Gedanken

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Er blickte in die Tiefe des Waldes, der sich wie ein Ozean erstreckte. Es war ein erstaunlicher Anblick. Diese ganzen Bäume lebten schon viele Jahre und wirkten wie ein riesiges undurchdringliches Netz. „Von Menschenhand unberührt", dachte er sich leise. Ein leichter Wind wehte und ließ den Schnee von den Baumkronen hinab fallen. Erst auf den einen Ast, dann auf den Anderen bis er den Boden erreichte und verschwunden war in der unübersichtlichen, dennoch wunderbar idyllischen Wüste aus Schnee. „Da bin ich nun, ich habe es geschafft", lobte er sich. Seine Stimme verblasste langsam in der Landschaft, er seufzte und zündete sich eine Zigarette an. Er zog langsam, denn er genoss jeden einzelnen Zug. Im Winter zu rauchen war schon immer eine Vorliebe von ihm, denn der Rauch bestand länger und dichter in der Kälte und er liebte den Rauch. Ein, zwei Ringe an der freien Luft, aber vergebens. Er wusste schon immer, dass dies unmöglich war bei Wind. Die Natur duldet keine Gebilde von Harmonie und Symmetrie. Sie bringt Chaos in die Ordnung ohne auch nur ein kleines Wort zu sagen. Nichts destotrotz schafft sie dies auf die friedlichste Art und Weise. Wir Menschen müssen es hinnehmen. Der Versuch dagegen anzukämpfen wäre sinnlos, ebenso wie die Ringe. Trotzdem genoss er es mit dem Rauch zu spielen. Er fand, dass der Rauch einer Person einen gewissen Charakter zuspricht. Für ihn gab es die, die den Rauch kontrollieren wollten, ihn leidenschaftlich aus den Lungen emporsteigen zu lassen, um ihn dann endlich zu betrachten. Den Mund zu öffnen und ihn ganz langsam das ganze Gesicht entlang gleiten zu lassen bis man erst den Rest vollständig ausatmete. Und dann gab es die, die den Rauch verdrängten, ihn kalt und neutral weit weg pusteten ohne auch nur einmal nachgedacht zu haben; Hauptsache ihre Sucht konnte gestillt werden. Er kannte keine Sucht. Für ihn war es die Verbindung von purer Freiheit und Muße, die ihn dazu veranlassten sein Drehzeug auszupacken, die Zigarette selbst zu bauen, um sie dann genüsslich und langsam ausgehen zu sehen. Eine selbstgedrehte Zigarette war einfach seins. Sein eigenes Werk. Eine Gänsehaut erfasste ihn und mit ihr zusammen fühlte er sich lebendiger denn je. Er war glücklich denn für diesen Moment hatte er es einfach geschafft. Mehr nicht. Nostalgie bewirkte, dass seine Augen tränten und er sie schloss. Er spürte wie die Flüssigkeit sich auf seinen Wimpern zu einer Träne zusammenschloss, um dann die von der Kälte gerötete Wange hinabzulaufen. Eine merkwürdige Emotionalität legte sich auf seinen Körper wie eine wärmende Decke.

„Was ich bin? Ich habe absolut keine Ahnung. Ich will auch ehrlich sein: Mir ist es auch aktuell scheißegal. Ich will einfach sein. Ich möchte einfach fühlen. Das Leben in jedem Moment genießen, Hoch oder Tief, mir egal. Ich will hier und jetzt eine Zigarette drehen und drauf scheißen ob sie gesund ist oder nicht. Oder ob dir das gefällt oder nicht. Ich will sie langsam und genüsslich drehen, weil das ist mein Ding und mein Moment. Es ist mein verfickter Moment. Vielleicht lass ich mich davon umbringen, vielleicht auch nicht. Will ich die Kontrolle behalten oder verliere ich sie in dem Moment, wenn ich sie anzünde? Ist mir dieser Moment wichtiger als ein ganzes Leben? Ich habe keine Ahnung. Aber jetzt gerade will ich sie einfach verlieren, mich dem Moment hingeben als wäre es meine erste Liebe. Vielleicht naiv und rosarot, aber doch so wunderschön. Man ist aufgeregt, nervös. Der erste Kuss, der Blick. Soll ich es einfach machen? Die erste Berührung, sei sie nur unabsichtlich gewesen. So zart und ängstlich, aber gleichzeitig neugierig. Wir sitzen da. Auf einer Bank, mitten in den Bergen. Ich kann nicht warten. Dieses Gefühl, dass einen überschlägt, dir vor kommt als würde gerade Ecstasy in deinen Adern explodieren, jedoch ist nur sie deine Droge. Sie ist dein einziger Rausch jetzt. Der Mensch als Rauschmittel direkt vor deinen Augen. Und du? Du bist alleine. Du bist der Süchtige. Zum Ende stehst du alleine mit deiner Sucht da. Aber du hast eine Entscheidung getroffen ob bewusst oder unbewusst. Du fühlst den Moment. Dir ist das Risiko bewusst, aber du scheißt drauf. Du willst dich in dem Moment in deinen Gefühlen verlieren , weil es dir deine Intuition oder dein Bauchgefühl vermittelt. Du weißt du stürzt dich ins Abenteuer, ins Ungewisse. Vielleicht ist sie die eine? Du wirst es nicht wissen, ehe du es nicht versuchst. Du blickst auf deine Hand. Sie ist leicht verschwitzt und du wischt sie dir an deiner Hose ab. Du berührst ihre Wangen. Deine Fingerspitzen streicheln zittrig ihr kaltes Gesicht, deine Berührung ist ängstlich aber ehrlich. Sie dreht sich zu dir, dein Herz stoppt, deine Gefühle sind verwirrt. In deinem Körper kollidieren gefühlt tausende verschiedene Hormone miteinander und dein Verstand versucht einen Ausgleich zu schaffen, aber er kann es nicht, weil du zu stark fühlst. Weil du alles fühlst und nichts kann dich aus diesem Zustand herausreißen. Deine Rationalität wird von deiner Emotionalität in Frage gestellt und gleichzeitig einfach ausgestellt. Nur du, sie und die Gefühle. Du gibst dich hin. An einen Moment wo beide Personen so nackt und verletzlich sind. Aus zwei Menschen wird für einen Moment, ein Einziger. Ein Mensch der in einem gemeinsamen Moment lebt. Diesen Menschen gibt es nur hier. Alle Gefühle vereinigen sich und bilden ein großes harmonisches emotionales Durcheinander, welches durch die Berührung der Lippen in einen Kreislauf gerät. Ein endloser wunderschöner Kreislauf, der durch beide Körper strömt wie ein reißender Fluss.

Sie stoppt. Sie muss kurz durchatmen. Sie sucht dich mit ihren großen Augen und du suchst sie. Aber keiner wird sich mehr finden. Das ist vorbei. Das Gefühl der Angst und Leere kommt in dir hoch und vertreibt alles Schöne. Ein Druck auf deiner Brust hindert dich am Atmen und ein Stich in deinem Magen bringt dich zum Kotzen. Du bist alleine mit deiner Sucht. Du erkennst, sie ist weg. Jeder Moment mit ihr ist nur noch Teil einer Erinnerung, der dich zum Weinen bringt. Weinen. Ebenso ein Rauschgefühl. Deine Gefühle bringen dich dazu, zu weinen. Tränen aus deinen Augen laufen zu lassen. Man gibt sich hin, und weint. Man weint so lange bis man keine Flüssigkeit mehr besitzt und beginnt zu schreien. Man schreit so lange, bis man nichts mehr hören oder fühlen kann. Der Nullpunkt. Einfach absolute Leere. Komisch, wieso fühlt man sich genau hier zufriedengestellt? So als hätte man schon immer Gleichgültigkeit angestrebt. Wieso ist man zufrieden, wenn man nichts mehr fühlt? Macht uns das nicht zu Tieren?"

Er wirft die Zigarette in den Schnee. Er hat Fragen auf die er keine Antworten kennt. Und eigentlich sucht man doch nichts mehr im Leben als Antworten. Seien sie in Form von Taten, Momenten oder Worten. Alles kann eine Antwort auf eine Frage sein. Man muss es nur schaffen die Perspektive zu verändern oder anzupassen. Jedes Mal wenn er nicht weiter weiß, versucht er sich im Rausch wiederzufinden. Denn Rausch und Realität sind Gegenspieler, welche  nichts miteinander teilen. Jedoch kann es ohne Realität keinen Rausch geben und andersrum. Man fühlt und versteht alles. Es gibt keine Probleme. Für einen Moment sieht man nur sich selbst. Es spricht mit dir, es erzählt dir Geschichten und flüstert dir Geheimnisse zu, die dich verändern. Es lässt dich Neues sehen. Der Rausch schenkt dir Einblicke in eine Welt aus Watte. Eine Fantasiewelt, in der man selbst der Protagonist ist. Man sieht die Dinge wie man sie sehen soll: nackt und ehrlich. Nur du und die Gemeinschaft des Rausches bilden einen Bund, der undurchdringlich ist. Ein Netz aus tiefster Verbundenheit und Einsicht. Es spielt keine Rolle, wer du bist. Es zählt nur, dass du bist. Man sieht nur den Menschen. Alles ist schön, alle sind gleich. Es wird ersichtlich, was den Menschen zum Menschen macht. Pure Hormongewalt steuert dich, befiehlt dir endlich loszulassen. Dich der Freiheit hinzugeben. Aber ist das natürlich? Wieder eine Frage auf die er keine Antwort kennt. Er dreht sich um, steigt in sein Auto und fährt weiter.


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⏰ Last updated: Mar 29, 2018 ⏰

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