Prolog

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Das Bellen und Schreien aus der unteren Etage riss mich in dieser Nacht aus dem Schlaf. Es mischte sich völlig übergangslos in meine Träume – ein Lärm wie der einer Sirene – und ließ mich erschrocken aufspringen. Es dauerte einen Moment, bis ich richtig zu mir kam. Die Dunkelheit meines Zimmers umfing mich immer noch mit dem Gefühl von Schlaf und machte meine Glieder schwer.

3:04 Uhr.

Das Zifferblatt des Weckers strahlte neongrün und brauchte vermutlich bald neue Batterien, denn er wirkte etwas blass. Anstatt aufzustehen und nach unten zu eilen, saß ich für eine Ewigkeit nur in meinem Bett und blickte auf die Uhr. Der Lärm blieb dabei die ganze Zeit wie ein Singsang in meinem Kopf.

Die Hunde.

Erst dann begriff ich, wieso ich überhaupt aufgewacht war. Charly und Jamie schlugen wegen irgendetwas an. Das war nicht das erste Mal in den sechs Monaten, die wir sie besaßen, doch heute schien irgendetwas anders. Es wurde mir bewusst, als ich schlaftrunken aus dem Bett torkelte und über die Decke stolperte. Sie klangen so wütend. Ihr Bellen wurde lauter, je dichter ich der Tür kam, und auf dem Flur hörte ich es schließlich ganz deutlich.

Da prallten Pfoten gegen die Eingangstür, gefolgt vom Hämmern hastiger Krallen an der Glasscheibe. Sie verloren sich beinahe unter dem Gebell der beiden, das schon fast einem Geschrei gleichkam. Nur eine Sekunde im tosenden Schwall ihrer Aggression machte mich hellwach. Ohne darauf zu warten, dass die beiden meine Eltern weckten, eilte ich die Treppe hinunter in die Wohnküche.

„Aus!", rief ich und betätigte den Lichtschalter. Ein geblendeter Rudelführer mit wildem Haar und dünner Stimme, der heute Nacht wohl nicht sehr beeindruckend war. Weder Charly noch Jamie nahmen Notiz von mir. Stattdessen tobten sie weiter und sprangen immer wieder gegen die Haustür, als wollten sie das Holz mit ihrer bloßen Wut aus den Angeln heben. In derselben Sekunde fiel mir auf, was für einen Schaden sie bereits angerichtet hatten. Essstühle waren umgefallen, Jacken von der Garderobe gerutscht und der Schirmständer lag irgendwo unter der Treppe, obwohl er normalerweise neben das Schuhregal gehörte. Es war das erste Mal, dass ihr Verhalten mir Angst einjagte. Eigentlich waren die beiden liebe und ausgeglichene Hunde, die selten etwas kaputtmachten. Heute jedoch erschienen sie wild und unkontrollierbar. Sie waren nicht sie selbst.

Ein letzter, beherzter Sprung der beiden Pointermischlinge gegen die Haustür brachte mich dazu, mich zusammenzusammeln und meine Pflicht zu tun.

„Schluss jetzt!" Ich trat mit entschlossenen Schritten zwischen sie und die Tür, um sie für mich zu beanspruchen. „Sitz!"

Meine Stimme war wohl endlich zu mir zurückgekehrt, denn die Tiere folgten meiner Anweisung und beruhigten sich fürs Erste. Jamie hechelte so stark, dass ich seine rote Zunge sehen konnte, und sein Sabber hatte sogar ein wenig Schaum geschlagen. Charly hingegen schien weniger erregt, fiepte dafür aber ununterbrochen. Es war, als wollte er mir etwas sagen, das ich nicht verstand. Zumindest nicht, bis ich seinem Blick folgte. Er durchdrang starr und hochkonzentriert die Glasscheibe, die zu unserer Haustür gehörte.

Der Wald, kam es mir in den Sinn. Die beiden mussten etwas im Wald gewittert haben.

Wenn man so dicht an der kanadischen Wildnis wohnte wie wir, dann war es normal, dass sich ab und an ein Tier in die Nähe des Hofes verirrte. Ich hatte schon oft morgens aus dem Fenster geblickt und heimlich die Rehe begrüßt, die das Gras direkt vor dem Fenster wohl besser fanden als das, was sie im Wald kriegen konnten. Auch Wildschweine oder sogar Bären waren nichts Ungewöhnliches. Nichts, das Jamie und Charly nicht mindestens ein Mal gesehen hatten, seit Dad sie vor einem halben Jahr von einem Bekannten mitgebracht hatte. Heute klangen sie hingegen, als wartete dort draußen kein Reh, kein Wildschwein und auch kein Bär, sondern etwas anderes. Etwas Gefährliches.

Wolf - Under your Skin (Deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt