2 | Mutig oder verdammt dumm

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Auch wenn wir seit Anfang des Schuljahres in eine Klasse gingen, hatten wir nie viel miteinander zu tun gehabt. Er war ein verschissener Streber und Lehrerliebling. Ich war nicht weniger intelligent als er, aber das interessierte niemanden, schließlich machte er brav seine Hausaufgaben und schrieb gute Noten in der Schule. Ich dagegen hielt schon damals mehr vom Rauchen und dem ganzen andern Scheiß.

Er hing zwar ab und an mit Aykan herum, doch um Typen wie ihn, die sich tatsächlich für zeitverschwendende Scheiße wie Klassensprecher zu sein entschieden, machte ich lieber einen großen Bogen. Solche Menschen waren einfach nicht meine Welt.

»Was is' mit dir?« Ich grinste ihn an und streckte ihm meine Zigarettenschachtel entgegen.

Federico kniff die Augenbrauen zusammen. Sie waren dicht, doch schön geschwungen und verliehen seinem Gesicht etwas Sanftes. Jemand, mit dem ich ein leichtes Spiel hätte. Doch dieser Eindruck verflog schnell wieder, als er den Mund aufmachte.

»Warum sollte ich?« Sein Blick war zweifelnd, die Haltung selbstbewusst.

»Probier' halt mal.« Schulterzuckend ließ ich meinen Blick über den Raucherplatz gleiten. Der Fahrradabstellplatz schirmte die Ecke vor neugierigen Blicken ab.

»Oder gib' wenigstens zu, dass du ein verschissener Streber bist.« Wieder grinste ich und inhalierte den Rauch tief in meine Lungen. Langsam stieß ich ihn direkt in Federicos Richtung aus. Er wich keinen Zentimeter zurück.

»Vielleicht auch einfach nur jemand, der zu seiner Meinung steht, anstatt mit aller Kraft cool sein zu wollen?«

Das hatte er nicht gesagt. Keiner redete so mit mir, verfickte Scheiße. Keiner von meinen Kumpels, aber was wollte man von so einem elendigen Streber auch erwarten, auf dessen Klassenarbeiten sich die Lehrer bestimmt einen abwichsten.

Er hielt meinem Blick stand und zog provozierend die Augenbrauen hoch.

Er war mutig. Mutig oder verdammt dumm.

»Ich mag diesen Typen«, erzählte ich am Nachmittag meiner Schwester. Wir saßen in unserer engen Küche, an deren Wänden die Schimmelflecken nur notdürftig übermalt worden waren. Den modrigen Geruch hatte die weiße Farbe jedoch nicht verdrängen können.

Lexie hob ihre dunkelblonden Augenbrauen. Sie war dreizehn Jahre alt und führte sich meistens so auf, als hätte sie diese ganze verschissene Welt bereits verstanden.

»Du magst nie jemanden«, merkte sie an und stopfte sich ein Stück labberiger Fertig-Pizza, die wir ständig fraßen, in den Mund. Wie jeden Nachmittag war unsere Mutter auf der Arbeit.

Sie rackerte sich für einen verschissenen Hungerlohn zu Tode und das nur, dass ihr Boss seiner verhurten Tochter einen Mercedes zum Achtzehnten schenken konnte. Schon damals wusste ich, dass ich eines Tages nicht so leben würde. Um nichts in der Welt wollte ich der Sklave eines andern sein.

Ein paar Jahre später verkaufte ich übrigens eben jener Tochter Kokain, aber das ist eine andere Geschichte.

»Er ist ja auch nicht wie die andern Wichser, die keine Eier in der Hose haben«, gab ich zurück und schnappte mir die letzten Pizzastücke von ihrem Teller.

»Hey, das waren meine!«, entrüstete sie sich und schlug mit der flachen Hand nach meinem Unterarm, während ich mir die beiden Stücke in den Mund stopfte. Die fettigen Finger wischte ich an dem zerschlissenen Sitzbezug des Stuhls ab. Das Scheißteil strotzte ohnehin nur vor Dreck.

»Jay, du bist so'n Idiot.«

»Is' eh besser, wenn du nicht so viel frisst, sonst will dich keiner mehr ficken«, meinte ich zu meiner Schwester, die noch immer der gestohlenen Pizza nachtrauerte. Doch in Gedanken war ich längst dabei, Federicos Willen zu brechen.

Die Verlierer - Könige der PlattenbautenWhere stories live. Discover now