Wallbreaker

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Als Hardy Himmel das grelle Licht einer Osram-Glühbirne erblickte, schrieb man das Jahr 1961. Hardy Himmel kam nicht unweit der Charité zur Welt. Für damalige Verhältnisse war die Charité ein sehr sicherer Ort, um auf die Welt zu kommen. Hier arbeiteten gut ausgebildete Krankenschwestern. Nun war Marie, die Mutter des ungeborenen Helden, alles andere als gewillt, ihr Kind im Ostsektor auf die Welt zu bringen. Und das hatte seine Gründe.

Sie war gerade mit nichts als ihrem Schatz im Bauch auf der Flucht und stolperte in irgendeine Klinik in diesem neuen Land, das der Goldene Westen hieß...hatte sie gehört.

Vor ihrem geistigen Auge verschwamm das Klinikumsschild, sie erkannte das Wort Anmeldung, woraufhin sie kurz wankte, den linken Arm hob und auf dem Flur zusammenbrach.

Katharina besaß ein Hebammenzertifikat. Schwester Katharina hatte Dienst an diesem 13. August 1961. Katharina in den KRS!

Es war kurz vor Mitternacht, der leitende Arzt hatte geklingelt.

Katharina hatte schon viele Geburten miterlebt. Katharina sah auf den ersten Blick: hier kommt ein Sternengucker!

Der Geburtskanal ist nicht ausgelegt für Sternengucker. Das Baby steckte fest - Nase voran. Wenn sie nicht bereits gebrochen war, würde sie zerkautscht oder schief sein, wenn das Kind draußen ankam. Der Kopf würde oval sein, bis sich die Schädelknochen von selbst wieder eingerenkt hätten.

Schwester Katharina hatte den ganzen Tag die Nachrichten verfolgt. Sie hatten den Westsektor vom Ostsektor getrennt. Man sprach von einer Mauer, die Berlin durchtrennte und den Alliiertenteil vollkommen einschloss.

In der Krankenakte dieser Marie Himmel stand, das sie vor vierzehn Tagen politisches Asyl beantragt hatte, auch dass ihr Mann, Hermann Himmel, seither als vermisst galt.

Sicher hatten sie den armen Teufel beim Rübermachen geschnappt. Diese Marie Himmel war zwei Wochen zu früh dran, und jetzt hatte sie Wehen. Zu früh...bei Sternenguckern gab es häufiger Komplikationen. Schwester Katharina versteckte ihr Gesicht hinter einer Maske. Sie ging zu der schwitzenden, zitternden Frau und griff ihre Hand.

"Hören Sie, Frau Himmel...ich weiß, dass es hart ist für Sie, aber bevor wir das Baby durch einen Kaiserschnitt holen, versuchen wir es bitte noch einmal! Das Baby ist stark, es wird bald da sein. Sie müssen helfen, denn es steckt fest. Wenn Sie jetzt nicht mitmachen, müssen wir operieren. Da das Baby noch nicht so groß ist, können Sie es schaffen! Denken Sie an ihren Mann, er will stolz auf Sie sein!"

Marie presste ihr Kinn gegen die Schulter und schnappte nach Luft. Dann schrie sie einen inbrünstigen Schmerzensschrei.

"Das war schon ganz gut", sagte Schwester Katharina, "aber die Kraft zum Schreien hätten Sie besser aufs Pressen verwendet! Stellen Sie sich vor, Marie, die bauen eine hässliche Mauer um uns herum. Seit heute kommt niemand mehr rein oder raus. Wir sind auf einer Insel, Marie. Denken Sie ans Meer. Denken Sie an etwas Schönes. Und dann noch einmal! Das Meer hilft, das Wasser spült, es kommt, ich weiß, dass es kommt. Luftholen, Marie, und Pressen! Ich fühl schon das Köpfchen, es ist ganz warm."

Marie gellte.

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⏰ Last updated: Jul 06, 2014 ⏰

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