46 - Unheilige Gabe

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Das passierte doch sonst nicht. Sie löste im Gehen ihre Frisur, um sich ein bisschen Linderung zu verschaffen, aber diese war minimal.

Ihre Gedanken kreisten.

Sie musste die Pläne besorgen, ohne dass es jemandem auffiel. Was hatte sie überhaupt falsch gemacht, dass der Kronprinz wusste, dass sie die Systeme des Adels gehackt hatte?

Wer hatte ihre Aktion verfolgt? Hatte er Rick darauf angesetzt?

May seufzte.

Natürlich.

Das hätte ihr sofort klar sein müssen.

Wenn irgendjemand es schaffte ihre digitalen Spuren zu verfolgen, dann war es wohl Rick.

Er war der einzige Mensch, dem sie es zutrauen würde sich mit Plasma besser auszukennen als sie selbst.

Plasma und Caz Kristalle.

Zwei gegensätzliche Substanzen, wie Nacht und Tag oder Sommer und Winter.

Caz Kristalle waren Rohstoffe, Plasma wurde künstlich hergestellt.

Es konnte so gut wie jede Form, jede Härte annehmen, während die Caz Kristalle nur in der Größe variierten.

Es gab nur eine Person, die die Wahrheitssteine beeinflussen konnte, dafür sorgen konnte, dass sie die Wahrheit in den Köpfen der Leute verdrehten oder sich selbige offenbarte. Deswegen war die Hohe so gefährlich.

Und mit der einzigen wirklich naturwissenschaftlich kaum nachvollziehbaren Gabe im Kern der einzige Gegenpol zur Macht des Königs und seines Adels.

Mays Gedanken verblassten. Hinter ihrer Stirn explodierte der Schmerz zu einem Feuerball. Ächzend stützte sie die Hand gegen den Türstock.

Sie hatte nicht darauf geachtet, wo sie hinging und war falsch abgebogen.

Jetzt stand sie auf der Galerie, die sich Stockwerk um Stockwerk in die Tiefe zog und den riesigen freien Raum in der Mitte des Turms umspannte wie eine hübsche Bordüre.

Sie stolperte gegen das Geländer, krallte sich fest und versuchte die Kontrolle wiederzubekommen. Erfolglos.

Alles drehte sich, sie wusste nicht, wo oben und unten war.

Ihre Fingerknöchel traten weiß hervor.

Der Schmerz strahlte von ihrem Kopf in ihre Schultern und den Rücken aus, erreichte irgendwann die Zehen.

War das irgendein Anfall? Niemand war auf der Galerie unterwegs.

Natürlich nicht, es war Mittag.

May fühlte sich, als ob in ihr im Sekundentakt Sprengladungen hochgehen würden, deren volle Wucht ihr Körper abfing.

Sie riss den Mund auf, wollte schreien, aber das Feuer hatte ihre Stimme zu einem rauen Krächzen verbrannt.

Die Kraft, die durch sie pulsierte war alt.

Uralt und mächtig.

Und vertraut.

Weiße Funken tanzten über ihre Haut.

Und als sie aufsah, war da eine weiße Gestalt drei Stockwerke über ihr.

May kannte die Gabe, die ihr diese Schmerzen bereitete.

Sie hatte später keine Ahnung, was in den nächsten Momenten passierte.

Irgendetwas in ihr brach auf, gab dem Feuer nach.

Es war wie ein Schock, der einmal durch sie hindurch jagte, den Schmerz wegriss.

Als sie die Hände hob, bewegte sich etwas anderes mit, flink wie ein Vogel.

Es krachte.

Der Turm begann zu klingen und Mays Sicht wurde klarer.

Das Geländer vor ihr hatte sich aufgelöst.

Große Brocken aus Caz Kristall hatten sich herausgelöst, schwebten teilweise immer noch in der Luft.

Andere waren in den Teil der Galerie gekracht, wo die Gestalt gestanden hatte.

In den violetten Steinen zuckte es silbern, der ganze Turm war erfüllt von diesen kleinen Blitzen.

May schlug sich die Hand vor den Mund, taumelte rückwärts und fiel über ihr Kleid.

Sie schlug auf, kämpfte sich wieder hoch, während ihr Kopf zu verarbeiten versuchte, was passiert war.

Was sie getan hatte.

Sie stand zitternd da, während weit unter ihr Stimmen laut wurden.

Die Akustik des Turms trug sie bis zu der kristallinen Kuppel hinauf.

Und May rannte.

SkythiefWhere stories live. Discover now