Kapitel 6

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Panisch erklomm ich die restlichen Stufen

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Panisch erklomm ich die restlichen Stufen. Zwei Stockwerke weiter oben stürmte ich durch eine Seitentür nach draußen aufs Deck. Ohne Zweifel waren diese Männer auf der Suche nach dem Drachenei, welches sich in der Tasche befand, welche ich um meine Schulter gehängt trug. Ausliefern konnte ich mich auf gar keinen Fall, nachdem mich der halbe Marktplatz in Scat gesehen hatte, wie ich dem Mann die Tasche entwendete, würde mir niemand abnehmen, dass ich unschuldig einem Missverständnis zum Opfer gefallen war. Das Wort einer weggelaufenen Sklavin, die nicht beweisen konnte, dass sie frei gelassen wurde, war so und so nichts wert. Ich musste flüchten. Sie planten das Schiff abzuriegeln, diese Vorkehrung konnte mir gefährlich werden. Beim Verlassen des Landes hatten sie keine Papiere kontrolliert, sollten wir jedoch den Hafen in Tasmanien erreichen, betrat das dehnarische Schiff feindliches Land und unweigerlich würden alle Passagiere kontrolliert werden. Nun wo meine Papiere weg waren und ich eine gesuchte Person war, konnte ich es vergessen, über die normale Rampe die Fähre zu verlassen.

„Sehr geehrte Passagiere. Wir erreichen in Kürze den Hafen Ignis'. Sie können sich bereits bereit machen, das Schiff zu verlassen. Die Behörden bitten noch um eine kurze Registrierung. Dafür bitten wir Sie, ihre Papiere und Pässe bereit zu halten. Danke für Ihre Aufmerksamkeit." Die Stimme des Kapitäns wurde durch Schallwellen magisch verstärkt durch die Luft transportiert, sodass es jeder an Bord verstehen konnte. Ich bezweifelte, dass der Kapitän ein Magier war, weshalb ich davon ausging, dass sie dafür eine Hexe eingestellt hatten. Bei so zahlreichem Personal, würde eine Flucht schwer werden. Mir blieb nur zu hoffen, dass die Hexe erst in ihren ersten Lehrjahren war. Sollte sie die Fähre bereits mit einem Rettungszauber belegt haben, der sofort einen Alarm auslöste, wenn jemand von Bord fiel, wäre mein Plan hoffnungslos. An der Art, wie die Passagiere am Deck noch staunend die Aussicht genossen, erkannte ich, dass abgesehen von der Besatzung noch niemand darüber Bescheid wusste, dass eine Diebin gesucht wurde. Wenigstens von einem der Passagiere gemeldet zu werden, musste ich also nicht befürchten.

Aufgeregt suchte ich mir einen Weg durch die Menge. Solange wir nicht angelegt hatten, konnte ich das Schiff nicht verlassen. Viel zu gefährlich wäre es, von der Strömung mitgerissen zu werden. Noch dazu war das Wasser hier im Norden um einiges kälter. Wer weiß, wie lange ich bei dem Kälteschock durchhalten würde. Umso näher wir der Küste waren, umso besser waren meine Chancen, das Meer auch wieder lebend zu verlassen. Um nicht aufzufallen, mischte ich mich daher unter die Menge. Wartete mit zitternden Knien mit den restlichen Passagieren am offenen Deck, bis das Schiff anlegte. Der Wind fuhr durch meine Haare. Schnell legte ich mir den blauen Schal meiner Mutter um den Hals und schob mir die Stoffkapuze der Lederjacke, dich ich trug über den Kopf. Einige der Frauen trugen Kopftücher, um der Kälte zu entgehen, weshalb ich so nicht weiter aus der Menge herausstach. Den Schal zog ich mir hoch bis zur Nasenspitze. Die Fähre wurde langsamer und manövrierte an der Küste entlang in eine Bucht, in welcher bereits in der Ferne zahlreiche kleinere Boote auszumachen waren. Die Passagiere setzten sich in Bewegung, ihr Gepäck zusammen zu sammeln und ich wusste, dass es für mich an der Zeit war, mich ebenfalls vom Acker zu machen. Gegen den Strom ziehend strebte ich auf die Rückseite des Schiffes zu. Dort waren die Außentreppen für die Besatzung und ich begegnete niemandem. In Hektik schloss ich alle Knöpfe der Tasche, sodass ich mir sicher sein konnte, dass nichts vom Inhalt aus der Tasche in die Wellen gespült werden würde, sobald ich gesprungen war. Ängstlich blickte ich über die Reling hinunter ins Wasser. Mittlerweile hatten wir den Hafen erreicht. Am Dock zogen die Matrosen gerade die Seile fest, davon bekam ich auf der Rückseite des Schiffes jedoch nichts mit. Es ging gut fünf Meter in die Tiefe, wo mich kalte Wellen, die gegen die Fähre schwappten, empfangen würden. Nervös sah ich von links nach rechts. Angst hielt mich gefangen, wo ich war. Dies war nicht damit zu vergleichen, von einem Dach in einen Heuwagen zu springen – das hier war viel gefährlicher. Doch die Zeit lief mir davon und als ich Stimmen hörte, konnte ich mir Zögern nicht länger leisten. Behänden schwang ich mich über die Reling, sodass ich mit dem Rücken gegen die Metallstangen gepresst auf der Außenseite balancierte. Fest klammerten sich meine Hände um die Reling. Nun trennte mich wirklich gar nichts mehr vom freien Fall. Meine Handflächen begannen zu schwitzen, ich hatte Angst, den Halt zu verlieren.

„Alles in Ordnung. Dir kann nichts passieren", versuchte ich mich zu beruhigen. Immer und immer wieder murmelte ich die Worte leise vor mich hin – wie eine Mantra.

„Da oben ist jemand", vernahm ich eine Stimme von einem Stockwerk weiter unten.

Bevor sich der Mann auch nur in Bewegung setzen konnte, ließ ich los. Ohne zu überlegen, ließ ich mich einfach fallen. Es kostete mich jegliche Überwindung, während dem gesamten Fall nicht aus voller Kehle zu schreien. Zwar hatte mich schon jemand entdeckt, doch damit hätte ich noch mehr unerwünschte Aufmerksamkeit auf mich gezogen. Adrenalin pulsierte durch meinen Körper und ließ den Fall aus schwindelerregender Höhe, welcher vermutlich nur ein paar Sekunden andauerte, in die Länge ziehen, als wäre die Zeit still stehen geblieben. Wind zehrte an meiner Kleidung, ich hatte Angst, die Tasche zu verlieren, die ich in Panik an mich presste. Mein Körper fühlte sich merkwürdig klamm an, als könnte ich keinen Muskel bewegen – ich war dem Fall schier weg ausgeliefert.

INDIGO  - Beim Leben des Drachen [Leseprobe]Where stories live. Discover now