Kapitel 18

191 18 0
                                    

Ich musste schlucken.
"Angus ist... äh... was?! Ihr... S-Sohn?", stotterte ich und wischte meine verschwitzte Hand an meiner Hose ab.

"Ja, mein Sohn.", schluchzte die Frau am Telefon.
"Wer ist denn da und was ist mit Angus?"

"Ich bin...", ich stoppte, um zu überlegen.
"Eine gute Freundin von Ihrem... äh Sohn."

"Sie kennen ihn? Oh Gott!
Geht es ihm gut? Hat er eine Familie? Wo wohnt er? Und wo ist er gerade?"

Ich zögerte. Ich konnte ihr ja schlecht sagen: Ihm geht es im Moment ziemlich beschissen, er bekommt sein Leben nicht auf die Reihe und er ist obdachlos.

"Nun ja... das ist im Moment alles schwer zu beantworten.", sagte ich dann letztendlich.

"Warum denn? Was ist mit Angus?! Ist er tot?", fragte die Frau völlig hysterisch.

"Nein, natürlich nicht! Keine Sorge, er... er hat ein Dach über dem Kopf und genug zu essen."
Das war schließlich nicht gelogen.

"Können Sie mir denn sagen, wo er wohnt, damit ich zu ihm kann?"

Ich überlegte.
"Ich... weiß nicht, ob das für ihn okay ist, wenn ich Ihnen das sage."

"Also möchte er nichts mit mir zu tun haben...", wimmerte die Frau.

"Nein, das habe ich doch nicht gesagt, aber... Hören Sie, die Situation ist gerade ziemlich kompliziert. Er weiß nicht, dass wir gerade telefonieren."

In diesem Moment bereute ich meine verdammte Neugier. Ich hatte jetzt eine weinende, verzweifelte Mutter am Telefon, während ihr Sohn im Nebenraum tief und fest schlief.

"Was?", fragte Angus' Mutter.

"Wie schon gesagt, es ist ein bisschen kompliziert die ganze Geschichte zu erzählen."

Für einen Moment war es still am anderen Ende der Leitung.
"Wissen Sie, das letzte Mal habe ich meinen Sohn gesehen, als er 12 Jahre alt war. Er ist von zuhause abgehauen und ist seitdem nicht mehr wiedergekommen. Ich möchte wirklich gerne wissen, was aus ihm geworden ist und wie es ihm geht. Ich flehe Sie an, geben Sie mir bitte seine Adresse oder Telefonnummer oder einfach irgendwas.", sagte sie dann.

Mein Atem stockte. Das war also der Grund, warum er auf der Straße lebte. Er war abgehauen. Und das mit 12? Das konnte doch nicht sein.
Ich musste erst einmal durchatmen, bevor ich eine Antwort aus mir herausbrachte.

Ich wollte ihr eine Telefonnummer geben, aber Angus hatte kein Telefon.
Ich wollte ihr eine Adresse geben, aber Angus wohnte nirgendwo fest.
Ich hätte mich schlecht gefühlt, wenn ich ihr gar nichts gesagt hätte, aber ich hatte auch Angst, dass Angus sauer auf mich war, also gab ich der Frau die Adresse von dem Haus der Punks.

Angus' Mutter würde dann dahin fahren, die Punks würden ihr sagen, dass Angus nicht da wäre, die Frau würde mich wieder anrufen und ich würde einfach nicht drangehen.
Angus und seine Mutter würden sich nie begegnen, fertig...

Wie schlecht mein Plan eigentlich war, bemerkte ich jedoch erst, als die Frau sich überglücklich bedankt und aufgelegt hatte.
"Verdammt.", fluchte ich leise und biss mir auf die Unterlippe. Warum hatte ich das nur getan?

Ich musste mich erst einmal sammeln, bevor ich erneut zu Angus schlich, das Foto in seinen Rucksack zurücklegte. Ich kümmerte mich nicht mehr, um den Ausweis oder das Geld, das im Rucksack lag und legte mich mit einem mulmigen Gefühl im Bauch schlafen.

Als ich am nächsten Morgen wach wurde und in die Küche ging, erwartete Angus mich schon.
"Schön, dass du auch endlich wach bist. Ich muss mit dir reden."

Ich begann zu schwitzen und betete innerlich, dass er mich gestern beim Telefonieren nicht gehört hatte.

"Also, ich... es... Es war wirklich nett von dir, dass du mir angeboten hast, bei dir zu pennen und so, aber... ich kann das einfach nicht.
Es liegt nicht an dir oder an dem, was gestern Abend passiert ist...
Ich komme einfach nicht klar. Es klingt komisch, aber dass ich ein Bett habe und Essen und so was...
Verstehst du, du... du kannst mir nicht an einem Tag das geben, was ich mein ganzes Leben lang nie hatte und..."

"Das verstehe ich.", unterbrach ich ihn und war erleichtert, dass er von dem Telefonat nichts wusste.

"... und deshalb gehe ich wieder zurück zu den anderen Punks.", beendete er seinen Satz und ich hätte beinahe aufgeschrien. Mein Herz setzte für ein paar Schläge aus und ich starrte Angus mit großen Augen an.

"Ist irgendwas?", fragte er verwundert.

"N... nein, es ist... nichts. Vergiss es."

"Naja, freut mich, dass du das verstehst. Du kommst doch trotzdem oft noch vorbei, oder?"

Ich nickte und lächelte schief.

"Cool. Dann, bis die Tage mal.", sagte er freudig und schwang sich seinen Rucksack auf den Rücken. Er lächelte und verschwand aus meiner Haustür.

"Mist. Was zur Hölle habe ich nur getan?!", fragte ich mich fluchend, nachdem Angus aus der Tür war.

Something That You Stole [Abgeschlossen]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt