Mit großen Augen sieht sie mir nach und ihr Mund steht offen. Hat sie damit nicht gerechnet?


Ich lächle und setze meinen Weg fort. Immer weiter hinab. Lasse den grauen Moloch der Lohnarbeit hinter mir und strebe dem hellen Licht am Ende des Gebäudes entgegen. Passiere monoton tippende Sachbearbeiter, aufgeregt telefonierende Vertriebsmitarbeiter und lache jetzt sogar über den arroganten Kurt aus der Marketingabteilung, der gerade an seinem Flip Chart steht und versucht schlechte Zahlen so zu präsentieren, als wären es Türöffner in neue Dimensionen. Ja, er ist ein Blender und Schönredner, der mit seinen blitzend weißen Zähnen und den blonden Locken alle über den Tisch zieht. Frau Pospischil auf der letzten Weihnachtsfeier ebenso, wie die ganze Führungsetage.

Sie alle fallen auf ihn herein oder taten es zumindest. Doch ich sehe mehr als die Anderen und weiß, dass sein Glanz langsam stumpf wird und der Lack zu bröckeln beginnt. Noch verkauft er seinen Zuhörern ein Dreieck für einen Kreis, aber bald schon wird er dick und fett an einem Bürosessel kleben und im Spiegel nur noch die traurigen Überreste eines einst so hoffnungsvollen Enthusiasten beweinen. Längst schon funktioniert er nur noch auf Knopfdruck und aller Elan ist zu Routine mutiert.

Bis dann ein neuer Kurt kommt, mit noch strahlenderem Gebiss und helleren Löckchen und ihn von seinem Thron stößt. Weil es immer so ist. Weil es immer so sein muss. Und er wird sich trösten mit seinem Sportwagen, bis er nicht mehr durch die Tür passt. Er wird sich trösten mit den jungen Frauen, die um ihn herum tänzeln, bis er feststellt, dass sie dies nur seines Kontos wegen tun. Er wird sich trösten mit dem großen Haus und den Gemälden an der Wand, bis er irgendwann heimkehrt in die Festung der Einsamkeit, wo längst schon alles Leben zu einem starren und reglosen Abbild einer Vision geraten ist und er selbst nicht mehr ist, als der Pinselstrich eines anderen Malers. Er wird nicht mehr leben, nur noch da sein.

Deshalb grinse ich ihn an und freue mich über seinen Gesichtsausdruck. Weil er nicht versteht.

So langsam komme ich dem Ende meines Weges näher und ich bin schon ganz aufgeregt. Aufgeregt, weil ich noch nicht weiß was mich erwartet, aber weil ich weiß, was ich alles hinter mir lasse. Ich werde nichts vermissen. Nicht den kalten Kaffee am Abend, weil ich nicht dazu kam ihn rechtzeitig auszutrinken, nicht den ständig leeren Snackautomaten und auch nicht die wortkarge Putzfrau, die immer genau dann die Herrentoilette putzte, wenn ich dringend musste.

Und vor allem werde ich nicht den Chef vermissen, der immer durch die Gänge spazierte, als gehöre er gar nicht dazu, als wären seine Mitarbeiter alle nur kleine ferngesteuerte Drohnen. Ich hatte in der Vergangenheit oft den Verdacht, dass er gar nicht wusste, was wir alle taten in diesem Gebäude und vielleicht wusste er noch nicht einmal mehr, in welcher Branche seine Firma tätig war. Mit dem Geschäft selbst hatte er schon lange nichts mehr zu tun. Darum kümmerte sich das Management. Er hielt nur noch die 51% Mehrheit. Und trat in den Medien auf, wenn seine Manager ihm das empfahlen. Ein Maskottchen, mehr ist er nicht mehr, ein kleines unwissendes Maskottchen, das nicht weiß, was es ist und glaubt, es sei eine Lichtgestalt, herabgestiegen um die Menschen hell strahlend zu führen. Aber er ist nun einmal nur ein stinkreiches Maskottchen, ...immerhin.

Jetzt kann ich das Ende des Weges schon genau vor mir sehen und ich fühle mich so glücklich. Ein paar kurze Momente noch und dann habe ich diesen grauen Kasten endlich hinter mir. Die Tretmühle wäre für immer und ewig nur noch eine dunkle, kaum erwähnenswerte Erinnerung.

Ich will innehalten und den Moment genießen, aber plötzlich sehe ich meinen Vater vor mir, wie er mir droht, so wie damals, als ich gerade erst 7 Jahre alt war: „Wenn du nicht aufhörst vor dich hinzuträumen wirst du als Säufer und Bettler enden", sagt er in seiner so typischen Art und Weise. Er konnte immer schon gleichzeitig zynisch lächeln und wütend aussehen. So präsentierte er mir immer seine Lebensweisheiten, während er mit den geschundenen Fingerkuppen auf dem Tisch trommelte. Jede Fehlentscheidung hielt er mir vor und beschwor dabei die größtmöglichen Katastrophen herauf, die mir im Leben drohen würden, sollte ich nicht den richtigen Weg einschlagen. Wahrscheinlich wollte er, dass ich seinen Weg einschlage, aber auf dem Bau, nein da wollte ich nie enden. Er sagte das nie offen, aber als ich ihm stolz meinen Ausbildungsvertrag bei der Versicherung vor die Nase hielt, damals mit 16 Jahren, da sah er enttäuscht aus. Er hatte zwar nichts gesagt und wohlwollend genickt, aber ich erkannte in seinem Gesicht, dass er andere Pläne für mich hatte. Nur war mir das zu dieser Zeit schon egal.

Ich hatte nur einen Plan, seit ich 14 war: Weg von ihm! Warum sehe ich ihn gerade jetzt? In diesem Augenblick, indem ich mich endlich befreit habe von all der Last, die ich seinetwegen trug. Ein Beruf, den ich nur gewählt hatte um ihm zu zeigen, dass ich erfolgreich sein kann, dass ich einen Plan habe. Aber den hatte ich tatsächlich nie. Jahrelang schleppte ich mich mühsam in die Firma und verschwendete meine Zeit mit sinnloser Routine.

Aber jetzt nicht mehr. Ich bin endlich frei und losgelöst von diesem Joch der Unterdrückung.
Nun, ich neige immer schon zum Pathos.

Endlich verschwindet er wieder vor mir und ich sehe meine Mutter. Wie sie milde lächelt und mir durch die Haare fährt. „Du wirst einmal ganz etwas Besonderes werden", flüstert sie mir zu und während das Bild wieder verblasst spüre ich doch etwas Traurigkeit in mir aufsteigen. War es eigentlich wirklich eine gute Idee? Hätte ich noch ein paar Jahre durchhalten, eine Familie gründen und mich dann umorientieren sollen?

Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr, denke ich, während ich die letzten Zentimeter zurücklege. Nichts spielt mehr eine Rolle jetzt. Und ich fühle mich friedlich, sorglos und unbeschreiblich frei. Ich tauche ein in das allumfassende Grau der Welt und verliere mich darin.
Jetzt habe ich es geschafft, das alte Leben liegt endlich hinter mir und während rings um mich alles schwarz wird und die lauten Stimmen zu einem alles übertönendem Rauschen verschwimmen, breite ich zum letzten Mal meine Arme aus und schwebe in das Nichts.

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⏰ Last updated: Sep 03, 2018 ⏰

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