er erneut beginnt zu stocken.
„Aber vor Mum hat er keinen Halt gemacht. Wir durften keinen Mucks machen, wenn er sich tagsüber seinen Rausch ausschlief. Aber das ist unmöglich. Wir mussten ja den ganzen Haushalt schmeißen. Manchmal haben wir es geschafft, aber eigentlich ist er jedes Mal von irgendetwas aufgewacht. Ein Stuhl, der zu laut über den Boden geschoben wurde, oder das Piepsen der Waschmaschine, wenn wir nicht schnell genug waren, sie abzustellen, noch bevor sie dazu kam sich zu melden. Mum hat sich nie gewehrt. Sie hat es still über sich ergehen lassen…. Und ich habe zugesehen.“ Er spannt seine Kiefernmuskeln an und ich merke, dass er starke Probleme damit hat, die Fassung nicht zu verlieren.
„Jedes verdammte Mal habe ich zugesehen. Scheiße. Ich war doch noch ein Kind. Was hätte ich denn machen sollen? Was zur Hölle hätte ich tun können?“ Seine Stimme bricht und die Verzweiflung in seinen Augen lässt ihn wie einen kleinen Jungen aussehen, der tatsächlich daran glaubt, dass es auf diese Frage eine Antwort gibt. Ihn so zu sehen löst Gefühle in mir aus, von denen ich nicht weiß, wie ich damit umgehen soll. Ich will nicht weinen, doch ich kann die Tränen nicht zurückhalten, die langsam meine Wangen hinunterrollen.
„Was hätte ich denn tun sollen? Was? Ich konnte doch nicht.. Was?“, fragt er erneut und legt dann seine Stirn auf meine Schulter. Er weint nicht, aber er atmet schwer und ich streiche mit meiner kaputten Hand über seinen Nacken, während meine Tränen in seine Haare tropfen. „Es tut mir so leid, Jason.“, flüstere ich, weil ich mit der Situation überfordert bin und weil es die Wahrheit ist.
Es dauert lange, bis er sich beruhigt hat und auch ich brauche meine Zeit um die Tränen unter Kontrolle zu bringen. Als er sich schließlich wieder aufrichtet, scheint er sich für seinen Gefühlsausbruch zu schämen. Er lässt meine Hand los und rutscht ein kleines Stück zur Seite und dreht sich so, dass er jetzt nicht mehr zu mir, sondern auf den kleinen Teich blickt, der ein paar Meter vor uns beginnt.
„Vor anderthalb Wochen bin ich morgens ziemlich in Eile gewesen, weil ich spät dran war und nicht schon wieder eine Mahnung von der Schule bekommen wollte. Da bin ich ausversehen gegen eine Stehlampe im Wohnzimmer gestoßen, die dann umgekippt und kaputt gegangen ist. Dad war da schon auf der Arbeit, weshalb das Unwetter erst über mir eingebrochen ist, als ich nachmittags aus der Schule wieder nach Hause kam. Am nächsten Tag habe ich dann mal wieder gefehlt. Er will, dass ich ihm die Scheißlampe bezahle. Aber ich habe kein Geld.“ Ich beginne zu verstehen, warum er an mein Schließfach gegangen ist.
„Es schien so einfach. Ich hatte mittwochs deinen Zahlencode gesehen und mitbekommen, dass du dein Geld einfach zusammen mit deinen Büchern einschließt. Aber als ich es dann geöffnet hatte, konnte ich nichts nehmen. Ich war nicht dazu in der Lage, dich zu beklauen. Es tut mir trotzdem leid, dass ich es überhaupt versucht habe.“
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He Ain't All Bad
Fanfiction„Wer ist der da drüben?“, frage ich und deute quer durch den Gang auf einen tättowierten Jungen, der mir schon seit einigen Minuten aufgefallen ist. Ich merke, wie sich ein verträumter Ausdruck auf Lissys Gesicht breit macht. "Das ist Jason. Jason...
Part 27
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