Kapitel 1

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Zwei Jahre später

Ich öffne meine Augen und starre auf meine Zimmerwand. Zwischen all den Bildern die ich dort platziert habe ist dieser eine kahle Fleck.

Dort hing einst ein Foto von ihm und mir. Es war eines als wir baden waren. Wir alberten herum als es entstand. Es war mein Lieblingsfoto von uns.

Heute ist es zwei Jahre her, dass Mike starb. Vor zwei Jahren hatte er den Unfall. Vor zwei Jahren brach mein ganzes Leben zusammen. Und bis heute habe ich es nicht geschafft meinen Weg zurück zu finden.

Ich bin zu schwach um unser Foto dort an dieser Stelle ertragen zu können. Aber genauso bin ich zu schwach ein anderes Foto dort aufzuhängen. Denn es wird immer unsere Stelle sein. Es kommt mir vor als wäre es Betrug, wenn ich dort etwas anderes aufhängen würde.

Ich setze mich auf und löse meine langen braunen Haare aus einem Zopf. Sie fallen mir wild ins Gesicht. Als ich es endlich geschafft habe sie zu zähmen und aufzustehen, ziehe ich mir ein anderes T-shirt über und gehe an mein Handy.

Brooke: Und ein weiterer Tag an dem ich dich vermisse... zwei Jahre mein Engel. Ich hoffe dir geht es gut da oben.

Ich schreibe ihm jeden Tag. Jeden Tag eine Nachricht. Jeden Tag ein Vermisse dich. Ich suche jeden Tag die Verbindung zu ihm, die nie wieder sein wird.

Dann öffne ich meine restlichen Nachrichten.

Tessa: Mittagessen im La Voile? 12 Uhr?

Wie jeden Sonntag gehen Tessa und ich zusammen essen. Sie meint es tut mir gut wenn ich nicht immer alleine zu Hause sitze. Mehr Freunde als sie habe ich nicht und hatte ich auch nie. Ich war auch immer mehr der Einzelgänger, jedenfalls bis ich sie kennen lernte. Nur durch sie habe ich auch Mike kennengelernt. Er war ein alter Grundschulfreund von ihr und war auf einer ihrer Partys. Und zu dieser Party zu gehen war der beste Entschluss meines ganzen Lebens.

Selbst wenn es im Nachhinein mein Leben zerstört hat. Wir waren nur ein Jahr zusammen, aber es war das beste Jahr meines Lebens. Es war diese kitschige Liebe auf den ersten Blick. Wir lernten uns im Sommer kennen, verbrachten jeden Tag unserer Ferien zusammen mit baden und Eis essen. Im Herbst aßen wir zusammen Marshmallows, sahen uns Horrorfilme an, machten Spaziergänge im Laub und tranken jeden Tag Kaffee und Tee. Im Winter backten wir Weihnachtsgebäck, küssten uns unter jedem Mistelzweig den wir fanden, gingen auf den Weihnachtsmarkt, küssten uns um 00:00 Uhr zu Neujahr, bauten Schneemänner und machten Schneeballschlachten. Dann kam der Frühling. Wir alberten auf einer Blumenwiese rum, machten Fotos zwischen all den schönen Farben, genossen die ersten Sonnenstrahlen und machten ein Picknick.

Und dann, an einem der ersten Sommertage, als er gerade von einem dieser Bilderbuchnachmittage mit dem Fahrrad heimfuhr, wurde er von einem Auto übersehen und es kostete ihm das Leben. Bis heute werfe ich mir vor selbst daran Schuld zu sein. An diesem Tag haben wir viel getrunken um meine Aufnahme an einer Musikschule zu feiern. Er ist also betrunken gefahren. Ganz allein wegen mir.

Und so verlor das Bilderbuch all seine Seiten.

Ich lege meiner Mom ein Zettel auf die Theke, dass ich mit Tessa weg bin. Eigentlich kann ich machen was ich möchte, ich bin mittlerweile 17 Jahre alt, aber ich weiß dass auch sie seit dem Unfall beunruhigt ist und gerne wissen möchte wo ich bin.

Ihre Angst verstehe ich mehr als genug. Diese Angst vor Verlusten. Vor einem Jahr fiel meine kleine Schwester Lilly die Treppe hinunter. Ich hörte nur ein lauten Knall und fing an zu schreien. Sofort stürmte ich zu ihr. Sie lag da, lachte und hatte sich nicht ansatzweise verletzt. Ganz im Gegenteil, ihr ging es blendend. Und ich? Ich saß eine Stunde lang wie gelähmt auf der Treppe. Und fühlte nichts. Wirklich Garnichts. Ich merkte nicht einmal wie die Zeit verging. Ich dachte ich säße dort nur wenige Sekunden.

Das ist einer der vielen Panikattacken gewesen die mich immer wieder überraschen.

''Hey meine Süße'', Tessa umarmt mich zur Begrüßung. Wir sehen uns meistens nur Samstags, da wir auf verschiedene Schulen gehen. Sie besucht eine Theaterschule hier in der Nähe und ich bin auf einer speziellen Musikschule. Wir leben in einer kleinen Stadt im Süden von New York. Sie ist bekannt für ihr Reichtum an den verschiedensten Schulen und Ausbildungsmöglichkeiten.

Wir setzen uns an unseren kleinen Stammplatz und bestellen uns einen Cocktail. Sie erzählt mir von einem Theaterstück das sie leiten darf und ich erzähle von einem Song an dem ich momentan arbeite.

Unser Gespräch wird unterbrochen als mein Handy aufleuchtet.

Wer schreibt mir denn bitte? Das kann nur Mom sein.

Doch dann bleibt mein Herz stehen.

Mir versetzt es ein Stich in die Brust.

Tränen schießen mir in die Augen.

Was passiert hier?

Mike: Kennt man sich?

Secrets at the cliffWhere stories live. Discover now